Humanitärer Stillstand

Aleppo, Mossul, Sana'a So wuchtig die Eroberung Aleppos Leid und Not entfesselt, so sinn-/ und wirkungslos wirkt die internationale Reaktion darauf. Und Medien scheitern daran, es zu benennen.

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4.000 Jahre - in den Worten von UN Berater Jan Egeland - hat es gedauert Aleppo aufzubauen, hunderte Generationen. Doch hat es eine einzige Generation geschafft, die Stadt nahezu zu zerstören.

Aleppo, die ihren deutschen Namen den alten italienischen Seefahrernationen verdankt, die diese Stadt vor Jahrhunderten in ihr Handelsnetz aufnahmen, ist das Symbol für den Syrischen Bürgerkrieg geworden. Kaum eine andere Stadt war dermaßen oft im Fokus der Weltöffentlichkeit, kaum eine andere Stadt dermaßen klar geteilt zwischen Regierungsseite und Opposition. Was sich vor Monaten ankündigte, scheint fast vollendet zu sein: Aleppo wird komplett erobert, es wird das Ende der Zweiteilung.

Zumindest grob. Immerhin halten kurdische Milizen noch einen der Distrikte im Norden der Stadt, zudem werden einige Quartiere nach intensiven, zahllosen Luftangriffen kaum noch bewohnbar sein. Die neue Zweiteilung Aleppos wird nicht nach politischer Verbundenheit gehen, sondern nach zerstört und nicht-zerstört. Und das wahrscheinlich für eine ganze Weile, an Wiederaufbau denkt im Moment niemand ernsthaft.

Es wäre auch zu früh. Auch wenn die Regierungsseite massive Vorstöße in den letzten Tagen verzeichnen konnte, so stehen noch einige kleine Teile unter Kontrolle der Opposition und damit Zivilisten zwischen den Linien. Zahlen sind unmöglich zu benennen, man kann lediglich eins konstatieren: Es sind viel zu viele.

Genau um den Aspekt dreht sich die angelaufende mediale Berichterstattung über Aleppo. Die unzähligen Zivilisten, über deren Schicksal so intensiv geredet und gestritten wird. Vom Lokalblatt bis zum UN-Sicherheisrat, es geht um die inhumane Situation derjenigen, die am wenigsten mit dem Krieg zu tun haben.

Doch das stimmt nicht ganz. Wenn Samatha Power und Witali Churkin, die UN-Vertreter von USA und Russland, sich bei einer Dringlichkeitssitzung des UNSC über Syrien ein Wortgefecht liefern, um was geht es da genau? Humanitäre Werte? Das Wohl der Zivilisten? Das Ende der Kämpfe? Mitnichten. Beide werfen sich gegenseitig das Gleiche an den Kopf, es ist mehr politischer Schlagabtausch zweier Großmächte als Referat über Humanität. Die eine nutzte ihre Rede größtenteils um die Kriegsakteure zu beschimpfen, der andere reagierte nur darauf mit Zynismus. Niemand von beiden kam mit konkreten Lösungsvorschlägen auf, wie man aktiv die Lage für Zivilisten verbessern könnte, abgesehen von der üblichen Phrasendreherei.

Diese öffentlichten Debatten im mächtigsten Organ der UN, bei denen kaum debattiert sind, sind ein Zeugnis des Versagens. Nicht der UN, nicht der Dipomatie, sondern der ihrer beiden Führungsnationen. Es mutet teilweise grotesk an, wenn man UNSC Sessions über den Jemen und Syrien miteinander vergleicht. Es sind diametral entgegensetzte Positionen, die zu beiden Themen der jeweils andere einnimmt. Wenn Power der Regierung ihre Legitimität zuspricht und die Rebellen zum Niederlegen ihrer Waffen auffordert, könnte der gleiche Satz genausogut von Churkin stammen. Man muss nur zwei Kernbegriffe miteinander tauschen.

Doch bei aller Inbrunst mit der humanitäre Werte angeführt werden, von beiden Seiten, so wenig Nutzen und Wirken hat das in der Realität. Mit Kritik an Putin oder Assad ist niemandem geholfen, genauso wenig ändern Sanktionen etwas. Im Gegenteil. Mit Aleppo in der Hand der syrischen Regierung, wächst auch die Anzahl der zu versorgenden Menschen. Schwer für einen Staat, der aufs Extremste von Krieg zerfressen ist und dazu noch mit Sanktionen umgehen muss, die nicht nur Politiker und Militärgerät betreffen. Sondern die einfachen Syrer, laut internen UN-Bericht.

Wie humanitär agieren insofern die verschiedenen internationalen Nationen? Die pro-Regierungsseite versorgt zumindest die Menschen in ihren Gebieten, blockt, oder genauer gesagt, lässt tatenlos mehrere oppositionelle Gebiete von jeglicher Außenwelt blockieren. Doch auch der Westen kann sich nicht wirklich als humanitär rühmen lassen. Die Konditionen in und um Mossul beispielsweise, dem Jemen oder den unzähligen regionalen Flüchtlingslagern, zeugen nicht unbedingt von einer humanitären Verpflichtung, der nachgekommen wird.

Flexible Moral, Heuchlerei, Doppeltestandards lassen sich an vielen Beispielen benennen. Und genau das machen die führenden Nationen, wenn es um Syrien, Jemen oder Irak geht. Sie werfen sich gegenseitig jenes vor, das sie selber anderswo machen. Sie kaschieren ihre eigene Untätigkeit, indem sie ebenjene den anderen vorwerfen.

Humanitäre Politik - was Peter Scholl-Latour in seiner eigenen Art einst als "humanitäres Geschwafel" bezeichnete - ist eine Mär unserer Zeit. Sie wird mehr politisiert gebraucht als als politische Handelsmaxime verwendet, dient mehr um die Gegenpartei zu kritisieren, als um sich selbst zu definieren.

Aleppo - so zentral im Fokus - zeigt das. Während Menschen unvorstellbares erleben müssen, ergehen sich Politiker in gegenseitiger Kritik und Anschuldigungen. Dass viele Leitmedien auf diesen Zug aufspringen, offenbart dabei ein anderes Problem.

Wie tief die politische Meinung und auch die Berichterstattung von Narrativen, und wie wenig von Fakten, geprägt sind, wird an den aktuellen Berichten über Aleppo deutlich. Vor allem im Vergleich zu ähnlichen Kriegsoperationen, wie in Mossul.

Ein Bericht, der nur auf das humanitäre Leiden ausgelegt ist und sich nicht mitunter in Anschuldigung ergeht, ist kaum zu finden. Dasss der Krieg weder Gut noch Böse kennt und beide Seiten am Elende in Aleppo Verantwortung tragen, wird zu oft ignoriert. Politiker sowie Journalisten könnten, um dem entgegenzuwirken, zumindest ein Stück weit nicht ihre eigene Meinung in einen Artikel zu durchzudrücken, sondern die von Beteiligten vor Ort. So zum Beispiel. Der Unterschied wäre deutlich spürbar und würde auch zeigen, dass sich manche Regierungserklärungen die Sache zu einfach machen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Abrahan Garcia

Angehender Orientalist

Abrahan Garcia

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