Im Deutschen Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig wird dieses Jahr nichts weggeschmissen. Gestaltet hat ihn die Zeitschrift Arch+ mit den Architekturbüros Summacumfemmer und Juliane Greb. Unter dem Titel Open for Maintenance – Wegen Umbau geöffnet übernahm das Kurator*innenteam den Pavillon so, wie ihn Maria Eichhorn nach der Kunstbiennale vergangenen Herbst hinterlassen hat. Viel war da ja nicht drin, deshalb bietet der Pavillon nun genug Platz, um als Lager für nicht mehr benötigte Materialien zu dienen, die von über 40 Pavillons und Ausstellungen nach dem Abbau zurückblieben. Eine Werkstatt gibt es auch. Dort arbeiten Initiativen an Interventionen zur Erhaltung von Sozialwohnungen in der Lagunenstadt. Verhandelt und praktiziert werden
Reparatur-Kultur: Das kann noch längst nicht weg
Konjunktur Im Deutschen Pavillon auf der Architektur-Biennale in Venedig oder im Deutschen Technikmuseum in Berlin: Alle wollen etwas reparieren. Alicja Schindler über den Reparaturdiskurs der Kunstszene

Das ist Kunst, das gehört so: Resterampe im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig
© Arch+ SummacumFemmer Büro Juliane Greb
nd praktiziert werden hier die Themen Instandhaltung und Reparatur im Sinne von Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung.Reparatur nun also auch in Venedig. Ein Thema, das nicht erst seit gestern von zahlreichen Ausstellungen und Projekten proklamiert wird. Ein Reader, den Arch+ unter dem Titel The Great Repair herausgegeben hat, begründet es so: „Wir sind zur Reparatur verdammt.“ Weil die Rufe nach Wachstum und Fortschritt längst nicht verstummen, wird die Ausbeutung der Ressourcen immer rücksichtsloser. Jungen Architekt*innen wird beigebracht, Gebäude abzureißen, statt zu sanieren. Dabei ist die Baubranche für mehr als die Hälfte des gesamten Abfallaufkommens in Deutschland verantwortlich. Zuletzt zeigte die Schau Nichts Neues. Besser Bauen mit Bestand im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt, dass Architekt*innen bereits den Wandel fordern. Primat ihrer Branche solle nicht mehr der Neubau sein, sondern die Reparatur des Vorhandenen. Genau das geschieht nun in Venedig. Man sammelt, katalogisiert und repariert.Der Deutsche Pavillon gliedert sich so in eine Reihe aktueller Schauen zum Thema Reparatur ein: Praktiken rund ums Reparieren! zeigt noch bis 3. September eine Sonderausstellung im Deutschen Technikmuseum in Berlin. Die Forschung von Arch+, die in zwei Heftausgaben dokumentiert wird, wird im Herbst in einer Schau in der Akademie der Künste kulminieren. Und unter dem Titel YOYI! Care, Repair, Heal zeigte der Gropius Bau bis Anfang diesen Jahres 25 künstlerische Positionen, die sich neben dem Thema Reparatur mit Fürsorge und Heilung beschäftigten. Zu sehen waren auch Werke des französischen Künstlers Kader Attia, der seit mehr als zwei Dekaden das Konzept der Reparatur erforscht. Dieses machte er jüngst auch zum Ausgangspunkt seiner Kuration der 12. Berlin Biennale im Sommer 2022.Die „Reparaturgesellschaft“Reparieren heißt, ein kaputtes Objekt wieder in den intakten Zustand zu bringen. Reparare im Lateinischen bedeutet „wiederherstellen“. Reparatur meint also eine Rückkehr zum Originalzustand. Die Spuren der Reparatur sollen dabei möglichst unsichtbar bleiben. Kader Attia findet diese Vorstellung, die „wir“ – die Gesellschaft des Globalen Nordens – heute von Reparatur haben, „ausgesprochen europäisch, modern und kolonial“. Er ist der Ansicht, dass es keine Rückkehr zu einem Originalzustand geben kann, da nur die Rückkehr zu einem Bild des Originalzustandes möglich ist. Meint also: Wenn man etwas repariert, entsteht immer etwas anderes als vorher.Als Attia in den 1990er Jahren im Kongo lebte, machte er eine Beobachtung, die seitdem sein Denken über Reparatur leitet: Im Gegensatz zur heutigen europäischen Vorstellung von Reparatur habe man in vormodernen Gesellschaften bei der Reparatur eines Objekts dessen „Verletzungen“, wie Attia es nennt, sichtbar belassen. Attia stellte dann fest, dass diese vormoderne Weise des Reparierens genauso in anderen Kulturen auf der ganzen Welt praktiziert wurde. So seien beispielsweise auf einem mittelalterlichen Friedhof im italienischen Bergamo noch heute zerbrochene Grabplatten aus Marmor zu sehen, die offensichtlich mit großen Klammern repariert wurden. Diese Form der Reparatur, mit der Risse und Defekte betont statt kaschiert werden, zeigt ein anderes Verhältnis zur Vergangenheit. Es geht nicht darum, mit der unversehrten Oberfläche die nicht endende Kontinuität einer Fortschrittsgeschichte zu zeigen. Die Reparatur, die sichtbar gemacht wird, offenbart Brüche und Verletzungen. Attia resümiert: „Im Westen haben wir mit der Moderne das Gespür für die Notwendigkeit verloren, die Spuren der Zeit in unserer Umwelt sichtbar zu lassen.“Welches Ergebnis wir uns von einer Reparatur erhoffen, hat aber immer auch eine soziale Dimension. Der US-amerikanische Philosoph Olúfé. mi O. Táíwò nennt im Gespräch mit Arch+ ein Beispiel: Nehmen wir an, eine Stromleitung ist kaputt. Bislang liefert sie Strom für ein reiches Viertel. Setzt man sie instand, stellt man den bisherigen Zustand wieder her. Nun kann man diesen Defekt stattdessen aber auch wörtlich als Bruch in der Geschichte verstehen und fragen: Welche Rolle könnte diese Infrastruktur spielen? Könnten wir den Zugang zu Energie über diese Gruppe wohlhabender Menschen hinaus auf angrenzende Viertel ausweiten? Der von ihm skizzierte Fall zeigt: Reparatur kann radikal politisch sein.Genau 30 Jahre ist es her, dass Wilfried Lipp auf einer Tagung zur Denkmalpflege in Passau den Begriff der „Reparaturgesellschaft“ einführte. Der Kunsthistoriker und damalige Landeskonservator Oberösterreichs erkannte: „Rettung von Natur wird jedenfalls nicht ohne teilweise Tilgung von Geschichte denkbar sein.“ Denkmalschutz beabsichtigt, Geschichte einzufrieren. Und das kostet Ressourcen. Museen bewahren Kunstwerke durch die richtigen klimatischen Bedingungen. Die Frage ist, ob der Anspruch, so viel Geschichte wie möglich so lange wie möglich konservieren zu wollen, überhaupt noch tragbar ist. Müssen wir wirklich jedes einzelne Objekt, das seit Jahrzehnten im Depot lagert, restaurieren und erhalten? Der Konservierungs-Experte Stefan Simon (siehe auch Seite 25) hat es in einem Interview mit dem Freitag einmal so formuliert: „Kunst- und Kulturgut wird nicht auf immer zu erhalten sein, das ist einfach unmöglich. Mit der Zeit und mit Wasser, hat Leonardo da Vinci gesagt, verändert sich alles, und da ist etwas Wahres dran.“ Und er merkt an: Je länger der Zeitraum angesetzt wird, innerhalb dessen Kunstwerke erhalten werden sollen, desto teurer und klimaschädlicher werden die Maßnahmen.Vermeintlich makellosUnd dann ist da noch die Reparation im Sinne der Wiedergutmachung historischen Unrechts, darunter fallen Reparationszahlungen und Restitutionen, also die Rückgabe geraubter, unrechtmäßig enteigneter, erpresster oder zwangsverkaufter Kulturgüter. Aktuell scheiden sich die Geister bei der Diskussion um die Benin-Bronzen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth gaben die ersten 20 der einst geraubten Bronzen im Dezember 2022 feierlich an Nigeria zurück. Derzeit ist aber unklar, ob die Bronzen dort überhaupt öffentlich zugänglich sein werden, so wie man sich das aus deutscher Sicht gewünscht hätte. Denn der nigerianische Präsident hat die Besitzrechte an den Bronzen direkt an den Oba von Benin übertragen. Auch an dieser Debatte wird deutlich, dass Restitution nicht unbedingt im Sinne des modernen, europäischen Reparaturdenkens einen vermeintlich „makellosen“ Originalzustand wiederherstellen kann.Der Reparaturdiskurs wirft aber auch darüber hinaus politische Fragen auf. Zugegeben, es ist absurd, für ein Wochenende nach Venedig zur Biennale zu fliegen und dort mit dem (selten reparablen) Smartphone Fotos vom Deutschen Pavillon zu machen. Das ist dann eher „Repair Washing“, wie Wilfried Lipp es beschreibt. Die Hoffnung aber, dass viele kleine Reparaturen viele kleine Revolutionen bedeuten könnten, schwingt trotzdem mit. Denn diese neue Weise, Reparatur zu denken, strebt anstelle der Rückkehr zum makellosen Originalzustand auch eine Veränderung der Verhältnisse an. Sie zeigt, dass der Bruch oder Defekt nicht so schnell wie möglich auszumerzen ist, sondern eine Chance ist, alte Zusammenhänge und Funktionen neu zu konfigurieren. Die Reparatur des Materials, wie in Táíwòs Beispiel mit der Stromleitung, hat dann konkrete Auswirkungen auf die soziale Realität. Es bleibt zu wünschen, dass die Praktiken, die derzeit in Venedig vorgeführt werden, nicht nur kurzfristig ausgestellt, sondern auch langfristig weitergeführt werden, wenn die Architektur-Biennale im Spätherbst endet. Wie Attia richtig sagt: „Reparatur darf keine Metapher bleiben, sondern muss zur Handlung werden.“ Für alles andere bleibt keine Zeit.Placeholder infobox-1