Albtraum Aleppo

Syrien Nach dem Scheitern der Diplomatie, sprechen abermals die Waffen. Das müssen zum größten Teil die zwei Weltmächte verantworten, die sich in Syrien zu verlieren drohen.

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Es half nichts. Die einwöchige Waffenruhe in Syrien, ausgehandelt von den USA und Russland, scheiterte, ohne wirklich funktioniert zu haben. Von Anfang distanzierten sich zu viele Oppositionsgruppen vom Abkommen, als dass ein Bestand wirklich viele Chancen hatte. Auch wenn die Kämpfe in und um Aleppo immerhin für einige Tage ruhten, entluden sich diese nach dem Bruch der Feuerpause nur umso heftiger über die Stadt. Die schwersten Bombardierungen, die heftigsten Gefechte, die verlustreichsten Tage. Die Schlacht um Aleppo scheint zu dem zu werden, was vor einiger Zeit prognostiziert wurde: Die blutigste Stadt im gesamten Konflikt.

Es ist schwer einen Überblick über die vielen Toten und Verletzen zu haben, sowohl auf Seiten der Zivilisten als auch der beteiligten Kämpfer. Doch dass die Zahl die vierstellige Marke innerhalb von allein zwei Wochen überschritten haben dürfte, kann durchaus angenommen werden. Unzählige Luftangriffe, darunter auch mit bunker busters, verwandeln das Leben in Aleppo in etwas, was den Begriff Leben nicht wirklich verdienen kann. Angriffe auf medizinische Einrichtungen, wildes Artilleriefeuer, Straßenkämpfe, die Stadt wird zum Synonym für einen der verheerendsten Konflikte seit dem zweiten Weltkrieg.

Wer trägt die Schuld?

Aleppo ist eine zweigeteilte Stadt. Der Westen wird von der syrischen Regierung kontrolliert, derOsten von Oppositionskräften. Luftangriffe auf den östlichen Teil fordern den größten Blutzoll und machen zusammen mit dem Belagerungsring die Situation für die Einwohner dort untragbar. Beschuss mit Mörsern auf den Westteil ist längst nicht so destruktiv, aber die betroffenen Menschen genauso verheerend. Wie es konnte so weit kommen? Von schweigenden Waffen zu ohrenbetäubenden Kriegsgedöns, das bis nach Europa schallt, liegen nur wenige Tage.

Die angekündigte Feuerpause entpuppte sich als nichts Anderes als kurzes Verschnaufen, ein kurzweiliges Geschenk zum islamischen Opferfest, ein kurzes Trösten für die Brutalität, die binnen weniger Tage über die Menschen entladen würde. Denn das ausgehandelte Abkommen war von Anfang an nicht wirklich durchdacht gewesen und konnte gar nicht lange halten.

Russland und die USA, die Feuerpause aushandelten, versuchten von vornherein einen der größeren Streitpunkte untereinander zu klären, indem sich beide einigten den Kampf gegen die stärkste Islamistenfraktion im Land, die al-Nusra-Front, miteinander zu koordinieren. Dadurch hofften sie über den gemeinsamen Nenner in Syrien, den Kampf gegen Terrorismus, eine Kooperation und Absprache in anderen Fragen anzustoßen. Doch das war unrealistisch. Zunächst standen dem letztlich vom US-Außenministerium ausgehandelten Abkommen das US-Militär kritisch gegenüber. Die Militärs schienen nicht wirklich bereit gewesen zu sein, mit russischen Kollegen zusammenzuarbeiten. Die gemeinsame Einsatzzentrale in Genf, aus der hinaus der Kampf gegen al-Nusra koordiniert worden wäre, wurde deshalb mehr als bereitwillig von US-Soldaten geräumt, nachdem das Abkommen scheiterte.

Mangel an Glaubwürdigkeit

Es sprach nicht für die Position der USA, eine einheitliche Linie nach außen vorzutragen, wenn intern deutliche Kritik und Unstimmigkeit herrschen. Die teils divergierenden Ansichten zwischen Pentagon, State Department und Washington vermitteln keinen seriösen Eindruck am Verhandlungstisch. Insbesondere, wenn diese sogar öffentlich werden. Die Glaubwürdigkeit der US-Amerikaner, ausgehandeltes auch umzusetzen, schwindet dadurch, nicht nur gegenüber den Russen, sondern auch den Konfliktparteien in Syrien. Wenn dementsprechend die USA sich hinter dem Abkommen stellten, erhöhte das nicht unbedingt das Vertrauen in ebenjenes. Auf keiner Seite.

Deutlich wurde dies in Deir ez-Zor. Die syrische Armee hält dort im Osten des Landes seit 2012 eine Enklave inmitten von Da’esh Gebieten und wurde, wie es offiziell heißt, aus Versehen von US-Kampfjets bombardiert. Dadurch starben dutzende Regierungssoldaten und im entstandenen Chaos gelang es den Jihadisten die erste Verteidigungslinie der Stadt einzunehmen. Einen größeren Gesichtsverlust könnte es für die US-Amerikaner gar nicht geben und es dürfte in Zukunft schwer werden, Deals mit den USA bei der syrischen Regierung anzubringen.

Immerhin gaben die USA ihren Fehler offen zu, auch wenn dieser von bestimmten Kreisen sicherlich nicht als solcher akzeptiert wird, während der desaströse Angriff auf einen UN-Hilfskonvoi bis heute verschleiert wird. Sollten erste Berichte zutreffen, muss der Angriff auf Luftstreitkräfte der pro-Regierungsachse zugeschrieben werden. Das wird das letzte Maß an Kredibilität, was Moskau bei der Opposition besaß, beseitigt haben.

Wer kontrolliert wen?

Dementsprechend war es kein Wunder, dass der Trend, der sich schon vor einem Jahr abzeichnete, nur verstärkt wurde: Der Versuch der USA, über die Unterstützung von syrischen Rebellen, eine Kraft zu schaffen, die Extremisten im Land bekämpft, schlug absolut fehl. Ob einzelne, US-finanzierte Milizionäre, die offen zugaben, lieber gegen die syrische Armee als gegen al-Nusra vorzugehen oder die syrischen Koalitionstruppen von „Euphrates Shield“ und zur Hilfe ausgesendete US-Spezialkräfte uncharmant vertrieben, zeigen deutlich, dass der syrische Widerstand, entgegen erster Erwartungen, von Washington oder Langley aus nicht kontrolliert werden kann. Die Verbindung zwischen al-Nusra und anderen Rebellengruppen ist sicherlich nicht so dominant, dass man diese nicht voneinander trennen sollte, wie die pro-Regierungsseite vorschlägt, aber doch fester als sich manche eingestehen wollen. Zum Teil kommt das dadurch, dass sich al-Nusra über die Zeit erfolgreich als „nationaler“ Widerstand proträtieren lassen konnte und als stärkste Rebellengruppe eine Abkehr von ihr nicht ganz so einfach ist.

Die USA, die immerhin zusammen mit der Türkei und Geldern aus Saudi Arabien und Katar, die syrische Opposition unterstützte und teils aufbaute, muss diese Entwicklung mitverantworten. Letztlich wurden mehr als umstrittene Oppositionskräfte vom Ausland finanziert, unter anderem die Nour al-Din al-Zenki Bewegung oder auch Ahrar al-Sham. Die USA versagten dabei, diese Unterstützung auf moderate Gruppen zu forcieren. Stattdessen stellen Gruppen wie oben genannte mitunter den stärksten Block im Norden Syriens und weigern sich partout al-Nusra abzuschwören. Als Fortschritt können derzeit einzig die Reiberein zwischen Jund al-Aqsa und Ahrar al-Sham in der Idlib-Provinz nördlich von Hama betrachtet werden, nachdem erstere vorgeworfen wurde mit Da’esh zu kooperieren. Da aber beide Gruppierungen eher zum extremistischeren Widerstand gezählt werden können, sollte man diese Entwicklung nicht allzu überschätzen.

Russland und letztlich Iran tragen durch teilweise rücksichtslose Kriegsführung, aber auch der uneingeschränkten Unterstützung der syrischen Regierung zu dieser Radikalisierung bei. Anstatt Einfluss geltend zu machen, um beispielsweise humanitäre Hilfen für Rebellengebiete aufzustocken oder den Einsatz von Fassbomben zu verringern, wurde zu wenig kritisiert oder zumindest ohne wirkliche Wirkung.

Aleppo selbst muss nun den Preis für das geopolitische Schauspiel zahlen, das krachend gescheitert ist. Nach den Luftschlägen wird höchstwahrscheinlich eine weitere Komponente in den Kampf um die Stadt hinzukommen: Der Häuserkampf. Denn die syrische Regierung hat klar gemacht, ganz Aleppo erobern zu wollen. Dass ein Ringen von Straßenzug zu Straßenzug schnell in einem Gemetzel ausarten kann, wird dabei als notwendiger Blutzoll akzeptiert. Die UN hat bereits deutlich gemacht, dass der Ost-Teil Aleppos bei einer Fortführung der Kämpfe bis Weihnachten komplett zerstört sein wird. Zwei UN-Resolutionen, eine von Frankreich, eine von Russland, die ein Ende der Kämpfe forderten, wurde im Sicherheitsrat blockiert. Damit dürfte das Ringen um Aleppo in die nächste Phase gehen. Eine vielleicht letzte Option, die das noch verhindern könnte, liegt allein bei al-Nusra: Wenn ihre Kämpfer die Stadt verlassen, könnten Verhandlungen starten. Bis jetzt lehnen sie ab. Und entfesseln damit ein Inferno.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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