Henrike Naumanns Atelier befindet sich in einer ruhigen Seitenstraße in Berlin-Neukölln. Daneben eine Praxis für Naturkosmetik, gegenüber Dodo’s Spätkauf und ein Keglerheim. Die Scheiben sind abgeklebt, es gibt keine Klingel. Acht Künstler arbeiten in dem ehemaligen Ladengeschäft. Naumanns Arbeitsplatz lässt sich an der 90er-Jahre-Optik erkennen: Drahtfiguren stehen herum, ein Glastisch, eine metallisch-lila glänzende Vase, eine Uhr in Dreiecksform mit wellenförmigem Stehfuß, ein wuchtiger Fernseher. Davor steht ein kleiner Holztisch, darauf ein Modell: Helle Schrankwände aus Holz sind zu einem Halbkreis angeordnet, weitere Schrankteile liegen obenauf. Eine Art Wohnzimmer-Stonehenge.
Es ist ein Entwurf für Naumanns Installation Das Reich, die ab Samstag im Rahmen des 3. Berliner Herbstsalons des Maxim-Gorki-Theaters im Kronprinzenpalais zu sehen sein wird. Der festliche Saal des klassizistischen Baus, in dem 1990 der Einigungsvertrag unterzeichnet wurde, spielt in Naumanns Werk eine entscheidende Rolle. Der Vertrag regelte die Veränderungen, die durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik notwendig geworden waren. „Die Unterzeichnung nehmen die Anhänger der Reichsbürger-Ideologie als einen Hebel, um zu behaupten, die Bundesrepublik habe aufgehört, zu existieren. Ihrer Meinung nach besteht das ‚Deutsche Reich‘ fort“, erklärt sie.
Naumann beschäftigt sich seit 2012 in ihren Arbeiten mit Radikalisierung. Und damit, was diese mit individuellen Erfahrungen und Jugendkulturen zu tun hat. Ein Mittel, um die Prozesse der Radikalisierung von innen heraus zu verstehen, sind für sie Inneneinrichtungen. Bevor Naumann sich als bildende Künstlerin selbstständig machte, studierte sie Angewandte Künste. Erst Kostüm- und Bühnenbild, dann Szenografie. Damals setzte sie Objekte ein, um die geschlossene Erzählung von Filmen und Theaterstücken zu komplettieren. Heute nutzt sie diese, um Fragen zu stellen. Statt zu dekorieren, dekonstruiert sie. Ihre Schauspieler sind die Besucher, die in den Installationen umhergehen und über Themen wie Radikalisierung, Subkulturen oder politische Haltung ins Gespräch kommen sollen.
Spinner-Stonehenge
Vor fünf Jahren errichtete der rechtsesoterische Neo-Druide Burghard B. an einem Friedhofsgelände in Schwetzingen sein eigenes Stonehenge. Die Gemeinde ließ die Kultstätte entfernen. Zunächst tat man den kostümierten Anhänger der Reichsbürger-Ideologie als verwirrt ab, doch Anfang dieses Jahres wurde nach Waffen- und Sprengstofffunden gegen Burghard B. ein Haftbefehl erwirkt. Ihre Installation, sagt Naumann, sei eine Art dystopische Zukunftsvision: „Was, wenn die Reichsbürger keine abseitigen Spinner sind?“ Seit die Künstlerin vor einem Jahr mit Das Reich begann, hat sich die politische Lage verändert. Politiker mit völkischer Gesinnung sind in den Bundestag eingezogen. Auch ihre Arbeit musste sich verändern: „Nun geht es nicht mehr nur um die Reichsbürger, sondern generell um deutsche Geschichte und darum, wie mit der DDR nach ihrem Ende umgegangen wurde.“
Naumann stammt selbst aus der DDR. Sie wurde 1984 in Zwickau geboren und hat dort als Kind die Wende miterlebt. Um einen Zugang zu politischen Themen zu bekommen, wählt sie den Umweg über Ästhetik. Interieurs erzählen in ihren Augen viel über die Art, wie Menschen leben und darüber, wie weit Meinungen über einen Sachverhalt auseinanderdriften können. Die Drahtfiguren etwa sind für Naumann eine Metapher für den „kleinen Mann", auf dem immer alles abgeladen wird. Das passt dazu, dass die Reichsbürger sich in einer Defensive gegenüber dem Staat sehen.“ Mit der Wohnung im Stonehenge-Format will sie einen bestimmten Zugriff auf Geschichte und Ideologien verdeutlichen: Reichsbürger greifen sich verschiedene Aspekte aus esoterischen Pseudowissenschaften oder völkischen Ideen der Nationalsozialisten heraus und versuchen damit, ein kohärentes Konstrukt aufzubauen. Dessen Brüchigkeit machen Furnierholz und silbernes Plastik anschaulich.
Viele der Möbel und Accessoires, die Naumann für ihre Arbeiten braucht, findet sie über Ebay Kleinanzeigen oder auf Trödelmärkten in ihrer alten Heimat. Bei einer älteren Frau in Staaken hinter Spandau hat sie kürzlich Kaninchenfelle abgeholt. „Ich übergebe den Leuten am Ende immer auch eine Einladungskarte zu der Ausstellung, für die ich die Objekte brauche.“ Dieses Mal kostet sie das sehr viel Überwindung. Mit der Frau aus Staaken hat sie sich danach eine Dreiviertelstunde aufs Sofa gesetzt. So tritt sie bereits in deren vier Wänden mit potenziellen Besuchern in den Diskurs. Naumann erklärt und nimmt sich Zeit. Das ist auch in ihren Installationen so, für die sie immer ein Vermittlungsmodell mitdenkt. Auch zwischen den Schrankwänden im Kronprinzenpalais wird am 16. November ein Publikumsgespräch stattfinden.
Je nachdem, welche Ästhetik sie gerade sucht, kommt Naumann zu ganz unterschiedlichen Menschen. „Als ich für eine Ausstellung zu jugendlichen Subkulturen nach schwarzen Schrankwänden und bunten Sofas gesucht habe, war ich eigentlich nur in Marzahn, Hellersdorf, Lichtenberg und habe das aus dem 18. Stock geholt. Mit der Ästhetik, die ich jetzt für das Kronprinzenpalais angedacht habe, war ich eher in Steglitz, Zehlendorf und in gediegeneren Gegenden. Ab und zu auch in Villen.“ Politisch aufgeladene Gegenstände bekomme sie eher nicht von Privatleuten. „Die finde ich in Trödelhallen in Sachsen.“ Naumann arbeitet auch mit Geschichtsobjekten. Auf einem Regal liegt ein Stück Mauer, daneben eine Uhr mit einem Steinstück aus der Frauenkirche und ein Teil aus dem Berliner Stadtschloss. „Ich präsentiere diese Objekte so wie andere Leute Heilsteine.“ Es geht um die Frage, wie manche Kraft ziehen aus Objekten der deutschen Geschichte. Einen Glauben in Geschichte zu finden. Und sich daraus, wie im Fall der Reichsbürger, einen Parallelstaat aufbauen. Im Großen in Form eines Gedankenkonstrukts – und im Kleinen im eigenen Zuhause.
Wie in einer Schaltzentrale werden die Objekte in den Regalen liegen. Stets bereit für den Einsatz. Auf einem Glastisch aus den 1990ern werden ein Kaninchenfell und ein Trinkhorn im Wikinger-Stil liegen sowie eine schwarze, geschwungene Ikea-Vase und ein Erinnerungsteller zur Wiedervereinigung von 1990. Diese Anordnung symbolisiert für Naumann die Suche nach etwas Einfachem, Ursprünglichem: „Aber auch das Aushalten von Widersprüchen, die es mit sich brachte, wenn man das ganze Leben in der DDR verbracht hatte und die Wiedervereinigung miterlebte.“ Für Naumann drückte sich das als Kind in Form von Farben aus. Da war der kleine Dorf-Konsum, in dessen Regale nach der Wende schrille Plüschtiere einzogen, auf die sie fortan ihr Taschengeld sparte. Und da war Ikea, dessen Lila, Pink und Türkis nach der Wende in vielen Wohnzimmern Einzug hielten und die altbekannte Farbwelt, in der man es sich all die Jahre gemütlich gemacht hatte, mit einem Schlag veränderten.
Das gute Holz
Einige ihrer Freunde von früher sind heute in der rechten Szene. Als Kinder seien sie alle gleich gewesen: „Warum sind manche nach rechts abgedriftet?“ Um das zu verstehen, baute Naumann auch deren Wohnungen nach, suchte nach Dingen, die sie dort gesehen hatte. Auffällig war: „Bei uns zu Hause gab es 89/90 diesen Bruch nicht.“ Die Einrichtung bei Naumanns war aus altem, wiederverwertetem Holz und sollte es auch bleiben. „Das lässt sich wiederum auf die Situation meiner Eltern übertragen. Beide haben ihre Jobs nicht verloren. Es gab nicht dieses krasse Vorher-Nachher.“ Naumanns Eltern waren zu DDR-Zeiten oppositionell, der Systemwechsel bedeutete für beide keinen Sicherheitsverlust. „Das Wertesystem bei uns zu Hause blieb im Grunde gleich.“
Wenn Naumann ihre Familie im Osten besucht, bekommt sie von den Älteren oft zu hören: Warum machst du die Frage nach Ost und West wieder auf? Es muss jetzt doch auch mal vorbei sein. Dann verneint sie und sagt, es fange doch gerade erst an. „Weil man zu früh gedacht hat, es ist vorbei. Man dachte, das wäre alles easy. Einmal Deutschland, noch mal Deutschland, hat man ein großes Deutschland. Genau in der Tradition sehen sich die Reichsideologen. Nach dem Motto, wir haben ja schon einmal einen Staat überwunden, jetzt müssen wir es einfach wieder machen. So wie die DDR falsch war, ist die BRD jetzt falsch.“ Ihre Kunst bezeichnet Naumann als politisch. Doch statt als Beruhigung, funktioniert die Arbeit an diesen Themen für sie als Aufforderung: „Es fühlt sich gerade nicht so an, als wäre es genug Politik, politische Kunst zu machen.“
Info
Das Reich von Henrike Naumann wird ab dem 11. November beim 3. Berliner Herbstsalon des Maxim-Gorki-Theaters gezeigt
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