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Tilo Krügel als Schwarz und Runa Pernoda Schaefer als Lulu am Schauspiel Leipzig - Foto: Rolf Arnold
Die Buchstaben CENTRALTHEATER sind von den Schaufenstern des Theaterbaus an der Bosestraße verschwunden. In großen Leuchtlettern prangt über dem Eingangsportal wieder die alte Bezeichnung SCHAUSPIEL. Leipzig hat nach dem Weggang des von der regionalen Presse und Kulturpolitik ungeliebten Sebastian Hartmann eine neue Intendanz. Mit einem Premierenreigen wurde das in der letzten Woche gefeiert und fand seinen Widerhall auch über die Grenzen der Heldenstadt, die sich gerade zum 200. Jubiläum der Völkerschlacht rüstet. Wort-Schlachten gab und gibt es auch immer noch um das Leipziger Theater. Die Deutungshoheit über die künstlerische Ausrichtung des Schauspiels ist weiterhin heiß umkämpft.
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Eine weitere streitbare Inszenierung gab es nun als Zugabe sozusagen hinten drauf. Lulu von Frank Wedekind hatte am Freitag seine Leipzig-Premiere auf der Bühne des Schauspiels. Was einst veritabler Theaterskandal war, lässt heutzutage kaum noch jemanden wirklich erschauern. Der letzte Regisseur, dem annähernd so etwas wie ein kleines Rauschen im Blätterwald der Feuilletons gelang, war Volker Lösch, der echte Damen des horizontalen Gewerbes als Chor in seiner Inszenierung Lulu – Die Nutten-Republik an der Schaubühne Berlin auftreten ließ. Just jener Volker Lösch war es dann auch, der von einer Findungs-Kommission aus Theaterexperten für die neue Leipziger Intendanz empfohlen wurde. Die Leipziger Stadtoberen fürchteten aber wohl das erneute Experiment und bestellten den Chemnitzer Enrico Lübbe, der mit einem ausgewogenen Angebot ans Leipziger Publikum den Vorzug vor Lösch erhielt.
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http://blog.theater-nachtgedanken.de/wp-content/uploads/2013/10/lulu_1-209x300.jpgSie verkörpert Lulu, Nelli, Eva oder Mignon, je nachdem welche seiner Obsessionen ein Mann in ihrer Person verwirklicht sieht. Eine von Männern geschaffene Wunsch-Projektion, die Calis mittels Kamera an die Wand wirft. Maler Schwarz (Tilo Krügel) versucht verzweifelt dieses Idealbild seiner Fantasie in die Kunst zu übertragen. Wie Yves Klein drückt er seinen bemalten Körper an die Wand und ist der erste, der sogar für Lulu mordet. Wie ein Besessener würgt er seinen Auftraggeber Dr. Goll, routiniert gespielt vom alten Leipziger Mimen Matthias Hummitzsch, bis er seinen Tantalusqualen durch eigene Hand im Fahrstuhl ein Ende setzt.
Auf und ab geht es in dieser manischen Männerwelt, in der Lulu ihre eigenen Sehnsüchte nur wie nebenbei in wenigen Sätzen artikulieren darf. Bei ihr ist die Abwärtsspirale vorprogrammiert. Sie kann Macht über Männer nur kurzzeitig im sadistischen Sexspiel ausüben. Wie ein Hündchen führt sie Dr. Schön an der Leine und zwingt ihn einen Brief an seine Verlobte zu schreiben. Hartmut Neuber überzeugt als Erschaffer dieser Femme fatal, der ihr gleichzeitig doch auch hörig ist. Das findet in seinem Sohn Alva (ungelenk und tollpatschig Sebastian Tessenow) seine Fortsetzung. Die Vergangenheit holt Lulu schließlich in der Gestalt ihres Vaters Schigolch (Wenzel Banneyer) ein, der bei Calis ein typischer, sonnenbebrillter Lude ist und seiner Tochter junge Freier zuführt. Verzweifelt geht Lulu aus diesem Spiel an die Rampe und sucht im Publikum nach ihrem Helden, der sie rettet und lieben will, bis der Tod uns scheidet.
Nach Schöns Tod gibt es einen Break und die Parisszenen laufen tatsächlich wie in einem schlechten Pornofilm ab. Hier folgt der Umschwung ins Heute. Das Kolportagehafte an Wedekinds Drama übersetzt Calis in grelle Bilder. Die Männergesellschaft, auch die Gräfin Geschwitz (Dirk Lange) ist hier ein Mann, erholt sich vom Zocken mit Jungfrau-Aktien beim Polonaisetanzen in der Vitrine, die sich langsam mit Wasser füllt und die Schwüle einer Männersauna ausstrahlt. Calis hat hier Anleihen bei den Bunga-Bunga-Partys von Silvio Berlusconi oder Sexvergnügen von hochrangigen Managern der Automobil- und Versicherungsbranche genommen. Am Ende ist man wieder beim starken Bild des Anfangs. Die Männer sprechen im Chor den Text des Rippers, während Lulu langsam ins Wasser gleitet.
Das ist darstellerisch einerseits gut, dann auch wieder recht konventionell inszeniert. Die Schauspieler füllen ihre Rollen aber zum großen Teil mit viel Können aus. Es wird überwiegend originaler Wedekind gesprochen, was dem Abend durchaus Kraft verleiht, auch jenseits der expliziten Szenen. Von Calis hätte man sprachlich auch wesentlich Spezielleres bekommen können. Ob es dieser Szenen bedarf, sei dahingestellt. Wie es um die bürgerliche Moral bestellt ist, weiß man sicher auch in der Messestadt Leipzig. Der dem dortigen Theater sehr verbundene Clemens Meyer hat es gerade in seinem im Leipziger-Rotlicht spielenden Roman Im Stein treffend beschrieben. Nun, der Skandal bleibt aus und es herrscht die Gewissheit, dass Leipzig auch damit in Zukunft den Weg auf ein breiteres Publikum einschlagen wird. Was ja nicht unbedingt Schlechtes bedeuten muss.
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Zuerst am 13. Oktober 2013 auf Kultura-Extra erschienen.
Bewertung: schon gut
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LULU am Schauspiel Leipzig
Regie: Nuran David Calis
Bühne: Irina Schicketanz Kostüme: Amelie von Bülow
Musik: Vivan Bhatti
Dramaturgie: Esther Holland-Merten
Mit: Wenzel Banneyer, Matthias Hummitzsch, Tilo Krügel, Dirk Lange, Hartmut Neuber, Michael Pempelforth, Runa Pernoda Schaefer, Sebastian Tessenow und Niklas Wetzel
Premiere in Chemnitz war am 8. Juni 2013
Leipziger Premiere: 11. Oktober 2013
Weitere Termine: 19. 10. / 1., 22. 11. / 14. 12. 2013 / 18. 1. / 20. 2. / 19. 3. / 12. 4. / 10., 31. 5. 2014
Koproduktion mit dem Theater Chemnitz
Weitere Infos auf: http://www.schauspiel-leipzig.de
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