Zwei gebotene Erhöhungen

Kindergeld Die Erhöhung des Kinderfreibetrags ist keine fixe Idee des Finanzministers sondern tatsächlich geboten. Eine Erhöhung des Kindergelds aber auch.

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Die Debatte um die Erhöhung des Kindergelds reißt nicht ab. Das Bundesfinanzministerium verteidigt das Vorhaben, den Kinderfreibetrag anzuheben, und auf eine Erhöhung des Kindergelds in 2024 zu verzichten. Der FDP-Fraktionschef spricht von einer "überproportionalen" Kindergelderhöhung, gar der "größten in der Geschichte der Bundesrepublik", die jetzt im Steuerrecht nachvollzogen werden müsse. SPD und Grüne kritisieren, dass damit die "arbeitende Mitte" aus dem Blick gerate und gerade Menschen mit niedrigen Einkommen benachteiligt würden. Der Regierungssprecher wird mit den Worten zitiert, die Regierung diskutiere über das Thema noch. SPD-Fraktionschef Mützenich will nun gar ein "neues Kindergeld" und hat dabei möglicherweise vergessen, dass die Ampel selbst ein solches gerade in Gestalt einer Kindergrundsicherung auf den Weg bringen will. Es geht wie so oft einiges durcheinander. Aber so schwierig liegen die Dinge eigentlich nicht.

Zunächst einmal gehört zur Ehrlichkeit in den Debatten der Ampel auch, dass Christian Lindner nicht, wie Rolf Mützenich heute nahegelegt hat, erst jetzt auf die Idee gekommen ist, nicht nur den Grundfreibetrag sondern auch den Kinderfreibetrag zu erhöhen. Es ist nicht "unbegreiflich", warum "der Finanzminister mit einer Erhöhung des Kinderfreibetrags um die Ecke kommt", sondern war Teil einer Einigung der Ampel-Koalition vom November 2023, für die sich damals vor allem die FDP feierte. Das grün geführte Bundesfamilienministerium bewirbt die beabsichtigte (und noch gar nicht gesetzlich kodifizierte) Höhe in einem auf den 2.1.2024 datierten Beitrag auch bereits jetzt als Fakt. Und der Bundesfinanzminister hat auch Recht, wenn er die geplante Erhöhung als "geboten" bezeichnet, weil zum 1.1.2024 die Regelleistungen im Bürgergeld deutlicher als noch 2021 prognostiziert ansteigen. Das durch einen Entschließungsantrag zum Jahressteuergesetz 1996 normierte Verfahren sieht vor, dass alle zwei Jahre in einem Existenzminimumbericht das steuerfrei zu stellende Existenzminimum (Grundfreibetrag) durch einen Bezug auf die Regelleistungen der Grundsicherung (Bürgergeld) ermittelt wird. Steigen diese, muss auch der Grundfreibetrag für Erwachsene und Kinder angehoben werden. Die im November beschlossene Korrektur der Grundfreibeträge als Folge der zum Zeitpunkt der Erstellung des aktuellsten Existenzminimumbericht zu niedrig prognostizierten Entwicklung der Leistungen in der Grundsicherung folgt also einem Gebot des Bundestags, der damit die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umsetzte.

Allerdings gilt dasselbe Gebot eben grundsätzlich auch für das Kindergeld, und hier wird es dann leider etwas kompliziert. Das Bundesfinanzministerium argumentiert im Wesentlichen, dass die außerordentlich hohe Kindergelderhöhung für 2023 auch bereits den Anpassungsbedarf für 2024 abdeckt. Diese Argumentation ist so eingängig, dass sie auch der SPIEGEL direkt übernommen hat. In der Tat wurde das Kindergeld mit dem Inflationsausgleichsgesetz im November 2022 ab 2023 außerordentlich stark von 219 Euro für das 1. und 2. Kind auf 250 Euro für alle Kinder erhöht. Für das 3. Kind lag das Kindergeld aber schon vorher auf 225 Euro, und für das 4. Kind bei 250 Euro. Ursprünglich war im Regierungsentwurf eine geringere Erhöhung als Folge aus dem Existenzminimumbericht und den Anpassungen des Kinderfreibetrags geplant gewesen, die Erhöhung auf 250 Euro für alle Kinder wurde durch einen Änderungsantrag im Finanzausschuss beschlossen und im Wesentlichen mit der Angleichung des Kindergelds auf eine einheitliche Höhe für alle Kinder begründet. Man kann das richtig oder falsch finden. Fakt ist jedoch, dass der einheitlichen Erhöhung des Kindergelds auf 250 Euro nicht auf einer systematischen Ableitung aus dem Existenzminimumbericht oder gar auf jener im November 2022 noch nicht prognostizierbaren stärkeren Anhebung des Bürgergelds beruhte, die jetzt eine stärkere Anhebung des Kinderfreibetrags rechtfertigt. Es mag also sein, dass das Kindergeld 2023 für das 1. und 2. Kind überproportional stark erhöht wurde. Ob die derzeitige Höhe deshalb auch nach der von Bundesfinanzminister geplanten außerordentlichen Erhöhung des Kinderfreibetrags der Vorgabe des Bundestags genügt, dass das Kindergeld "entsprechend" steigen muss, wenn der Kinderfreibetrag steigt, ist damit aber noch nicht gesagt.

Dies eindeutig zu ermitteln, ist nicht ganz einfach und lässt sich nur durch einen langen Blick zurück ermitteln. Der längste vergleichbare Zeitraum ist der von 2000 bis 2024, weil im Jahr 2000 der sogenannte Betreuungsfreibetrag als Ergänzung zum Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum eingeführt wurde. Die prozentuale Entwicklung von Kinderfreibetrag und Kindergeld seitdem sind in der folgenden Grafik abgebildet. Eigentlich hätten die Linien vollständig aufeinander liegen müssen, wenn der Vorgabe des Bundestags von 1995 stets gefolgt worden wäre. Dass sich hier ein anderes Bild ergibt, zeigt bereits an, dass das Kindergeld nicht zum ersten Mal Spielball einer (meistens fiskalisch motivierten) politischen Debatte ist. Im Ergebnis liegt jedenfalls der Kinderfreibetrag 2024, wenn die geplante Erhöhung umgesetzt wird, etwa 88 Prozent über dem Niveau von 2000, das Kindergeld stieg im selben Zeitraum um rund 81 Prozent (lässt man den Betreuungsbedarf außen vor, ergibt sich übrigens mit 87 und 81 Prozent ein ähnliches Bild):

Wenn also mit Blick auf diese lange Zeitreihe tatsächlich der Kinderfreibetrag 2024 auf insgesamt 9.540 Euro erhöht wird und gleichzeitig die Vorgabe erfüllt werden soll, dass das Kindergeld "entsprechend" dem Kinderfreibetrag steigt, muss das Kindergeld mindestens um jene 10 Euro erhöht werden, die das Kindergeld auch auf ein Niveau von 88 Prozent über dem Niveau von 2000 bringen. Damit diese Debatte um die Kindergeldhöhe die letzte ist, müsste freilich tatsächlich der bislang fehlende gesetzliche Anpassungsmechanismus für das Kindergeld an den Kinderfreibetrag nachgeholt werden. Der Gesetzentwurf für eine Kindergrundsicherung sieht eine solche Regelung vor. Das "neue Kindergeld" könnte also eine sehr alte Debatte beenden.

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Geschrieben von

Alexander Fischer

Alexander Fischer. Mensch. Historiker. Vater.

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