Risiken und Nebenwirkungen - Die Folgen einer Aussetzung der Bürgergeld-Erhöhung

Bürgergeld Union und FDP fordern eine Aussetzung der Bürgergeld-Erhöhung. Damit wäre auch der schon beschlossenen Erhöhung der Grundfreibeträge die Grundlage entzogen. Das würde mittelbar zu einer Steuererhöhung für viele Arbeitnehmer*innen führen.

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Der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) haben eine klare Vorstellung davon, wie ein Teil des Loches im Bundeshaushalt gestopft werden soll, das nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts entstanden ist. Beide wollen die eigentlich für Januar 2024 beschlossene Anhebung der Regelsätze im Bürgergeld aussetzen. Berechtigterweise wird in der politischen Debatte bereits darauf hingewiesen, dass der gesetzliche Spielraum dafür, was der Staat Bedürftigen als Existenzminimum in der Grundsicherung zugesteht, im Übrigen auch durch höchstrichterliche Urteile und das Bundesverfassungsgericht, nach unten begrenzt ist. Mit anderen Worten: die jetzt beschlossene Erhöhung des Bürgergelds folgt, anders als es eine von der BILD-Zeitung seit Monaten befeuerte Kampagne suggeriert, keiner sozialromantisch motivierten linksgrünen Willkür zu Lasten der Steuerzahler*innen, sondern ist die Umsetzung des letztlich von der Verfassung vorgegebenen Gebots, dass das Niveau der Regelleistungen in der Grundsicherung regelmäßig an die gestiegenen Preise angepasst werden muss, um ihrem Charakter als universelles Sicherungssystem für das Existenzminimum gerecht zu werden. Man darf davon ausgehen, dass ein Bundesfinanzminister und ein Ministerpräsident davon wissen, ebenso wie Friedrich Merz gewiss weiß, dass nicht ein Viertel des Bundeshaushalts für das Bürgergeld ausgegeben wird, wie er vergangene Woche weitgehend unbeachtet und wahrheitswidrig in einer Nachrichtensendung verbreitete. Das wird sie gewiss nicht daran hindern, weiter Sozialabbau zu Lasten der Bürgergeld-Bezieher*innen zu betreiben.

Der Konflikt um das Bürgergeld und die Grundsicherung ist nichts Neues. Interessant ist freilich der Kontrast zu einem Konsens, den das Bundesfinanzministerium in der vergangenen Woche nach einer Einigung der Koalition verkündete: die steuerlichen Grundfreibeträge sollen im nächsten Jahr für Erwachsene um 8 Prozent von 10.908 auf 11.784 Euro und für Kinder gar um 9,8 Prozent von 6.024 auf 6.612 Euro erhöht werden. Die Steuermindereinnahmen durch diese Maßnahme, die mit dem Jahressteuergesetz 2024 rückwirkend zum 1.1.2024 rechtlich verankert werden soll, summieren sich auf mehrere Milliarden. Der bisherigen Logik folgend müsste eigentlich dann auch das Kindergeld (bislang 250 Euro) linear zum Kinderfreibetrag angehoben werden, hier sind bislang allerdings keine Änderungspläne bekannt. Die Frage ist aber auch, ob diese Pläne überhaupt haltbar wären, wenn sich Christian Lindner tatsächlich in der Bundesregierung durchsetzt und die Erhöhung des Bürgergelds ausgesetzt wird. Das Bürgergeld und die Grundfreibeträge in der Einkommenssteuer hängen nämlich systematisch zusammen.

Vereinfacht (ausführlicher dazu Tim Buchholz im Verfassungsblog) kann man sagen: die Grundfreibeträge in der Einkommenssteuer für Erwachsene und Kinder sorgen dafür, dass eine ebenfalls durch Verfassungsgerichtsurteile zwingende Vorgabe erfüllt ist: das sächliche Existenzminimum muss von der Einkommenssteuer befreit sein. Interessant ist nun aber, wie dieses Existenzminimum ermittelt wird. Das Instrument dafür ist der sogenannte Existenzminimumbericht der Bundesregierung, der federführend vom Bundesfinanzministerium erstellt wird. Aktuell maßgebend ist der „Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2024“. Und dessen Lektüre lohnt sich tatsächlich. Das Bundesfinanzministerium rechnete nämlich seinerzeit (im November 2022) für 2024 z.B. mit einem Regelsatz von 537 für alleinstehende Erwachsene (35 Euro mehr als aktuell) und errechnete u.a. auf dieser Basis ein steuerliches Existenzminimum von 11.472 Euro für 2024. Tatsächlich soll nach aktuellem Stand der Regelsatz im Bürgergeld auf 563 Euro steigen, also um 61 statt 35 Euro. Die monatliche Differenz von 26 Euro summiert sich im Jahr auf 312 Euro, die von den Ampel-Koalitionären nun also systematisch zutreffend zu den prognostizierten 11.472 Euro addiert wurden, um den nun beschlossenen Grundfreibetrag von 11.784 Euro zu ermitteln. Analog wurde bei den Kindern und deren Bürgergeld-Regelsätzen verfahren.

Die Ampel hat also in der vergangenen Woche beschlossen, eine durch die avisierte Bürgergeld-Erhöhung zwingende Erhöhung der Grundfreibeträge in der Einkommenssteuer in 2024 umzusetzen. 4 Tage später stellt der Bundesfinanzminister ebendiese Bürgergeld-Erhöhung grundsätzlich in Frage. Man kann daraus die politische Frage ableiten, wie seriös die Partner*innen in der Ampel eigentlich noch miteinander verhandeln. Aber fest steht eins: Würde Christian Lindner sich durchsetzen, entfiele die systematische Grundlage für die jetzt politisch beschlossene, aber noch nicht rechtlich verankerte Erhöhung der Grundfreibeträge in der Einkommenssteuer für Erwachsene und Kinder. Sollte das Bürgergeld gar nicht erhöht werden, wäre nur noch eine sehr viel geringere Erhöhung der Freibeträge von 10.908 auf 11.052 Erhöhung nötig, um den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Folge zu leisten. Dass die Ampel-Einigung zum Jahressteuergesetz 2024 dann noch Bestand hätte, darf man getrost bezweifeln. Die Folgen für das, was Konservative gern als „arbeitende Mitte“ bezeichnen, wären signifikant. Durch die teils kräftigen Bruttolohnzuwächse im vergangenen Jahr ist für viele auch die Einkommenssteuerlast deutlich gestiegen, und eine nur minimale Erhöhung des Grundfreibetrags dürfte für viele Arbeitnehmer*innen im mittleren und höheren Einkommenssegment eine Erhöhung des durchschnittlichen Einkommenssteuersatzes zur Folge haben. Alle die jetzt meinen, mit dem Aussetzen der Erhöhung wäre ein Beitrag zur „Gerechtigkeit“ geleistet, sollten also einkalkulieren, was dies womöglich für ihr eigenes Nettoeinkommen heißt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Alexander Fischer

Alexander Fischer. Mensch. Historiker. Vater.

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