Das Bürgergeld und die Ewigkeitsklausel

Bürgergeld Jens Spahn will notfalls das Grundgesetz ändern, um härtere Sanktionen im Bürgergeld zu verhängen. Dies beträfe allerdings Artikel der Verfassung, die durch die Ewigskeitsklausel geschützt sind. Verfassungswidriger wird es nun nicht mehr.

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Auf welchem Niveau sich die Debatte um Sanktionsverschärfungen im Bürgergeld inzwischen bewegt, illustriert heute eindrücklich das CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn, immerhin ehemaliger Bundesgesundheitsminister. Spahn wird aus einem Interview mit den Worten zitiert: "Wem ein Angebot gemacht oder wer gefördert wird, hat die Pflicht, dies auch zu nutzen", sagt Jens Spahn. Ansonsten solle die Finanzierung gestrichen werden. Und wenn die Rechtsprechung in Karlsruhe dem entgegenstehe, müsse man eben die Verfassung ändern."

Spahn nimmt dabei Bezug auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.2019 zu Sanktionen im Sozialrecht, das die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Sanktionierung von Bürgergeld-Bezieher/innen dargelegt hat. Spahn will nun also notfalls die Verfassung ändern, um die Wirkung dieses Urteils zu neutralisieren. Aber auf welchen Teil des Grundgesetzes nahm das Karlsruher Urteil eigentlich Bezug? Welcher Artikel müsste geändert werden? Dies geht bereits aus dem ersten Leitsatz des Urteils hervor. Dort heißt es:

"Die zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen ergeben sich aus der grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG). Gesichert werden muss einheitlich die physische und soziokulturelle Existenz. Die den Anspruch fundierende Menschenwürde steht allen zu und geht selbst durch vermeintlich „unwürdiges“ Verhalten nicht verloren. Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber aber nicht, die Inanspruchnahme existenzsichernder Leistungen an den Nachranggrundsatz zu binden, also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können, sondern wirkliche Bedürftigkeit vorliegt."

Das Karlsruher Urteil nimmt also Bezug auf Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes ("Die Würde des Menschen ist unantastbar") und Artikel 20, Absatz 1 des Grundgesetzes ("Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat."). Das sind die beiden Artikel, die geändert werden müssten, um schärfere Sanktionen, als vom Bundesverfassungsgericht normiert, verhängen zu können. Diese beiden Artikel, die in der Summe den universellen Schutz der Menschenwürde, die demokratische, föderale und soziale Ordnung normieren, haben im Grundgesetz einen derart zentralen Charakter, das sie von der sogenannten "Ewigkeitsklausel" in Artikel 79 geschützt sind. Er lautet: "Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig."

Die Idee von Jens Spahn läuft also auf ein Vorhaben hinaus, das rechtlich gesehen, gar nicht verfassungswidriger sein könnte.

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Geschrieben von

Alexander Fischer

Alexander Fischer. Mensch. Historiker. Vater.

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