»Von Normalität kann keine Rede sein«

Fukushima Der Beginn der Katastrophe jährt sich zum zehnten Mal. Anlässlich des Jahrestages hatten mehrere Umweltverbände zu einer Demonstration in Berlin aufgerufen

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Am 11. März 2011 führten das stärkste Erdbeben in der Geschichte Japans und ein verheerender Tsunami zu Kernschmelzen im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi ‒ und einer Überflutung im Atomkraftwerk Onagawa ‒ sowie zum Austritt von Radioaktivität. Wegen der Strahlenbelastung wurden im März 2011, nach Angaben der Organisation Japanese Against Nuclear, 184.670 Menschen in einem 20-km-Radius um Fukushima Daiichi evakuiert. Nach einer Dekade sind die havarierten Reaktoren in Fukushima immer noch eine erhebliche Gefahr ‒ auch angesichts der geplanten Verklappung kontaminierten Wassers ‒ dessen Schadensbeseitigung bisland rund 75 Milliarden US-Dollar gekostet hat und Aufräumarbeiten noch 100 bis 200 Jahre dauern, wie das Inforadio anschaulich berichtet. Dennoch plant die Regierung ab dem 25. März einen olympischen Fackellauf in den verstrahlten Gebieten der Präfektur Fukushima.

Anlässlich dieser Ereignisse demonstrierten am 6. März etwa 200 Menschen in Berlin für einen sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Zu dieser »Kazaguruma« (Windrad) Demo hatten Sayonara Nukes Berlin, NaturFreunde Deutschland, Greenpeace Energy und Anti Atom Berlin aufgerufen. Die Initiierenden der Demonstration bemängeln, dass bisher weder Deutschland noch Japan dem Atomwaffenverbotsvertrag beigetreten sind, der am 22. Januar 2021 in Kraft getreten ist, nachdem Honduras diesen als 50. Staat ratifiziert hat. Zudem fordern sie die sofortige weltweite Stilllegung aller Atomkraftwerke, ein Verbot von Uranabbau und Urananreicherung sowie die Stilllegung der Urananreicherungsanlage Gronau und der Brennelementfertigungsanlage Lingen. Weitere Forderungen sind die Auflösung von Atomtechnik fördernden Organisationen wie EURATOM und eine »Umlenkung aller der Atomtechnik gewidmeten Fördermittel und Subventionen zugunsten Erneuerbarer Energien und einer zivilgesellschaftlich kontrollierten Forschung zum Umgang mit dem Atommüll«. Kritisiert wurde auch, dass Atomkraftbewürworter die Atomenergie fälschlicherweise als klimaneutral bezeichnen. Uwe Hiksch von NaturFreunde Berlin, der die Veranstaltung angemeldet und moderiert hat, sagte: »Der Atomkreislauf ist jedoch alles andere als klimagerecht: Bereits beim Uranabbau werden riesige Mengen CO2 freigesetzt, ganz abgesehen von der Produktion von Uranbrennstäben.«

Die erste Rednerin war Yû Kajikawa von Sayonara Nukes Berlin. In ihrer Rede gab sie zu bedenken, dass die Regierungsverantwortlichen in Japan niemanden für die Nuklearkatastrophe zur Rechenschaft ziehen und den Wiederaufbau von Fukushima medienwirksam inszenieren. Anstelle von genaueren gesundheitlichen Untersuchungen oder korrekten Messungen radioaktiver Kontamination von Böden, Gewässern und Luftraum, führe die japanische Regierung eine Reihe von Kampagnen durch. Mit manipulativer Werbung im großen Stil werde suggeriert, alles sei in Ordnung und unbedenklich. So mache die Regierung die Schäden durch die Katastrophe immer unsichtbarer, lasse die Opfer in Stich und lockere die für den Strahlenschutz geltenden Regelungen immer weiter. Zur Lage in der Präfektur sagt Kajikawa: »von Normalität in der betroffenen Region kann keine Rede sein«. Sie weist auf »schätzungsweise insgesamt ca. 900 Tonnen« hochradioaktiver Brennelemente hin, die »durch den Druckbehälter hindurch geschmolzen und sich unter den Reaktorruinen 1 bis 3 befinden«. An diese könne sich niemand nähern, so dass keine präzise Untersuchung möglich sei.

Nach Ansicht von Dr. Alex Rosen, Co-Vorsitzender des Vorstands der deutschen Sektion der Organisation IPPNW, ist die Atomkraft nicht beherrschbar und stellt ein absolut inakzeptables gesellschaftliches Risiko dar. Die Atomkraft diene »am Ende nur einigen Monopolkonzernen und der Rüstungsindustrie, die die zivile Infrastruktur benötigt, um auf Kosten der Steuerzahler weiter Atom-U-Boote und Langstreckenraketen stationieren zu können«, so der Kinderarzt und Spezialist für die gesundheitlichen Folgen ionisierender Strahlung.

Der Demozug umfasste eine kurze Strecke von rund 1,5 Kilometern. Genauso wie beim Auftakt fand die Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor statt. Als letzter Redner sprach Uwe Hiksch. Er wies darauf hin, dass mehrere EU-Staaten Atomkraftwerke planen und bauen ‒ etwa Polen, Großbritannien, die Tschechische Republik, die Slowakei, Ungarn, Slowenien, Litauen, Rumänien, Bulgarien und Finnland. Außerdem betonte er die Gefahr, die die kürzlich von der französischen Regierung beschlossenen Laufzeitverlängerungen für die 32 ältesten Atommeiler von 40 auf 50 Jahren bedeuten. Außerdem haben 16 Staaten in Afrika Beschlüsse für den Bau von Atomkraftwerken gefasst. Diese Politik hindere den Ausbau von Wind- und Solarenergieanlagen, so Hiksch. Er ergänzte: »Wir sagen nein zu Atomenergie weltweit«. Während der Reden wurde auf mehrere Petitionen hingewiesen, unter anderem »10 Jahre Fukushima, leitet kein verseuchtes Wasser ins Meer! Stoppt die AKWs!« und »Keine olympischen Wettbewerbe in Fukushima!«.

Dieser Artikel erschien zuerst in den DGS News, in einer längeren Fassung.

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Geschrieben von

Tatiana Abarzua

Umweltingenieurin & Journalistin. Energiewendebewegt & Fotografiebegeistert.

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