Lesen ist, wenn Papier raschelt.

print online offline Und dann sind vier Stunden rum und ich sage danach: „Also heute hab ich echt NICHTS geschafft.“

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Eine Pressemitteilung von einem Bundesministerium ist voller Fehler, die Erwachsenen-PISA-Studie nährt Zweifel am Mitmenschen, und Sascha Lobo möchte in Zukunft Threads drucken – bleibt zu hoffen, dass er einen guten Korrektor hat.

Dem attestierten Sterben des gedruckten Wortes scheint auf leisen Sohlen die Verächtlichmachung desselben zu folgen: Geht ja alles viel schneller, pointierter, bunter im Netz! Jaha, möchte man rufen, wenn es nur um Däumchen hoch oder runter geht. Wenn es nur um dies Skandälchen, jene Aufdeckung der Millionensumme geht. Wenn es um DIE ANDEREN geht.

Wenn es um mich mich mich, ganz allein allein allein geht, kommt nur Gedrucktes infrage und sonst gar nichts. Meine Welt, ganz und gar. Das Unterhaltende, Informierende des Internets hat nichts, aber auch gar nichts mit dem zu tun, was Bücher mit einem machen (können). https://lh5.googleusercontent.com/-vY_5m5nH12o/UlgZfyTAzfI/AAAAAAAAASk/gkX5O6bSbNQ/w500-h322-no/kafka.jpg

Das Netz hetzt mit seinem Zuviel an allem nach immer Neuem, und dann ist der eine König, und die anderen sind die, die nachmachen. Die einzige, alleinige Währung im Netz, Währung für Netzaktivitäten ist Aufmerksamkeit. Ja, aber im Buchmarkt doch auch, rufen Sie. Hier geht’s aber nicht um den Buchmarkt. Sondern um den Unterschied, etwas in gedruckter Form oder online zu lesen.

Was ich online lese, packe ich gleich ins gute oder schlechte Töpfchen. WAS ich online lese, wird durch sehr sehr viele Zufälle, die nichts, und zwar ebenfalls gar nichts mit mir zu tun haben, entschieden. Wenn ich gelesen habe, klicke ich weiter. Manchmal kommentiere ich, verschick einen Link, und klicke dann weiter. Weiter, weiter.

Weiter.

Weiter.

Weiter, weiter.

Und dann sind vier Stunden rum und ich sage danach: „Also heute hab ich echt NICHTS geschafft.“

Das nackte Grauen, das manche angesichts einer Offline-Existenz ereilt, die verlangt ohne Daumenhoch, Teilen und Kommentieren auszukommen, von Apps, die anderen verraten, wo ich bin, ganz zu schweigen, ist der unverheiratete Cousin jener süßen Einsamkeit, die das Lesen eines Buches, Kindle sei erlaubt, Magda, voraussetzt und fördert.

Du bist allein, wenn du liest. Wenn du ein Buch liest, bleibst du es auch. Ein Buch sagt nicht: „Wenn du mich magst, magst du vielleicht auch dies hier.“ Was ist etwa dies gegen das Entlangstreifen an Bücherregalen, Bücher erkennend, lächelnd, herausnehmend, sich erinnernd. Mit all deinen Gedanken und Gefühlen, deinem Wissen, deinen Erfahrungen liest DU das Buch. Du liegst im Bett, auf dem Sofa, in der Badewanne (ich hab drei, die schon mal reingefallen sind), sitzt im Garten, auf dem Balkon, in der Küche. Du hast dich für dieses Buch entschieden, es in die Hand genommen und aufgeschlagen. Du folgst (im besten Fall) den Menschen, die du dort triffst, und deren Geschicken. Danach kennst du ein paar Menschen mehr, vielleicht weißt du auch mehr über fremde Welten. Du hast gelacht, dich gefreut, dich gewundert, geärgert, warst gespannt. Nur für dich, ganz allein. Du musst nach dem Lesen nicht sagen, wie es war. Du musst nicht gleich das Buch nebenan lesen. Einem Buch ist es übrigens auch egal, wie du aussiehst oder wo dein aktueller Standort ist.

Lesen (analog) ist ein Alleinsein, das nicht zu vergleichen ist mit Leersein nach dem Klick auf „Ausschalten“ nach vier Online-Stunden. Ersteres ist ein Füllhorn, ein Trost, ein Versprechen. Internet ist Jagd, Klickalarm, Zwitscherfreude, Mobilmachung. Hier hab ich für mich, da hab ich für die anderen, mit den anderen.

Lesen ist, wenn Papier raschelt.

Schreiben ist, wenn keiner dreinquatscht. Übrigens.

Angeregt durch Artikel von M. Angele und M. Leinkauf.

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Geschrieben von

Amanda

Wieder hier, wieder da, wieder dort.

Amanda

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