Dagmar wer?

Wahlkampf Steinmeier hat sein Kompetenzteam vorgestellt und hofft auf ein Aufbruchssignal. Aber verbrauchte Minister und unbekannte Namen können die Sozialdemokraten nicht retten

Na klar, Ulla Schmidt: Mit dem Dienstwagenaffärchen der Gesundheitsministerin lag schon ein Schatten über Frank-Walter Steinmeiers angeblichem Schattenkabinett, als noch über die Namen möglicher Protagonisten spekuliert wurde. Mit Chauffeur in den Urlaub! Steuergeldverschwendung! Typisch Politiker! Der ursprünglich geplante Startschuss für den SPD-Wahlkampfendspurt musste unter solchen Bedingungen nach hinten losgehen. Selbst schale Dienstwagenwitze des Außenministers konnten darüber nicht hinweghelfen. Wenn überall zu lesen ist, dass Ulla Schmidt die Dramaturgie des sozialdemokratischen Aufbäumens über den Haufen gefahren hat, dann glauben es auch bald alle.

Es ist wie eine große Ausrede aus Versehen. Denn einmal angenommen, die spanischen Wahlhelfer der Union hätten den Wagen gar nicht erst gestohlen, sondern stehen lassen? Hätte man die Vorstellung des Kompetenzteams unter besseren Bedingungen tatsächlich leichter als Aufbruchssignal verkaufen können? Wen hat sich Steinmeier da eigentlich als Pacemaker für die letzten Runden vor dem 27. September ausgesucht? Verbrauchte Minister und unbekannte Namen aus der dritten Reihe der SPD sind weder "die besseren Köpfe", wie der Kanzlerkandidat behauptet, noch bringt man mit ihnen "die besseren Ideen" in Verbindung.

Sigmar Gabriel zum Beispiel, eine Art ewige Nachwuchshoffnung, der derzeit vor halb leeren Sälen durch die Republik tourt und dem man seinen Anti-Atom-Wahlkampf schon deshalb nicht glauben mag, weil es doch eigentlich ein Thema der Grünen ist und die SPD, als sie noch den Kanzler stellte, beim Atomausstieg nicht mir Ruhm bekleckert hat. Oder Olaf Scholz, der Arbeitsminister, der kurz vor Torschluss mit der Forderung nach Anhebung des Schonvermögen für Erwerbslose urplötzlich etwas auf die Tagesordnung setzt, was die SPD bisher – weil die Idee von anderen kam – mehrfach verhindert hat. Nicht ungeschickt stößt Guido Westerwelle am Tag der Kandidatenkür in das selbe Horn und lässt Scholz als einen SPD-Kandidaten dastehen, der FDP-Ziele vertritt.

Auch der Rest der amtierenden sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder ist so etwas von Anti-Aufbruch, dass man es kaum in Worte fassen kann: Steinbrück, Tiefensee, Zypries. Und Heidemarie Wieczoreck-Zeul, die ist doch Entwicklungshilfeministerin auf Lebenszeit, oder? Mit der „roten Heidi“ und Andrea Nahles finden sich letztlich auch nur zwei Sozialdemokraten im Kompetenzteam“, die noch als SPD-Linke bezeichnet werden. Man hat den Eindruck, als ob diese Parteiströmung gar nicht mehr existiert. Oder vielleicht haben Leute wie Niels Annen, Björn Böhning, Klaus Wowereit und andere lieber abgewunken, als man sie fragte. Ihre Chance könnte kommen – nach der Ära Steinmeier, der die Verantwortung für die absehbaren Wahlschlappe mit seinem Team schon jetzt auf mehrere Schultern verteilt und im Herbst so vielleicht Seeheimer wie Thomas Oppermann mit sich reißen wird.

Sieht man einmal von den „Externen“ ab, mit denen sich Parteien ebenso gern wie erfolglos in Wahlkämpfen schmücken, bleiben noch Namen von Politikern, die wohl das "Neue", "Frische" an der SPD darstellen sollen. Nur verhältnismäßig jung zu sein, wie Hubertus Heil, ist aber kein Wert, wenn man jahrelang als Treuer Diener jener SPD-Spitze amtiert hat, die den zustand der Partei erst verursacht hat. Ebenso wenig dürfte es von Vorteil sein, wenn die "Zugpferde" der Wahlkampagne nur einer Minderheit bekannt sind. Von Manuela Schwesig, eine Art Anti-von-der-Leyen, hat man jenseits der Schweriner Stadtgrenzen erst vor ein paar Tagen etwas gehört. Ulrike Mertens Name ist allenfalls unter verteidigungspolitischen Experten geläufig, Karin Evers-Meyer amtiert seit 2005 als Behindertenbeauftragte, Dagmar Freitag hat irgendwas mit Leichtathletik zu tun und für Carola Reimann hat sich offenbar die Mitgliedschaft bei den SPD-Netzwerkern ausgezahlt.

Gewerkschafter? Linke Kulturleute? Kritische Geister? Protagonisten einer über Parteigrenzen hinausreichenden Reformperspektive? Fehlanzeige. Die von Steinmeier vorgestellte Runde ist kein Aufbruchssignal für den Wahlkampf. Und ein Personaltableau, das für den Versuch stehen könnte, aus dem sozialdemokratischen Dilemma herauszufinden, schon gar nicht.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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