Vom Nacktsein - ein historischer Streifzug

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"Und sie hörten die Stimme Gottes des Herrn, der im Garten ging, da es kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des Herrn unter die Bäume im Garten. Und Gott der Herr rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte deine Stimme Herr und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum verstecke ich mich. Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen."

So hat es also angefangen mit dem Ende der Nacktheit. Weiter heißt es in der Bibel: "Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und kleidete sie." Später strömten sie hinaus in die Welt, die gottesfürchtigen Nachkommen des ersten Liebespaares. Sie nannten sich christliche Missionare und verpassten manchen Naturvölkern nicht nur eine neue Moral, sondern auch Büstenhalter, Korsett und Unterhose. Mit dem christlichen Gott wurde den Afrikanern nicht die Freiheit auf Erden, wohl aber die Freiheit im Himmel versprochen und damit die geistige Grundlage für den Kolonialismus bereitet, damit die weiße Herrenrasse auf dem schwarzen Kontinent gedeihen möge.

Warum kommt der Mensch bloß nackt auf die Welt? Kaum hat er seinen ersten Schrei getan, ist er schon der Sünde anheimgefallen. Er merkt nicht, dass er nackt ist. Nicht nur kolonisierte Afrikaner oder das gemeine Volk sollten sich schämen, auch historische Persönlichkeiten waren vor dem Einfluss christlicher Dogmen nicht gefeit. "Marie Antoinette badete in einem weißen Flanell-Nachthemd, weil ihr von klein auf eingeprägt worden war, dass Nacktheit eine schwere Sünde sei", schreibt Shirley Lord in ihrem Buch 'Der leichte Weg zur Schönheit'.

Ältere Geschichte

Dass es beim Baden nicht immer so keusch zuging, belegt ein Blick in die ältere Geschichte: Die Römer waren den Badefreuden gegenüber sehr aufgeschlossen. Tagelang verbrachten sie ihre Zeit in Badehallen, um hautnah und in höchster Wollust das vegetative Nervensystem zu entspannen. In der Badeordnung aus dieser Zeit heißt es:

"Die Kleider einem Aufseher überlassen! Der Eintritt erfolgt über das Warmluftbad - dann ist das Wasserbad zu passieren - an seine Stelle kann auch wahlweise das Heißluftbad treten. Anschließend ist zu duschen. Einsalbungen, Massagen und dergleichen Körperpflegemaßnahmen können nach Wunsch und Zeit verabfolgt werden."

Dass mancher christliche Würdenträger sich nicht immer an die Regeln hält, die er von anderen verlangt, belegen Beispiele bis in die Gegenwart. Ein Exempel christlichen Voyeurismus dokumentiert ein Brief, den der päpstliche Sekretär im Jahre 1417 aus Baden, wo er sich einer Kur unterzog, an einen Freund geschrieben hat:

"Dicht am Flusse stehen wohlrenommierte Gasthäuser, die ein großes Bad ihr eigen nennen. Die niedrigste Klasse der Bevölkerung badet allerdings auf einem öffentlichen Platz - und zwar sowohl alte Weiblein als auch Jungfrauen und Männer gemeinsam. Man gibt sich, ohne einander zu betrachten, gelassen den Waschungen hin. Die Bäder in den Gasthäusern sind äußerst gepflegt, und von der Galerie aus kann ich den Frauen bei den Badefreuden zusehen."

Der Beginn des 20. Jahrhunderts

In der Neuzeit sollen die Deutschen es gewesen sein, die die Nacktbadekultur wieder belebten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gründeten sich die ersten Vereine. Als Hauptgrund, einen organisatorischen Rahmen zu schaffen, galt die Gesundheit. Damit Anhänger zu mobilisieren waren, musste ein solches Ansinnen mit geistig-moralischen Eckpunkten durchsetzt sein. So wurde damals angeführt, die Kleidung kappe den Menschen von der Natur ab, schwäche seine Widerstandskraft und führe zur Verweichlichung. Auch würde die Nacktheit Prüderie abbauen, ohne dass eine Stimulierung des Sexualtriebs erfolge, wie in einer älteren Vereinszeitschrift nachzulesen ist:

"Es entsprang aus der Liebe zur Wahrhaftigkeit und der Natur. Dieser Gefühlskomplex drängt zu einer neuen Lebensbeurteilung und -gestaltung, in der kein Raum mehr für das kräftezersetzende Vergnügungs- und Genußleben der heutigen Gesellschaft seinen schlechten Geschmack für Körpernachläßigkeit … vor allen Dingen auch kein Raum mehr für verlogene Gesellschafts- und Sittengesetze ist." Vegetarische Ernährung, Nichtrauchen und Alkoholabstinenz sollten die Naturverbundenheit intensivieren.

Gemeinsam wurde in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht nur nackt gebadet, sondern auch nackte Körperertüchtigung betrieben. In Vereinszeitschriften wurde für die entblößten Körper in der Natur geworben und immer wieder darauf hingewiesen, dass die Sexualität dabei keine Rolle spiele: "Der freie Blick, mit dem sich hier Jungen und Mädchen ins Auge sehen, der natürliche freundschaftliche Ton zeigen, dass hier ein guter Teil sexueller Gefahren überwunden ist", (1931). Das im Jahre 1984 erschienene Buch des rechtskonservativen Psychologen Rudolf Affemann scheint diese These zu bestätigen. Er schrieb: "Bei Patienten, die der Freikörperkultur angehören, machte ich die Beobachtung, dass der sexuelle Reiz erheblich an Bedeutung eingebüßt hatte."

Auf dem Höhepunkt der 'Lichtfreundebewegung' hatten in der Weimarer Republik über 100.000 Textilverächter dieses Weltbild mehr oder minder sich zu eigen gemacht. Ein Großteil neigte eher dem linken politischen Spektrum zu, weil diese Lebensart oft mit einem kritischen Blick auf die Gesellschaft verbunden war. Jedoch formierten sich auch mystisch-religiöse und rassistisch-antisemitischen Varianten des Nacktseins.

Nationalsozialismus

Kurz nachdem die Nationalsozialisten an der Macht waren, wurden die Vereine der Lichtfreunde verboten bzw. in die Strukturen des Regimes eingebunden, wie das bei allen Sport- und sonstigen Vereinen üblich war. Der 'Bund für Leibeszucht' war von nun an der Rahmen, in dem sich die Anhänger der Freikörperkultur einzugliedern hatten. Deklariertes Ziel war die "rassische, gesundheitliche und sittliche Hebung der Volkskraft". Hitler selbst formulierte das so:

http://einestages.spiegel.de/hund-images/2011/06/06/86/150a8b5b6b432ec2c5a581ee4ccf8e75_image_document_large_featured_borderless.jpg"Ja, ja, ja - und hundertmal ja. Unsere gesunde und selbstsichere Weltanschauung ist der Todfeind jeder Prüderie. Unsere aus einfachen Naturgesetzen abgeleitete Moral will nicht meinen, dass Gott etwas Unanständiges geschaffen hätte und dass die Schönheit ein Teufel sei, den man im Nonnenkittel ersticken müsse. Wir haben aus einer Nation von bebrillten Stubenhockern eine Sportnation gemacht, wir haben bleichsüchtige und schwärmerische höhere Töchter durch braungebrannte und sportgestählte Mädel ersetzt. … Wir haben es so weit gebracht, dass, obwohl unsere Frauen und Mädchen an den Ufern der Flüsse und Seen und an der Meeresküste wirklich kaum noch bekleidet sich an Sonne, Luft und Wassererfreuen, die Gattung jener ewigen Ferkel ausgestorben ist, die an solchen Anblicken Anstoß nimmt, oder, was dasselbe ist, etwas anderes als reine Freude daran zu empfinden."

Im Nachkriegsdeutschland (West)

Im Nachkriegsdeutschland (West) stand es einem in der Adenauer-Ära wieder gut an, Christ zu sein und seinen nackten Körper höchstens in der Badewanne - falls vorhanden - oder in Schlafzimmern zu zeigen. Die Ärmel-hochkrempeln-Mentalität war gefragt. An Freizeitvergnügungen oder Urlaub war kaum zu denken. Statistischen Untersuchungen zu Folge hatte im Jahre 1959 jeder Bundesbürger nur 30 DM für Reisen zur Verfügung. Wohl gerade deshalb traf die Schlagerindustrie den richtigen Nerv als sie vermehrt Lieder auf den Markt warf, die bei vielen Westdeutschen das im Unterbewusstsein schlummernde Fernweh hervorkitzelten. Der Schlagersänger Silvio Francesco sang damals: "Komm doch mit mir auf die Reise / komm doch mit mir in die Ferne / hab ich auch wenig Geld / es geht rund um die Welt!"

Mit dem beginnenden Wirtschaftsaufschwung entwickelte sich zunehmend eine Freizeitindustrie. Manch einer konnte sich jetzt den Traum einer Reise erfüllen. Zaghaft fingen die Bundesdeutschen an, dass Badehosen und -anzüge überflüssig sein könnten. "Eine Frau trägt ihren Badeanzug richtig, wenn sie ihn in der Hand trägt", war ein Slogan aus den Anfangssechszigern. Allerdings nicht im eigenen Land! Als erstes Reiseunternehmen bot die Münchener Firma 'Isaria-Reisen' im Jahr 1960 einem breiteren Publikum FKK-Reisen an. Nach damaligen Umfragen waren nur sechs Prozent der Westdeutschen bereit, die Hüllen fallen zu lassen. Größere Reiseunternehmen wie 'Touropa' schlossen sich dem Trend an und erweiterten ihr Programm. Nach Feststellung der Fachzeitschrift 'Fremdenverkehr' (1980) habe sich die Einstellung der Bundesdeutschen zum Baden in der Öffentlichkeit gewandelt. Ein Drittel sei nunmehr bereit, ganz ohne zu baden. Weitere 33 Prozent gaben sich zumindest so frei, an einem einsamen Strand die Textilien ablegen zu wollen.

Nicht immer war die einheimische Bevölkerung von den mitteleuropäischen Eindringlingen begeistert. Die damalige korsische Autonomiebewegung sah die Nackten als Teil eines aufgezwungenen Tourismus, mit dem das Land kolonialisiert werden sollte. Als 1980 in Griechenland sich erste Gäste in einem FKK-Hotel niederließen, wurden sie von Dorfbewohnern mit Steinen beworfen und mit Prügeln malträtiert. Da auch in Österreich Nacktzentren entstehen sollten, protestierte ein katholisches Aktionsbündnis im burgenländischen Eisenstadt: "Das Geschäft mit den Instinkten und Trieben der Menschen ist immer ein unwürdiges und fragliches Unternehmen."

Ob das öffentliche Nacktsein wirklich so unwürdig ist hat der Spiegel (Nr. 37, 1974) untersucht. Ein Reporter schrieb damals über seine Erlebnisse an einem FKK-Strand auf Sylt:

"Niemand außer mir nimmt von fremder Physis Notiz. Niemand findet etwas 'dabei', schaut gar 'hin', wenn beim Volleyballspielen schlackert, was normalerweise dingfest gemacht ist, oder wenn beim Ausheben eines Wallgrabens sich Einblicke eröffnen, die an skandinavisches Pornoschaffen gemahnen. Der Voyeurismus, von dem letztlich die gesamte Werbung und nicht wenige Wirtschaftszweige profitieren, muß hierorts unbekannt sein oder als doch so abartig empfunden werden, wie die Schändung eines toten Bischofs."

Würden Adam und Eva heute unter uns sein, sie bräuchten sich ob ihrer Nacktheit nicht mehr zu verstecken. Entblößung, äußerlich wie innerlich, hat sich zu einem einträglichen Geschäftsmodell entwickelt.

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Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann