Broken Heroes and Fallen Angels –

Käßmann Guttenberg Wenn Moral auf Wirklichkeit trifft ...

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Die Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, die Bischöfin Margot Käßmann tritt von Ihren Ämtern zurück als öffentlich wird, dass sie alkoholisiert über eine rote Ampel fuhr. Die strafrechtlich relevante Alkoholfahrt unternahm Käßmann außerhalb ihrer Dienstzeit, als Privatperson. Allerdings arbeitet sie für eine Institution, die sich als moralische Instanz für alle Lebensbereiche sieht.

Frau Käßmann ist an Managementkriterien gemessen, nicht in und an ihrer Funktion gescheitert. Weder führte sie die evangelische Kirche in den Ruin, noch trieb sie Vettern- oder sonstige Misswirtschaft. Dennoch gibt sie ihre kirchlichen Spitzenämter zurück. „Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so wie ich sie hatte“, begründet Käßmann ihren Rücktritt.

Der CSU Politiker und Verteidigungsminister, Karl Theodor zu Guttenberg zaudert mit dem Rücktritt. Bis zuletzt kämpft er um Funktion und Amt. In seiner Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde hat er fremde intellektuelle Leistungen und Arbeitsergebnisse unter seinem Namen veröffentlicht. Das wissenschaftliche Ethos des originären Verfassens ist bei geltender Rechtslage nur bedingt strafrechtlich relevant. Das Verfahren, der Verdacht auf Urheberverletzung, wurde gegen eine Geldauflage eingestellt.

Als politischer Funktionär gehört Guttenberg einer Instanz an, die ihr Bestandsrecht und Handeln mit moralischen Glaubensätzen legitimiert. Tatsächlich verkörpert sie politischen Machterhalt. In seiner Rücktrittrede führt Guttenberg erschöpftes persönliches Kräftereservoir an. Auch verweist er auf Schadensbegrenzung, die er im Hinblick auf seine Schutzbefohlenen, Soldaten und Bundeswehrangehörigen vorzunehmen habe.

Guttenberg und Kässmann wurden herausragenden Fähigkeiten oder Eigenschaften zugeschrieben. Der Sockel von willfährigen Journalisten vorbereitet, abgegrenzt vom Mainstream werden sie zu ‚Personen des öffentlichen Lebens‘. Das Abweichen von der Norm weckt wohlwollende Aufmerksamkeit. Beide, der Ex-Minister und die Ex-Bischöfin lassen sich nicht nur daran messen, inwieweit sie in der Lage sind anstehende Probleme zu lösen. Im Amt, in der Funktion. Sie erheben Anspruch medien- und öffentlichkeitswirksam zu agieren. Käßmann vermarktet ihre Krebserkrankung und Ihre Scheidung. Guttenberg ist ein Freund medialer Selbstdarstellung und publikumswirksamer Auftritte, wobei er seine Frau miteinbezieht. Als dieses Verlangen sich trifft mit dem Bedürfnis einer immer breiteren Öffentlichkeit, mutieren sie zu Lichtgestalten. Person und Funktion verschmelzen. Entstanden sind Fremdbilder, die wir selbst generieren.

Lichtgestalten vertragen keine Schatten. Kratzer am Lack erweisen sich als tückisch in exponierter Stellung. Eigene und fremde Bilder gegenseitig abzustimmen ist aufwendig. Sind Wahrnehmung und Bewertung von Dritten kaum noch steuerbar kippt nicht nur das Fremdbild. Gerät das Selbstbild erst ins Wanken, helfen keine Klicks bei Facebook sondern nur die Flucht nach vorn.

Guttenberg tritt diese gezwungenermaßen an und redet bis heute sein Versagen klein. Käßmann widerum spricht rettet sie sich „in Gottes Hand“ Die Ratsvorsitzende hat die Regeln des Alkoholverbots am Steuer missachtet. Der Verstoß gegen die gültige Strafprozessordnung ist messbar und zweifelsfrei. Betrunken Autofahren ist laut des Statistischen Bundesamtes 2009, die häufigste Straftat im Verkehr. Im Falle Käßmann ist sie vor vor allem öffentlich. Das Problem ist herausfordernd, hier der faktische (und geahndete) Handlungsverstoß dort dessen moralische Konnotation.

Die Ex-Bischöfin spricht von einem „schwerem Fehler, den sie zutiefst bereue“ und gibt ihre beiden kirchlichen Ämter auf. Auf ein makelloses und zumindest öffentlich untadeliges LebensführungsIdeal ausgerichtet ist das (Selbst)Bild, das die Ex-Bischöfin koppelt an das Recht moralische Forderungen in einem Amt zu vertreten, es sei nur durchzuhalten, "wenn persönliche Überzeugungskraft uneingeschränkt anerkannt wird".

Ihre Bewertung einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss entpuppt sich als Mangel an Trennschärfe zwischen der Ambivalenz eines Menschenlebens, dessen "Fehlbarkeit" in Relation zu Öffentlichkeit steigt und der moralisch idealisierten Überhöung einer Position oder Funktion ("Würde des Amtes"). Wer werfe den ersten Stein im Zeitalter des gläsernen Menschen in der die gnadenlose Beobachtung und Bewertung jeglichen Handelns und Tuns symptomatisch ist?

Nicht jeder kann es sich leisten einen Job oder seine Verantwortlichkeiten hinzuschmeißen, weil er an einer anderen Stelle gefehlt hat. 'Es tut mir leid' kann glaubhaft bekundet oder ein Lippenbekenntnis sein. Das zeigt die Zeit. Mit ihr lässt sich verloren geglaubter Respekt zurückgewinnen oder es kann auf Zeit gespielt werden.

Margot Käßmann tourt zwischenzeitlich auf Vortragsreisen durch die Bundesrepublik oder erhebt Ihre Stimme als Buchautorin. Wie ihr evangelischer Ex-Pastorenkollege Juergen Fliege ist sie in christlicher Menschenfängermanier unterwegs, predigend und moralisierend. Ab 2012 wieder für die evangelische Kirche Deutschlands, als "Lutherbotschafterin". Die brennende Frage, ob das Recht auf moralische Forderungen in der Öfentlichkeit zu vertreten einem Amt oder Kraft der Persönlichkeit geschuldet ist bleibt bestehen.

Auch das Kabinettsmitglied Guttenberg scheitert nicht an seiner Amtsführung. Sie habe keinen Doktoranden eingestellt, lässt uns die Kanzlerin und Kabinettschefin, an ihrem Minister festhaltend, wissen. Systematisches und eigenständiges Arbeiten, innovative und einbettende Gedankenführung zeichnet eine Doktorarbeit im besten Falle aus. Mit diesen sogenannten Softskills wird ein akademischer Grad auf dem Arbeitsmarkt, neben der Fachkunde gewichtet. Politisches und Ministeramt sind Funktionen und keine Lehrberufe. Politiker werden gewählt und Minister werden berufen. Nach Qualifikationen fragt niemand. Da hat die Kanzlerin recht. Was qualifiziert aber eine Person zu einem Job?

2008 wurde der Fall einer vermeintlichen Kinderärztin öffentlich, die als „leistungsbereite, kompetente und engagierte Medizinerin“ vier Jahre in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Eppendorfer Universitätskrankenhauses (UKE) in Hamburg gearbeitet hat. Erst als sie das Original Ihrer Approbationsurkunde nicht vorlegen kann fliegt auf, dass die Frau sämtlich Abschlusszeugnisse des Medizinstudiums gefälscht hatte. Sie wurde zu einer Freiheitsstrafe von anderthalb Jahren auf Bewährung sowie einer Geldstrafe verurteilt. Vergleichbar mit Guttenberg waren die Qualifikationen gefälscht. Anders als Guttenberg hat sie durch ihre praktische Arbeit überzeugt. Die Kanzlerin, hat einem Minister mit dem Entwurf und Umsetzung der Bundeswehrreform beauftragt, der schon an der konzeptuellen Ausarbeitung eigenverantwortlicher Leistungen scheitert. Den Beweis mehr als ein Rhetoriker, zu sein, ist Guttenberg bis heute schuldig geblieben.

Brüche in der Biographie schätzen wir dann, wenn sie als bewältigt und somit verantwortlich getragen in Vergessenheit geraten können. Ob vorsätzlich getäuscht oder Pfuschhandwerk bleibt im Falle Guttenberg Glaubenssache. Guttenberg selbst setzt auf geographische Distanz und Stilveränderung. Journalistische Steigbügelhalter stehen wie ehedem bereit. Das zeugt weder von einem selbstbewussten noch schonungslosen Umgang mit einem porösen Selbstbild bzw. einer ‚Person des öffentlichen Lebens‘.

Ps) Guttenberg‘s Plagiat war nur deshalb möglich, weil das Kontrollorgan versagte das Doktoranden zur Seite gestellt wird. Doktorvater und Prüfungskommission bzw. Gutachter allesamt haben sie weggesehen oder die Arbeit nicht gelesen bzw. korrigiert. Wie die Betroffenen im Nachhinein sich wegducken und aus der Verantwortung stehlen ist schlichtweg lächerlich. Die tägliche Vernachlässigung von Genauigkeit und Sorgfalts- auch Fürsorge(!)pflicht, zu der Hochschullehrende Ihren Studenten und Doktoranden gegenüber verpflichtet sind, ist allerdings nicht nur im Wissenschaftsbetrieb gang und gäbe. Das jedoch ist schon wieder mehr als tragisch.

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Geschrieben von

kmv

kmvotteler | Jedes ausgesprochene Wort erregt den Gegensinn. (Ottilie, Die Wahlverwandtschaften)

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