Revolution und Abrechnung

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Die revolutionären Veränderungen in der arabischen Welt haben die westliche Welt überrascht. Aber nicht sehr lange, denn schon bald wurden diese Ereignisse auf ihre Tauglichkeit zur politischen Tagesabrechnung besehen und instrumentalisiert. Das muss nicht weiter verwundern, so ist es, das politische Welttheater. Man zögert lange mit wirklichen politischen Entscheidungen, aber die Presse schreitet schon mal zur aktuellen Verwurstung.

„Wie haben es politische Freunde und Feinde einst mit den Despoten gehalten, fragt man öffentlich nach Links und nach Rechts. Wie war das mit Mubarak und Ben Ali, wer hat ihnen die Hand gedrückt und wie und warum?“

Gaddafi - die politische

Allzweck-Bezichtigungs-Waffe

Besonders der schrille Gaddafi eignet sich zur politischen Allzweck-Bezichtigungs-Waffe. Vor Zeiten –manchmal auch nur vor einigen Wochen - ergangene Ergebenheits- und Sympathieerklärungen werden ausgekramt.Die Popwelt hat schon gebüßt, man sang für viel Geld vor Gaddafi und den Seinen. Absolut kakophonisch abartig. Mariah Carey, Beyonce und Lionel Richie wurden schon zu Reuebekundungen aufgefordert.

Politiker schüttelten die Hand des Bösen, vor allem seit er nur noch teilzeitböse war, sich aus dem Terrorismus zurückgezogen hatte. Man blickte auf die Operettenorden eines Geläuterten mit dem inneren Gefühl, es doch taktisch ganz richtig gemacht zu haben seit Lockerbie. Er hat sich doch als gewandelt dargestellt.

Ein Revolutionsführer

macht seine Revolution selbst

Gaddafi macht seine Revolutionen selbst, er braucht das Volk dafür nicht, er ist ja der Revolutionsführer. Er hat auf Massenvernichtungswaffen verzichtet und Entschädigungen für die Opfer von La Belle und Lockerbie angeboten. Wie auch immer man ihn sieht, man habe pragmatische Interessenpolitik verfolgt, können die westlichen Politiker durchaus mit Recht sagen. Dass diese Interessen auch ökonomische sind, das zeigen die Waffenlieferungen nach Libyen. Und damit überschritt man hin und wieder auch die Grenzen zur politischen Sauerei.

Vielleicht ist das der Grund, dass „Die Welt“ konstatiert, die westlichen Werte zerfallen, denn die einstigen Befürworter Gaddafis seien in allen politischen Lagern zu orten. Die Welt geht gleich zur Offensive gegen die Linke über, die ein Eingreifen in Libyen ablehnt. Man wolle von alter guter Verbindung ablenken, indem man die Komplizenschaft von Politikern des Westens in den Vordergrund stelle. So geht das hin und her.

Ein strategischer

Bundesgenosse

In der Tat war undist der libysche Revolutionsführer für viele Linke ein strategischer Bundesgenosse, der mit kritischer Sympathie rechnen konnte. So gehört dervenezolanische Präsident Hugo Chavez zu seinen Sympathisanten. Die verflossene DDR pflegte ebenfalls eine recht deutliche Solidarität mit dem Land und seinem merkwürdigen Führer.

Daran änderte sich auch nichts, als der „beliebteste“ DDR-Zentralkomitee-Mitglied Werner Lamberz zusammen mit weiteren DDR-Vertretern, Journalisten bei einem Libyen-Besuch einem Hubschrauber-Attentat zum Opfer fiel. Gemeint seiGaddafis Sohn gewesen, aber der war nicht an Bord. Wie auch immer Gaddafi gehörte zur antiimperialistischen Front und war bei allem Gehabe und Gewese einer, der auf der Seite des Menschheitsfortschritts stand.

Was in der Gegenwart passiert – das hat was von einer umgekehrten biblischen Szene- es erinnert an den Hahn, der dreimal gekräht hat nachdem Petrus leugnete.

„Warst nicht auch Du ein Gewinner der Gaddafi- Sympathie, hast nicht auch Du an seinem Tische gesessen?“ So die aktuelle Frage an alle, denen man am Zeuge flicken will, die man mahnen, die man politisch ein bisschen schurigeln will.

Jean Ziegler - im

Gaddafi-Fadenkreuz

Jetzt ist der Schweizer Politaktivist, Wissenschaftler und Sachbuchautor Jean Ziegler dran. Er soll einen Menschenrechtspreis erhalten haben im Jahr 2002, der von Gaddafi stammt. Er soll ihn nicht angenommen haben, aber er war oft bei Gaddafi.

Das ist die Gelegenheit, den Ruf des mutigen Enthüllers und Kritikers korrupter Politiker und ihrer Praktiken Ziegler ein wenig anzukratzen.

Gern wird dabei vernachlässigt, dass die Sicht aufGaddafi sich im Laufe der Jahre tatsächlich auch bei denen, die im Westen kritisch waren und sind, geändert hat. Das ist - bei solch einer schillernden Gestalt - nicht verwunderlich. Gaddafis Libyen ist ein Land mit Widersprüchen - immer gewesen. Die Rolle der Frau dort war viel weniger eingeengt, aber es gab keine Meinungsfreiheit. Tatsache ist, dass die Menschen in Libyen, Meinungsfreiheit, Demokratie wollen und die hat es im ganzen arabischen Raum nicht gegeben. Nur, dass Gaddafi ihnen ein bisschen mehr bieten konnte, hat das Land ruhiger gehalten. Das Land ist reich, die Menschen hungern nicht.

Und – noch immer weiß niemand wie auch Jens Berger bei den Nachdenkseiten u. a. einwendet, ob es wirklich der Ruf nach Demokratie ist, der allein den Konflikt in Libyen bestimmt oder sind es auch verschiedene Mächte und Stämme, die sich diesen Konflikt zu Diensten machen.

Auch Saudiarabien

hat seinen Tag des Zorns

Und während die Bezichtigungen hin und her gehen, wird auch in Saudiarabien – etwas leiser begleitet von den Medien – inzwischen ein Tag des Zorns begangen.

Steinigungen sind dort noch immer akzeptiert und manchmal sogar von den Delinquenten als gerechte Strafe angenommen.

Es sind die Saudis, die jene Kräfte unterstützen, die eher zu verstärkter Islamgläubigkeit tendieren. Der saudische König schüttelt trotzdem noch immer viele Hände.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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