Plaudern und Politik

Medien Was taugen die neuen feministischen Podcasts? Sie bringen Argumente in den konsumfreudigen Popfeminismus
Ausgabe 43/2017
Plaudern und Politik

Montage: der Freitag, Material: Getty Images

Podcasts sind die perfekte Kombination aus Leistung und Non-Stop-Beschallung. Während man von Information oder Unterhaltung profitiert, lässt sich putzen, joggen, kochen, Bahn fahren oder aufräumen. Wenn der Podcast dann auch noch das Thema Feminismus abdeckt, ist man ziemlich up to date.

Warum passen Podcasts und Feminismus so gut zusammen? Um das zu erfahren, treffe ich Katrin Rönicke. Sie ist Podcast-Pionierin und eine der Macherinnen des hierzulande meistgehörten feministischen Lila Podcasts. Bis 2011 schrieb sie zusammen mit den Journalistinnen Barbara Streidl und Susanne Klingner den bekannten feministischen Blog Mädchenmannschaft. Viel Zeit ging damals für das Bearbeiten und Blockieren von Hate-Speech-Kommentaren drauf. Beim Podcast bleibt Hass in den Kommentarspalten bislang größtenteils aus. Rönicke meint: „Bei Texten kommt es auf die Stimmung an, in der man sie liest. Mit welcher Stimme gesprochen man das Geschriebene im Kopf hört. Ob man es bösartig hört oder wohlwollend. Die Zwischentöne muss man sich selbst dazudenken. Bei einem Podcast sind die da. Es entstehen weniger Missverständnisse.“ Wer eine Podcast-Folge ernsthaft kritisieren möchte, muss sich Zeit nehmen, sie anzuhören. Ein schnelles Überfliegen, wie bei einem Text, ist nicht möglich. Es gibt keine visuelle Angriffsfläche, wie Fotos oder große Überschriften. Verständnis und konstruktive Kritik dominieren. Das Medium scheint damit wie gemacht für eine öffentliche Auseinandersetzung mit feministischen Themen.

„Alice Schwarzer? Och nö“

Der Sprung vom geschriebenen zum gesprochenen Wort ergab sich für Rönicke vor fünf Jahren über Tim Pritlove. Sein Podcast CRE zu Technik, Kultur und Gesellschaft entstand bereits 2005 im Umfeld des Chaos-Computer-Clubs. Er lud die Journalistin ein, mit ihm eine Folge lang über Feminismus zu sprechen. Unter der Episode gab es über 200 Kommentare, die Reaktionen waren fast durchweg bestärkend. Für Rönicke war das der Aha-Moment: „Da gab es auf einmal diese offene Welt, die sich mir auftat. Mir wurde bewusst, dass ich hier noch mal ganz anders vermitteln kann.“ Sie fragte ihre Kolleginnen Streidl und Klingner, ob sie Lust auf einen Podcast hätten. Die drei begannen 2013 mit dem Lila Podcast. Heute haben sie mit ihm mehr Reichweite, als sie mit ihrem Blog Mädchenmannschaft jemals zu erzielen vermochten. Auf dem Blog erreichte ein besonders populärer Artikel bis zu 8.000 Klicks. Ihre Podcast-Folgen hören dagegen bis zu 12.000 Menschen. Bei einer sehr erfolgreichen zu Antisemitismus im Feminismus waren es zuletzt sogar 30.000. Alle zwei Wochen erscheint eine neue Folge. Und wer hört den Lila Podcast? Von der Abiturientin bis zur Rentnerin haben sie alles dabei, sagt Rönicke. „Und wir hatten das Glück, dass wir von Anfang an durch den ersten Podcast mit Tim und seiner Zielgruppe ein Hacker-Nerd-Publikum erreicht haben. Ich schätze, die Hörer von Tims Podcast waren überwiegend männlich und hatten mit Feminismus nichts am Hut. Höchstens so: Alice Schwarzer? Och nö.“

Hörtipps Deutsch

Lila Podcast: Die Pionierinnen Katrin Rönicke, Susanne Klingner und Barbara Streidl über aktuelle Themen aus feministischer Perspektive
Feuer & Brot: Die Freundinnen Alice und Maxi unterhalten sich persönlich und humorvoll über Fragen aus Popkultur, Gesellschaft und Politik
Leitmotiv: Blogger und Journalist Caspar Clemens Mierau lädt sich in jeder Folge in die Küche einer Frau ein
kleinercast: Die Macherinnen des Blogs kleinerdrei sprechen über Themen wie Disney-Heldinnen und Boygroups, die AfD oder Sex
Vegan Queens: Die Kochbuch-Autorin Sophia Hoffmann trifft Frauen, die in der Gastronomie tätig sind

Die meisten erfolgreichen Podcasts, in denen Frauen sprechen, kommen aus den USA. „Ich würde sagen, dass Amerika uns in Sachen Podcast so fünf Jahre voraus ist“, erzählt Rönicke, „Außerdem gibt es in den USA immer mehr Frauen, die aus ihren Hobby-Podcasts richtige Unternehmen gründen. Die Finanzierung läuft über Werbung, die sie in die Folgen einbinden. Ein Beispiel für zwei amerikanische Frauen, die aus ihrem Hobby-Podcast ein Unternehmen gemacht haben, sind Ann Friedman und Aminatou Sow mit Call your Girlfriend“. Das deutsche Pendant zu den beiden sind Alice und Maxi vom noch jungen Podcast Feuer & Brot. Die beiden erzählen mir, dass sie, bis Hörerinnen sie darüber aufklärten, selbst gar nichts von ihren amerikanischen Vorbildern wussten. Sie hatten schlichtweg die gleiche Idee: Zwei beste Freundinnen wohnen in verschiedenen Städten und skypen über Themen, die sie gerade beschäftigen. Alice und Maxi verzeichnen bis zu 6.000 Hörer pro Folge. Gestartet haben die beiden Ende Zwanzigjährigen vor ungefähr einem Jahr. „Damals war gerade das Lemonade-Album draußen, wir haben über Beyoncé geredet und über Jan Böhmermann.“ Alice arbeitet für die Tagesschau in Hamburg und Maxi als Sprecherin in Berlin. Den Podcast machen sie neben ihren eigentlichen Jobs. Einmal im Monat erscheint eine Folge. Alice schneidet, Maxi kümmert sich um Social Media und die Homepage. Da sind Folgen zu finden mit Titeln wie „Deutschrap hören und Feministin sein – geht das zusammen?“ oder „Sexuelle Gewalt und Rape Culture in Hollywood und Serien“. In einer Episode geht es um Frauen in der Politik, in einer anderen um den Zusammenhang von Terrorismus und toxischer Männlichkeit. „Die Themenfindung ist meist sehr organisch, weil wir uns für ähnliche Debatten interessieren.“

Substanz am Ohr

Zwischen schweren Themen sprechen sie auch über leichtere, wie Pannen und Privates oder Heimatgefühle und Erwachsenwerden. Eine feste Dramaturgie gibt es nicht. Durch die Gesprächssituation hinterfragen die beiden sich selbst, liefern weiterführende Denkanstöße und kommen auf Aspekte, über die sie sonst nicht nachgedacht hätten. Möchte man von Katrin Rönicke wissen, was für sie einen guten feministischen Podcast ausmacht, kommt die Rede auf das junge Duo: „Ich mag das Geplauderte, wie bei Feuer & Brot, das trotzdem nicht an Tiefe und Substanz verliert. Dass man das Gefühl hat, man sitzt mit am Tisch bei seinen Freundinnen und die quatschen über Themen, die sie gerade bewegen, die auch politisch sind.“

In Deutschland steckt das Medium Podcast noch in den Kinderschuhen. Und nur an wenigen sind Frauen beteiligt. Trotzdem gibt es Gründe, an dieser Stelle auch über einen Mann zu schreiben. Denn, wie Alice zusammenfasst, es gibt Podcasts, die eine Plattform für Frauen schaffen. „Da steht zwar nicht explizit Feminismus drauf, aber trotzdem werden Frauen dadurch nach vorne gebracht.“ Der Blogger und Journalist Caspar Clemens Mierau macht einen Podcast mit dem Titel Leitmotiv. Zu seinen Folgen lädt er jeweils eine Gästin („Das Wort findet sich übrigens im Duden, ich habe das nicht erfunden.“) ein und interviewt sie zu ihrem Leben. Zum Beispiel erzählt die deutsche Journalistin und Aktivistin Kübra Gümüşay, warum sie aus Tradition ihrem zukünftigen Mann Salz in den Kaffee geschüttet hat.

Hörtipps Englisch

Women of the Hour: Lena Dunham, die Schauspielerin, Regisseurin und Autorin moderiert den von BuzzFeed produzierten Podcast
Public Intellectual: Jessa Crispin, die Autorin von Why I Am Not a Feminist, spricht mit interessanten Frauen auch über ungewöhnliche Themen wie Zauberei in Zeiten des Kapitalismus
Call your Girlfriend: Ann Friedman und Aminatou Sow sind das amerikanische Pendant zu Feuer & Brot und bringen humorvolle Folgen zu Themen aus Popkultur und Politik in den USA
Popaganda und Backtalk: Die beiden Podcasts des von Andi Zeisler gegründeten Verlags Bitch Media nehmen aktuelle Aspekte aus Gesellschaft und Popkultur unter die Lupe. In Backtalk unterhalten sich zwei Redakteurinnen eher locker. Popaganda ist ein Erklärformat, in dem Themen behandelt werden wie Sprache und Migration oder wie man als Feministin Sport-Fan sein kann

Sich öffentlich zu Feminismus und Frauenrechten zu bekennen, liegt im Trend. US-amerikanische Autorinnen wie Andi Zeisler oder Jessa Crispin, selbst Podcast-Macherinnen, kritisieren die Entpolitisierung hinter den unzähligen Konsumangeboten, die der Popfeminismus heute macht. Das Kaufen eines Shirts mit Aufdrucken wie „The Future is Female“ oder „We should all be feminists“ ersetzt keine politische Handlung. Können Podcasts den Popfeminismus inhaltlich bereichern und feministische Argumente und Themen in eine breite Öffentlichkeit tragen?

Podcasts können ein Grundstein sein für eine politisierte Version des Popfeminismus. Ein Medium, über welches gesellschaftlich relevante Themen aus einer feministischen Perspektive besprochen werden, mit dem praktische Anstöße direkt ins Ohr gehen. Das Inhalte über eine Plattform transportiert, die junge Menschen anspricht. Das kostenlos und portabel ist, aber trotzdem einen intimen Zugang bietet und eine persönliche, ernst gemeinte Auseinandersetzung ermöglicht. Und das als Informationsträger und politisches Werkzeug Themen aufzeigt, die deutlich machen, dass der Kauf eines T-Shirts nur ein modisches Rippenbekenntnis zum Feminismus ist und nur der Anfang sein kann, um sich aktiv für Gleichberechtigung einzusetzen. Podcasts lassen sich auch gut zu mehreren anhören, zum Beispiel bei einer Autofahrt, sodass direkt im Anschluss über das Gehörte diskutiert werden kann.

Am Ende lässt sich wohl nur eines sagen: Es ist Zeit für mehr feministische Podcasts! Podcasts, die von weiblichen oder transsexuellen Vorbildern erzählen, neue Themenbereiche eröffnen, beim Thema Wahlprogramme oder Hebammen nachdenklich stimmen, das eigene Handeln hinterfragen, wütend machen, vernetzen, Begriffe wie Vulva definieren, Fragen aufwerfen, zu eigenen Ideen anregen oder einfach nur Spaß machen und lustig sind.

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