Über die prozentstarrenden Parteianhänger

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Ist es wirklich sinnvoll und erschöpfend, wenn sich die Analytiker der Wahlergebnisse auf das prozentuale Endergebnis kaprizieren und daraus den Honig ihrer vermeintlich umfassenden Interpretationen ziehen? Müssten nicht weitere Zahlen, die der Landeswahlleiter veröffentlicht hat, herangezogen werden, weil sie darüber hinausgehende Analysen ermöglichen? Die Fragen müssten mit einem eindeutigen Ja beantwortet werden.

Ein Blick auf die absoluten Zahlen lässt erkennen, wie absurd einige Aussagen sind, die während Wahlabends geäußert und von den Journalisten als feststehende Erkenntnis über den Tag hinaus getragen wurden. Claudia Roth (Grüne) konnte unwidersprochen behaupten: "Es ist unser historisch bestes Ergebnis." Diese Behauptung ist höchstens die relative Wahrheit, weil die Zweitstimmen, also die Stimmen, mit der die Partei gewählt wurde, von 199.367 (Wahl 2009) auf 174.752 (Wahl 2012) gesunken sind. Entsprechendes lässt sich von den anderen Parteien vermelden. Die Verluste sind durchweg größer als die Prozentzahlen nahelegen. Einzig die Piraten konnten mehr Wählerstimmen einsammeln als bei der letzten Wahl: von 28.837 gestiegen auf 108.740.

So ließe sich die Frage aufwerfen: Wie lange noch kann der Urnengang moralisch nicht in Frage gestellt werden, wenn die mit Abstand größte Fraktion, nämlich die der Nichtwähler, die bei der Ergebnisinterpretation die Relevanz eines ausgedrückten Pickels zugewiesen bekommt, immer größer wird. Fast 40 Prozent sind in Schleswig-Holstein nicht an die Wahlurne gegangen. In den Kommentaren spielen sie keine Rolle oder finden höchstens als Petitesse des Bedauerns Eingang in die politische Interpretationswelt. Die Einschätzungs- und Interviewraster haben sich dermaßen verfestigt, dass man meint, keine Denkschablone dürfe berührt oder gar aufgebrochen werden, weil sonst die heile Welt des So-ist-es Risse bekäme. Die am Wahlsonntag kurz nach 18 Uhr von den Kameras eingefangenen Jubelarien der prozentstarrenden Parteianhänger, die sich vom Torjubel der Fußballgucker in nichts mehr unterscheiden, lassen ahnen, dass Wahlergebnisse und Spielresultate austauschbar werden.

Natürlich ist erfreulich, dass die NPD rund ein Drittel ihrer Wähler verloren hat. Aber es sind immer noch 9.821 Wahlberechtigte, die in Schleswig-Holstein die Rechtsradikalen als wählenswert erachten. Ein erschreckendes Resultat, wenn man in den Verfassungsschutzberichten der Länder über den (heimlichen) Rechtsradikalismus nichts Umfassendes liest und gleichzeitig die vermeintliche linksradikale Gefahr wie ein Luftballon aufgeblasen wird.

Von allen Wahlberechtigten haben gewählt:

18,2% - CDU

18,0% - SPD

7,8% - Grüne

4,8% - FDP

4,8% - Piraten

2,7% - SSW

1,3% - Linke

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

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