Mindestlohn: FDP erneuert sich

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Wer das Wahlprogramm der FDP zur vergangenen Bundestagswahl 2009 als Entscheidungshilfe heranzog, ist übel dran, denn die Wirtschaftsliberalen sortieren sich neu: Der Mindestlohn soll her.

Die Freien Demokraten, die das Etikett der Umfallerpartei mit Erfolg abstreiften, indem sie mit ihrem damaligen Vorsitzenden Westerwelle auf ihre Glaubwürdigkeit pochten, feierten den größten Wahlerfolg auf Bundesebene. Schon Jahre bekämpften sie den Mindestlohn, während bei ihrem christlichen Bündnispartner der eine oder die andere in diesem Instrument eine sinnvolle wirtschaftspolitische Maßnahme sah. Auch wenn nahezu alle EU-Staaten sich schon längst auf diesen wichtigen Eckpfeiler verständigt hatten, verharrten die Liberalen in ihrer ideologischen Ecke als Verteidiger des Mittelstandes und der Selbstständigen. Im Wahlprogramm ist es so formuliert:

Die FDP ist gegen die Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen. Sie führen zu einer Verdrängung von Arbeitsplätzen, besonders im gering qualifizierten Bereich, und einer Abwanderung in die Schwarzarbeit. Opfer von gesetzlichen Mindestlöhnen sind in erster Linie Langzeitarbeitslose, die kaum mehr eine Aussicht auf neue Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt haben.

Immer wieder wurde die blaugelbe Fahne mit diesem Glaubensbekenntnis geschwungen. Der Sozialexperte Heinrich Kolb sagte genau vor einem Jahr: "Es bleibt dabei, wir lehnen das ab. … Der Mindestlohn ist ein Instrument, mit dem die Platzhirsche ihr Terrain abstecken können." Er machte diese Aussage in einem politischen Klima, das seit Jahren von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) beeinflusst wird. Schon 2008 beauftragte diese Lobbygruppe für das ungebundene Unternehmertum das von Prof. Dr. Hans-Werner Sinn geleitete ifo-Institut mit einer Studie zur Schädlichkeit der Mindestlöhne. Dieser ließ ausrechnen, dass ein flächendeckender Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde die Preise um bis zu 40 Prozent (Frisörbesuch) verteuern würden. Die Preise der Waschmaschinen würden um 20 Prozent zulegen, kosmetische Produkte würden um 25 Prozent aufschlagen. Die damit verbundene emnid-Umfrage, ob die Deutschen bereit wären, diese Preissteigerungen wegen einer Lohnuntergrenze hinzunehmen, förderte eine Ablehnungsfront von bis zu 69 Prozent zutage.

Ziel der Auftragsarbeit war, die Mehrheitsmeinung der deutschen Bevölkerung, die Mindestlöhnen überwiegend positiv gegenüberstand und heute noch -steht, zu brechen. Diese obskuren Preissteigerungsraten gingen damals durch die Medien. Die größte Boulevard-Zeitung Europas titelte: "Mindestlohn macht Urlaub & Frisör teuer".

Jetzt ist vieles anders. Die FDP eilt von Wahlschlappe zu Wahlschlappe. Das Bundestagswahlergebnis mit 14,6 Prozent war eine Ausnahme und wird eine bleiben. Nun schwadronieren immer mehr FDP-Mitglieder über die positive Wirkung einer Lohnuntergrenze. "Es ist nicht marktwirtschaftlich, wenn Menschen acht Stunden am Tag für Löhne arbeiten, von denen sie nicht leben können", sagte etwa der schleswig-holsteinische FDP-Sozialminister Heiner Garg. Anscheinend zählen die "wissenschaftlichen" Erkenntnisse des klügsten deutschen Wirtschaftsprofessors (Bild-Zeitung) nicht mehr, die der Projektleiter der Auftragsstudie, Gernot Nerb, mit dem Hinweis flankierte, ein Mindestlohn von 7,50 Euro erhöhe die Schwarzarbeit bei Dienstleistungen, schwäche deutsche Hersteller und begünstige ausländische Produkte. Das alles kann ein verantwortungsbewusster FDP-Politiker doch nicht wollen!

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

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