Volkes Stimme? Nicht jedes Referendum ist Beitrag zu mehr Demokratie

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Der Vorstoß des griechischen Premiers (Volksabstimmung), die erpresserische Reaktion der Euro-„Partner“ (kein Geld mehr) und der darauf folgende Athener Rückzug nebst angeschlossenen Volten (vorübergehende Expertokratie, Neuwahlen) – all das wirft Fragen auf. Zum Beispiel die, was Georgios Papandreou tatsächlich beabsichtigt hat und ob, das wird mehr von Ferne aus diskutiert, mit der Griechen-Abstimmung gleich auch die Demokratie in Europa abgesagt worden ist. „Er gibt seinem gezeichneten Volk die Stimme zurück“, hieß es im Freitag noch vor dem nächsten Schwenk. „Das Volk wird sich seiner eigenen Souveränität wieder bewusst.“ Und in der Frankfurter Allgemeinen befand man, der Ministerpräsident habe „nicht nur das Richtige“ getan, „indem er das Volk in die Pflicht nimmt. Er zeigt auch Europa einen Weg.“

Das ist hierzulande vielleicht falsch verstanden worden, jedenfalls nicht richtig. Frank Schirrmacher hat erstens etwas ausgesprochen, das der direkt-demokratischen Euphorie, so kurz sie auch währte, einen empfindlichen Schlag versetzen musste: die Wahrheit. „Das Volk in die Pflicht nehmen“, und genau das wäre der Charakter des Referendums in Griechenland gewesen, klingt nämlich schon gar nicht mehr so partizipativ. Der Politologe Wolfgang Gessenharter hat seine diesbezüglich Skepsis auf publikative.org so formuliert: „Ich habe es als höchst problematisch empfunden, dass der griechische Regierungschef Papandreou das Volk zu einem Referendum zwingen will – und zwar nachdem er nicht mehr weiter weiß. Plebiszitäre Verfahren tragen aus meiner Sicht nur dann zu einer Verbesserung der parlamentarischen Demokratie bei, wenn sie von unten nach oben angestrengt werden und nicht umgekehrt.“ Der Ministerpräsident habe „das Volk sozusagen zur Hilfe“ gerufen, „ohne dass dieses vorher überhaupt die Möglichkeit gehabt hätte, die Inhalte dessen, was zur Abstimmung steht, mit zu gestalten“. (Ähnlich urteilt die kommunistische Partei in Griechenland, aber gegen wen spricht das jetzt?)

Hat Papandreou aus falschen Gründen trotzdem das Richtige vorgeschlagen? Gegen neue und vor allem erweiterte Formen der demokratischen Beteiligung in Zeiten der Krise des Repräsentativen spricht ja erst einmal nichts. Im Gegenteil: Die Debatte über Referenden, über (nationale?) Souveränität in Zeiten einer autoritären, auf Austerität orientierten europäischen Neo-Integration, ist gerade jetzt wichtig – weil sich nun auch falsche Freunde der direkten Demokratie zu Wort melden. CSU-Generals Alexander Dobrindt zum Beispiel oder dessen Parteifreund Thomas Silberhorn, die nun sogleich Volksabstimmungen über die Europa-Politik in Deustschland gefordert hatten. Die Opposition hat zu Recht beklagt, dass hier „Nationalisten und Neoliberale“ plötzlich „ihre Liebe zu Volksentscheiden“ entdeckten, die bisher noch jeden Bundestags-Antrag zur Erweiterung direktdemokratischer Formen abgelehnt haben. Bürgerbeteiligung nur dann zu fordern, „wenn es gegen Europa oder den Islam geht“, so Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, sei „nicht demokratisch, sondern rechter Populismus“. Und auch sein Kollege von der Linksfraktion Gregor Gysi zweifelte, dass die Forderung aus den Unionsreihen ernst gemeint gewesen sei. Nichtsdestotrotz sei es "höchste Zeit für mehr Demokratie" in der Bundesrepublik.

Aber was ist das genau: mehr Demokratie? In der Union, wo der CSU-Vorschlag keineswegs überall auf Beifall stieß, wurde ein eher taktisches und ein eher inhaltliches Argument formuliert. Parlamentsgeschäftsführer Peter Altmaier hielt es gegenüber der Süddeutschen „für hochproblematisch, wenn wir die ohnehin schwierige Lage, die durch die Ankündigung des griechischen Referendums entstanden ist, mit der Forderung nach weiteren Referenden verkomplizieren“. Und im Übrigen sei er der Auffassung, „dass gerade in schwierigen Zeiten wie dieser die repräsentative Demokratie ihre Stärke“ entfalte. Das klingt nach einer Haltung, welche direkte Demokratie nur bei schönem Wetter zulassen will und wenn das Ergebnis nur niemanden stört. In der Absage von Grünen und Linken an dem CSU-Vorstoß wiederum tauchen bereits zwei zentrale Elemente der Debatte über Volksabstimmungen auf: das Argument, direkte Demokratie könne von Demagogen missbraucht werden, ebenso wie die (übersteigerten) Hoffnung, die mit plebiszitären Erweiterungen verbunden sind. Denn was Trittin und Gysi wollen ist ja: die bessere, gewissermaßen gute Volksabstimmung.

Wann wäre eine solche eine bessere? Dass sie nicht von der CSU vorgeschlagen wird, dürfte als Kriterium kaum reichen. Wolfgang Merkel hat sich in der neuesten Ausgabe von Aus Politik und Zeitgeschichte (siehe auch hier) mit der „Illusion und Realität“ von Volksabstimmungen befasst. Nicht einfach so, weil das ein Evergreen der Politikwissenschaft und Demokratieforschung ist, sondern weil - Stichworte Wutbürger, Post-Demokratie etc. – die Frage nach einer Ergänzung, Erweiterung, Qualifizierung der repräsentativen Demokratie umso dringender auf die Tagesordnung rückt, je mehr deren Entleerung, Ermüdung, Aushöhlung erkennbar wird. Vom Griechenland-Referendum konnte der Autor noch nichts wissen. Unter dem Strich kommt Merkel zu einem ablehnenden Befund.

Vielleicht liegt in der skeptischen Argumentation aber gerade der Charme dieser Tage – nicht zuletzt für die Befürworter von direkter Demokratie, welche an Merkels Diagnose ihre eigene Position schärfen könnten. „Die Erwartungen der Befürworter sind hoch“, schreibt der WZB-Mann, „die Hoffnungen richten sich vor allem auf die Intensivierung demokratischer Partizipation, die Entwicklung von Bürgertugenden, auf Diskurs und Deliberation während der Abstimmungskampagnen sowie eine Stärkung der vertical accountability. Um die Debatte zwischen Befürwortern und Kritikern, Optimisten und Pessimisten gehaltvoll führen zu können, genügt ein erneuter Abgleich der allgemeinen Positionen nicht.“ Merkel schlägt deshalb vor, zusätzliche direktdemokratische Elemente danach zu bewerten, ob sie auf je bestimmtem Terrain „die Qualität der Demokratie heben“, das heißt, sowohl zur Lösung der Probleme beitragen als auch die demokratische Positionsgewinne der vergangenen Jahrzehnte nicht zu gefährden.

Ein Denk-Weg zwischen den beiden Polen der Debatte um direkte Demokratie, also zwischen vorteilsbeladene Ablehnung und wirklichkeitsfremdem Optimismus, kann sich alsbald als nützlich erweisen. Denn so, wie Angela Merkel und Nicolas Sarkozy den Athener Vorstoß umgehend niederzwangen, so wenig kann man sich sicher sein, dass nicht dieselben Regierungen – wenn es ihnen opportun und machtpolitisch nützlich erscheint – auch einmal zum Referendum „von oben“ rufen.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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