"Gehen Sie Ihrer Wege!"

Medienpolitik Das Leserblog der Frankfurter Rundschau steht eventuell vor dem Ende. Der zuständige Redakteur hat sich eine Bedenkzeit genommen. Bis Mitte April soll sie dauern.

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Bronski alias Lutz Büge betreut seit zehn Jahren die Leserbriefseite der Zeitung. Daneben ist er für das FR-Blog verantwortlich, das er mit fester Hand führt. Er gibt die Themen vor, zu denen die Blogger Diskussionsbeiträge posten können. Allerdings müssen sie sich bis zur Publikation gedulden. Büge prüft erst, ob der Beitrag würdig ist, veröffentlicht zu werden. Sein Raster ist politisch korrekt, aber nicht ganz durchschaubar. Er scheint sich an folgendem Maßstab, den er neulich verkündete, zu orientieren: "Die Frankfurter Rundschau steht traditionell an der Seite der Unterprivilegierten, Verfolgten und Entrechteten...". Da kommt beim Lesen ein Schmunzeln auf. Es liest sich, als ob die Zeitung den Klassenkampf predigte und täglich antikapitalistische Artikel veröffentlichte. Das ist natürlich nicht so. Insbesondere dann, wenn die Sternchen dieser Welt auf den hinteren Seiten über ihre körperlichen und psychischen Wehwehchen klagen dürfen.

Nicht mal eine links-protestantische Haltung wird durchgehend sichtbar, da die Sozialdemokraten stets (zu) gut wegkommen. Dagegen kriegt die Links-Partei gerne eins ausgewischt, wenn beispielsweise geschrieben steht: "Der Weg von Sahra Wagenknecht zu Frauke Petry ist jedenfalls kürzer als der Weg von Sahra Wagenknecht zu Angela Merkel." Zu Russland und Putin geht die FR fast immer auf Konfrontation. Da scheinen die Parteispitze und die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen Pate zu stehen. Der Russland-Korrespondent zeigt immer klare Kante. In seinem Interview mit dem Verteidiger der ukrainischen Kampfpilotin, die just zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, gibt er gleich die Richtung vor, wenn er fragt, welche Aussichten sie habe, "lebendig frei zu kommen?" Diese Frage liest sich so, als sei sie zum Tod verurteilt worden. Wenn die Distanz zur Sache fehlt, müssen die FR-Journalisten sich nicht wundern, dass in der Leserschaft Ärger aufkommt.

Bronski ist von seiner Blogger-Gemeinde enttäuscht, die seiner Charakterisierung nach zunehmend auf Konfrontation aus sei. Er macht es an einem Wort fest, das ein Blogger verwendete: "Nachdem dieses unsägliche Wort 'Flüchtlingsbefürworter' in diesem Blog aufgetaucht ist, wollte ich eigentlich hinschmeißen. Dieses Wort ist für mich Indiz meines persönlichen Versagens, weil es eben nicht auf Austausch zielt, sondern ausgrenzen will." In diesem Bekenntnis offenbart Bronski seine Gemütslage, der eine gesinnungsethische Strenge innewohnt. Eine Diskussion macht dies nicht leichter, gerade dann, wenn Grundsätzliches zur Debatte steht. Themen wie Flüchtlingspolitik, antikapitalistische Politik, Nato-Politik im Nahen Osten oder in der Ukraine führen zu Diskussionen, die das Eigentliche der westlichen Politik berühren. Sie stehen eben im Zentrum der Auseinandersetzung. Wenn unkonventionelle Positionen als nicht diskutabel abgewehrt, also nicht freigeschaltet werden, wird Politik gemacht, ohne dass die User sich darüber austauschen können. Denn ganz oben auf dem Redaktionsthron sitzt in dem Fall immer nur einer, und das ist Bronski, der zur Kenntnis nimmt und auswählt.

Wenn die Leserschaft sich von den Redaktionen im Stich gelassen fühlt, bahnen sich Konflikte an. Immer das nahezu Selbe zu lesen, ist nicht nur langweilig. Man vermutet mit der Zeit eine Strategie, die den Redaktionen gemeinsam ist, ohne dass sie sich explizit absprechen würden. Es ist folgerichtig, dass im vergangenen Jahr ein beträchtlicher Teil der deutschen Redaktionen, mindestens 27, die Kommentarfunktion eingeschränkt hat. Das Blatt Journalist, das die Umfrage durchführte, schreibt: "Von 119 angeschriebenen Tageszeitungen haben sich 66 Redaktionen zurückgemeldet – gut die Hälfte aller Vollredaktionen. Tatsächlich dürfte die absolute Zahl also bei deutlich mehr als 27 Redaktionen liegen." Diese Vermutung ist plausibel. Die Zahl ist auch ein Indiz dafür, dass nicht nur die etablierten Parteien versagt haben, die vielen Pressekommentaren nach die Interessen der Wähler nicht mehr wahrnehmen würden, wie an den jüngsten Wahlergebnissen abzulesen sei. Auch die Redaktionen tragen ihren Teil. Denn sie sind es, die zwischen der hohen Politik und dem sogenannten Souverän die vermittelnde Rolle einnehmen. Sie sind die Drähte zwischen Schalter und Licht.

Wenn der Trend sich fortsetzte, würden wir wieder in den nostalgischen Zeiten ankommen, als es noch kein Internet gab, als die Journalisten sich als Einwegkommunikanten verstanden und die Rezipienten als Pennäler behandelten. Doch diese alte Zeit wird es nicht mehr geben. Das muss Bronski akzeptieren und mit seiner Redaktion eine adäquatere Form der Lesereinbindung finden.

Auch wenn Bronskis Wut teilweise verständlich ist, sollte sie so nicht mehr formuliert werden: "Ach so, noch etwas: Es gab im Zuge dieser Entwicklung Fälle, in denen User es nicht lassen konnten und trotz Hinweis und Verwarnung themenfremd gepostet haben. In diesen Fällen habe ich schließlich Hausverbot erteilt. Die Betroffenen werden wissen, dass sie gemeint sind, wenn sie das hier lesen. Das alles ist sehr unappetitlich, passiert aber nicht zum ersten Mal. Direkt an diese Herren: Gehen Sie Ihrer Wege! Ihre Kommentare werden hier nicht mehr veröffentlicht." Auch Bronski wird realisieren müssen: The Times They Are A-Changin' (Bob Dylan).

Ich bin Keiner, der von Bronski in die Wüste gechickt wurde. In den Anfängen, als die Posts direkt veröffentlich wurden, war ich FR-Blogger. Danach habe ich mich bis auf ganz wenige Ausnahmen ausgeklinkt. Leser der FR bin ich nach wie vor.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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