PISA: Arbeiterkinder organisiert euch!

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Vor zehn Jahren las ich zufällig beim Verlassen des Hauses eine Schlagzeile: "Immer weniger Arbeiterkinder studieren". Das war nicht eine PISA-Meldung, sondern die Bekanntgabe der neuen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, PISA kam wenige Wochen später und machte die Bildungspolitik zum Topthema. Mit der Zeitung in der Hand ging ich direkt zum Allgemeinen Studierendenausschuss, sagte den verdatterten Leuten dort, dass was passieren muss, dass sie mir eine Stelle geben sollen und ich werde dann ein Referat für Arbeiterkinder einrichten.

Zwei Jahre später gab es dann die erste Vollversammlung von studierenden Arbeiterkindern. Immerhin 80 Interessierte kamen und sprachen sich mit einer überwiegenden Mehrheit für die Einrichtung eines Arbeiterkinder-Referates und die Etablierung einer regelmäßigen Vollversammlung von studierenden Arbeiterkindern an der Uni Münster aus.

Seit Januar 2010 gibt dieses Referat nun ein Magazin heraus: The Dishwasher. Magazin für studierende Arbeiterkinder. 2011 wird eine internationale Konferenz organisiert: Working Class Academics Conference. Und politisch-praktische Erfolge (neben der Vernetzung, Aufklärung, Beratung) gibt es inzwischen auch (Ergänzung des Forschungsprojekts "Diskriminierungsfreie Hochschule" der ADS um soziale Herkunft). Also, nicht jammern! Selbstorganisieren!

Dass eine Selbstorganisierung von Arbeiterkindern in Deutschland so schwer ist liegt daran, dass Arbeiterkinder politisch zwischen zwei Stühlen sitzen. Die Neuen Sozialen Bewegungen, die eine Selbstorganisierung von Betroffenen propagierten und in deren Verlauf die Autonome Frauenbewegung, die Schwulen-Bewegung usw. entstanden, nahmen Ende der 1970er den "Abschied vom Proletariat" und damit kamen Arbeiterkinder als politische Subjekte gar nicht erst vor. Die alte soziale Bewegung, die die Arbeiterklasse durchaus als politisches Subjekt in den Mittelpunkt stellte, war hingegen ökonomistisch ausgerichtet und verfolgte nicht die "Politik der ersten Person", wie sie in den Neuen Sozialen Bewegungen propagiert wurden. Hier, bei den Gewerkschaften, SozialdemokratInnen, marxistischen Gruppen, stimmte also das Subjekt, sah aber nicht die Methode der Selbstorganisierung von Arbeiterkindern vor. Dies macht es so schwer, von Klassismus zu sprechen: es fehlt noch an den richtig organisierten richtigen politischen Subjekten.

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Geschrieben von

Andreas Kemper

Ich arbeite als Soziologe kritisch zu Klassismus, Organisiertem Antifeminismus und die AfD

Andreas Kemper

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