AstraZeneca - Ist die EU doch im Recht?

AstraZeneca Die EU veröffentlicht den Liefervertrag und alle stürzen sich nur auf die geschwärzten Stellen, dabei sind andere Passagen deutlich interessanter.

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Ich gebe zu, auch mich hätten die geschwärzten Details des heute durch die EU veröffentlichten Liefervertrags mit AstraZeneca interessiert. Im Hinblick auf die Frage, ob AstraZeneca die Lieferungen an die EU in der angekündigten Art und Weise reduzieren darf, sind sie aber nicht entscheidend.

Für die Erkenntnis, dass der Vertrag nicht die von EU-Politikern erträumten "glasklaren" Lieferverpflichtungen enthält, benötigt man jedenfalls nicht die vom Spiegel gehackte Version. Dafür reicht die Lektüre der Ziffern 1.9 und 5.1 des Dokuments. AstraZeneca hat keine feste Liefermenge zu einem bestimmten Zeitpunkt zugesagt. Der Pharma-Konzern hat sich nur verpflichtet, alle vernünftigen Anstrengungen zu unternehmen, um die bestellten Dosen im ersten Quartal 2021 zu liefern.

"Best efforts" nennt sich dieses Konzept, das in einer Situation, in der das Unternehmen für einen noch nicht einmal zugelassenen Impfstoff gerade erst die Produktion aufbaut, aber keineswegs so ungewöhnlich oder gar hanebüchen ist, wie es teilweise dargestellt wird. Wachsweich werden die Lieferverpflichtungen von AstraZeneca dadurch jedenfalls nicht. Klar ist: Wenn AstraZeneca liefern kann, dann muss es das auch.

Dabei hat sich die EU, und das ist die zweite wesentliche Erkenntnis, nicht nur AstraZenecas Produktionskapazität in Kontinentaleuropa, sondern auch die im Vereinigten Königreich gesichert. Zu diesem Zweck hat man ausdrücklich in einer zugegebenermaßen leicht umständlichen Definition in Ziffer 5.4 den abtrünnigen Inselstaat ein letztes Mal der EU zugeschlagen.

An dieser Stelle verweist AstraZeneca im Streit mit der EU gerne auf den drei Monate älteren Vertrag mit dem Vereinigten Königreich und begründet unter anderem damit die bevorzugte Lieferung auf die Insel. Das mutet allerdings seltsam an, wenn man sich - dritte Erkenntnis - Ziffer 13.1 e) durchliest. Darin sichert AstraZeneca ausdrücklich zu, es gäbe keine anderen vertraglichen oder sonstigen Bindungen, die es an der vollumfänglichen Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Liefervertrag mit der EU hindern würden.

Ich fasse zusammen: AstraZeneca verpflichtet sich, alle vernünftigen Anstrengungen zu unternehmen, um mit seinen Produktionskapazitäten in der EU und im Vereinigten Königreich eine bestimmte Menge Impfstoff bis zu einem bestimmten Datum zu produzieren und an die EU zu liefern. Es sichert auch noch zu, dass dem keine anderen Lieferverpflichtungen im Wege stehen, obwohl es zu diesem Zeitpunkt bereits einen Vertrag mit dem Vereinigten Königreich abgeschlossen hat. Im Moment kann AstraZeneca eigentlich auch liefern - zumindest eine höhere Menge als angekündigt, wie die geplanten Lieferungen in andere Länder zeigen. Es will dazu aber nicht verpflichtet sein, weil es (plötzlich) doch andere Lieferverpflichtungen hat. Da neige ich eher dazu, AstraZeneca Vertragsbruch vorzuwerfen, als den EU-Politikern fehlendes Verhandlungsgeschick. Zugegeben, für die Beurteilung von letzterem ist dann doch wieder eine geschwärzte Stelle entscheidend: Die in Ziffer 15.2, in der es um die Höhe der Beschränkung von AstraZenecas Haftung für Vertragsverletzungen geht.

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