Gefühlt im Momentum

Werbung Wenn Konsumenten scheinbar wunschlos glücklich sind, müssen Wünsche eben dem Produkt angepasst werden. Die Agentur JVM erklärt wie das geht

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

http://amtfuerwerbefreiheit.org/wp-content/uploads/2013/05/Jung-vonn-matt.jpg

Das Trojanische Pferd von JvM

Wenn jemand was von Werbung versteht, so sind es sicher die Kreativen von „Jung von Matt“ (JVM). Die aus Hamburg stammende Agentur ist verantwortlich unter anderem für die BILD- Promi Werbung. Die beiden Gründer – Holger Jung und Jean-Remy von Matt – haben Anfang der 0er Jahre ein Buch über sich herausgebracht: „Momentum“. Schlitzohrig, gewieft, kreativ und anekdotenreich berichten sie über ihren Beruf, dem sie sich „mit Leib und Seele verschrieben“ haben.

Recht sympathisch wirken die beiden Autoren dabei: witzig und ohne eine Spur von Zweifel an ihrer Tätigkeit. Und sie wissen, was sie tun. Schon die Wahl ihres Logos, das trojanische Pferd, verdeutlicht dies: So wie die Griechen der Sage nach, in dem als Geschenk harmlos getarnten Pferd hinter die Stadtmauern Trojas gelangten, um die Stadt zu erobern, so gelangen die Werbebotschaften JVMs als harmlos-charmante Geschichten und Witze getarnt in unsere Köpfe und nehmen Einfluss auf unser Verhalten.

Dass diese Einflussnahme nicht dem Willen und den Wünschen der Umworbenen entspricht, ihnen oft sogar widerspricht, wissen JVM genau und nehmen es als sportliche Herausforderung. So fordert JVM in „Momentum“, gute Werbung müsse es schaffen „Wünsche dem Produkt anzupassen“ und die Produkte „jenseits des reinen Funktionsnutzens mit emotionalen Erlebnisqualitäten aufzuladen“

Gefühlswelten für den Mehrwert

Oder anders gesagt: „Man baut für Marken Gefühlswelten auf und schafft so emotionalen Mehrwert, der eine Marke über das banale Produkt erhebt…“. Dass das nicht gegen den Willen des Umworbenen geht, weiß JVM:„ der Mensch will sich entscheidungsfrei fühlen, wenn er von Werbung angesprochen wird. Dazu müssen Zeichen, Sprache und Bilder so eingesetzt werden, dass sie die eigenen und ganz persönlichen Erfahrungen aktivieren. Und außerdem die Assoziationsbereitschaft zu Lasten der Urteilskraft erweitern.“ Über das Gefühl kann man den Willen des Verbrauchers beeinflussen und ihn dazu bringen, etwas zu tun, was er eigentlich nicht will: „der Verbraucher fühlt nie so, wie er soll. Sondern so, wie er will. Und damit er so fühlen will, wie er soll, muss man ihn schlichtweg verblüffen und überlisten.“

Wichtig sei es, „an die so genannten niederen Instinkte zu appellieren, wo die Entscheidungen für die meisten Kaufhandlungen getroffen werden.“

Denn die Menschen schalten den Fernseher ja nicht ein, „ um für etwas, was sie gar nicht anschauen wollen, auch noch den Kopf einschalten zu müssen.“ Deswegen ist es für zukunftsfähige Werbetreibende essentiell, das trojanische Pferd zu bauen, die Schutzmauern der Vernunft zu umgehen, da im digitalen Zeitalter „Medienkonsum immer freiwilliger wird“. JVM weiß, dass sich freiwillig Niemand die eigentlichen Botschaften der Werbung anhören, geschweige denn nach ihnen handeln will.

Es muss also ein Kick her, ein Gefühl erzeugt werden, etwas dass JVM „Momentum“ nennt. Doch „wie soll ein normaler Mensch … emotionalisiert werden? So tiefgehend, dass er bereit ist, eine Marke zu mögen, zu lieben, zu kaufen?“

Auf diese Frage finden JVM und ihre Kollegen tagtäglich geniale Antworten. In jeder erfolgreichen Werbekampagne, jedem erfolgreichen Werbe -jingle, -spot, -slogan… beantworten sie diese Frage auf verblüffend einfallsreiche und überaus kreative Art. Doch so bewundernswert auch die Kunstfertigkeit und das hohe, professionelle Niveau ist, mit der und auf dem die Antworten gegeben werden, so wenig richtig sind doch alle diese Antworten. Die richtige Antwort ist: gar nicht. Ein normaler Mensch soll gar nicht emotionalisiert werden um eine Marke zu mögen, zu lieben, zu kaufen. Denn es ist nicht richtig mit den Gefühlen der Menschen aus Profitgier zu spielen. Es ist nicht nur nicht richtig, es ist schlichtweg falsch.

Und das wissen JVM. Auch J von JVM, so schreiben sie in ihrem Buch, habe als Jugendlicher im Deutschunterricht in einem Referat über Vance Packards „die geheimen Verführer“ tief empört über die Machenschaften der Werbeindustrie ambitioniert Stellung bezogen. Heute aber, erfahren und mit allen Wassern des Faktischen gewaschen, zitiert JVM sogar Naomi Klein, Globalisierungskritikerin und Autorin von „No Logo“, zum Beweis für die Wirksamkeit von Werbung ohne mit der Wimper zu zucken. Dass die Journalistin genau diese Wirksamkeit mit guten Gründen kritisiert, spart JVM dabei aus. JVM ist angekommen und brauchen sich für ihr Tun nicht zu rechtfertigen: Ihr Erfolg gibt ihnen recht.

von Michael Hock für das Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben.

Das Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben wird derzeit von rund 40 Aktiven aus ganz Deutschland geführt. Das Amt bearbeitet Fragen der Störung und Belästigung durch Werbung und fördert die gemeinschaftliche Umgestaltung des öffentlichen Raums. Darüber hinaus zählen sämtliche Belange rund um das Gute Leben – abseits der vorherrschenden Vorstellungen von Fortschritt und Wohlstand – zum Zuständigkeitsbereich des Amtes.

Mehr unter http://amtfuerwerbefreiheit.org

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Amt für Werbefreiheit

Das Amt für Werbefreiheit und Gutes Leben kämpft für ein von Außenwerbung befreites Berlin Friedrichshain-Kreuzberg bis 2014.

Amt für Werbefreiheit

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden