Keine Antwort

Nordrhein-Westfalen Das Verfassungsgericht hat den rot-grünen Nachtragshaushalt gekippt. Das Urteil gibt aber keine Antwort auf die Frage: Wie viel Schulden wollen wir uns leisten?

Nein, eine "schallende Ohrfeige" für Rot-Grün, wie der CDU-Wirtschaftsrat jetzt sogleich posaunte, ist das Urteil des Verfassungsgerichtshofs nicht. Eher ein Spruch, der auf ein weit größeres Problem aufmerksam macht, ohne es zu lösen.

Die Münsteraner Richter haben den Nachtragsetat 2010 für verfassungswidrig erklärt, weil er gegen die nordrhein-westfälische Verschuldungsgrenze verstößt. Die besagt: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen entsprechend den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in der Regel nur bis zur Höhe der Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen in den Haushaltsplan eingestellt werden.“ Etwa 2,8 Milliarden Euro neue Schulden wollten SPD und Grüne nachträglich aufnehmen – der größte Brocken sollte der Abdeckung von Spekulationsrisiken der WestLB dienen, weitere 750 Millionen hat die Minderheitsregierung mit der unzureichenden Vorsorge der schwarz-gelben Vorgängerkoalition begründet. Ein eher kleiner Teil dient der finanziellen Entlastung der gebeutelten Kommunen und der Schaffung neuer Stellen.

Streit um den Investitionsbegriff

Eine plausible Herleitung hätten die Richter nur darin gesehen, wenn Rot-Grün hätte erklären können, dass die Schulden zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts dienen. Das sei aber nicht geschehen. Der entsprechende Artikel aus der Landesverfassung, auf den sich das Urteil stützt, enthält aber noch einen anderen zentralen Begriff: den der Investitionen. Es ist für eine Gesellschaft, die sich bei der Verschuldung Regeln unterwirft, eine zentrale Frage, was sie darunter verstehen will. Und es wird ja schon lange darüber gestritten: Die Karlsruher Kollegen der Münsteraner Richter zum Beispiel hatten sich schon 1989 beklagt, dass der Gesetzgeber eine nähere Festlegung des Investitionsbegriffs trotz ausdrücklicher Bitte immer noch nicht vorgelegt habe. Und bis heute ist diese Diskussion nicht groß vorangekommen. Als Investitionen gelten zum Beispiel Baumaßnahmen, Ausgaben für Bildung dagegen nicht.

Man kann nun darauf verwiesen, dass eine von oben nach unten umverteilende Steuerpolitik das Problem leicht lösen könnte. Für die Länder bestehen auf der Einnahmeseite aber kaum Stellschrauben. Solange es bundespolitisch keine anderen Mehrheiten gibt, bleibt der Gestaltungsspielraum von Politik also nicht zuletzt von Krediten abhängig. Eine Möglichkeit, die von der Schuldenbremse bald blockiert wird. Ab spätestens 2020 müssen die Länder ihre Haushalte ohne neue Kredite finanzieren.

Mehr Geld für Jugendhilfe als für Kitas

Mit Schulden lassen sich künftige Ausgaben begrenzen – man könnte das Investieren nennen. Zum Beispiel mit einer Verbesserung des Steuervollzugs durch neue Steuerprüfer. Oder durch einen besseren Betreuungsschlüssel in Bildungseinrichtungen und die Entlastung von Kommunen, die Geld brauchen, um freiwillige Leistungen etwa im Kulturbereich weiter finanzieren zu können. Das sind Einsätze, die sich zwar nicht in zwei, drei Jahren bemerkbar machen, die sich aber später auszahlen – zum Beispiel in viel geringeren sozialen Reparaturkosten. Duisburg, um ein Beispiel für die Dimension zu geben, gibt heute mehr Geld für die Jugendhilfe aus als für die Kita-Betreuung. Gut ausgebildete Beschäftigte bringen überdies mehr Steuereinnahmen. Und ein grundlegender Umbau unter sozial-ökologischem Vorzeichen ist auch nicht für umsonst zu haben – hätte aber zweifellos auch den Charakter einer „Ausgabe mit zukunftsbegünstigendem Charakter“, die das Landesverfassungsgericht im Januar in einer vorangehenden Eilentscheidung zum Maßstab gemacht hatte.

Die rot-grüne Koalition, hat der CDU-Landesvorsitzende Norbert Röttgen jetzt kurz nach dem Münsteraner Urteil erklärt, sei „des Verfassungsbruchs überführt“. Vielleicht hat er vergessen, dass in Nordrhein-Westfalen Verstöße gegen die Kreditfinanzierungsgrenze auch in schwarz-gelben Regierungszeiten üblich waren. Der "Arbeiterführer" Jürgen Rüttgers hatte seine Gründe.

Wie viel Schulden wollen wir uns leisten? Diese entscheidende Frage kann ein Verfassungsgericht ebenso wenig beantworten wie es Neuwahlen tun würden, die in Nordrhein-Westfalen nun wohl weiter diskutiert werden.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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