Die Liebeshandlung (126-200) || Der Kreis schliesst sich

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Dieser Text ist Teil eines Projekts: Wir lesen gemeinsam Die Liebeshandlung von Jeffrey Eugenides.

Ich muß gestehen, ich hänge immer noch bei Seite 200. Der erste Abschnitt ist gelesen. Durch die letzten 80 Seiten bin ich irgendwie gerast, es hatte mich wohl gepackt. Bis ich zur Seite 200 kam.
Madeleines Liebeskummer ist wirklich sehr intensiv dargestellt. Fast schon schmerzhaft. Soweit kann ich mich auch noch reinversetzen. Nicht verstehe ich aber die Sache mit Thurston. Nachdem sie sich wochenlang rumquält, ich in ihrem eigenen Schmerz suhlt und die Welt um sich herum vergißt, genügen ein paar Bier, und sie landet mit einem Anderen im Bett. Sie will sich selbst quälen, erniedrigen, vielleicht strafen. Das hat fast was automasochistisches an sich.

(Auch hier kommt Eugenidis Humor nicht zu kurz : )

"Beim Küssen war Thurston Minimalist. Er drückte seine dünnen
Lippen auf Madeleines, und sobald sie ihre öffnen wollte, zog er
seinen Mund weg. Es war, als wischte er seine Lippen an ihren ab. "
(Seite 144-145)


Nach einer schrecklichen Nacht kämpft Madeleine mit einem Kater. Hinzu kommen Selbstvorwürfe.

"Madeleines einziger Trost bestand in dem Wissen, dass sie - im
technischen Sinne - unberührt geblieben war. Es wäre so viel
schlimmer gewesen, sich daran erinnern zu müssen, wie Thurston,
tröpfeld, auslaufend, in ihr gekommen wäre.
Dieser Gedanke wurde vom Schrillen der Türklingel und der plötzlichen
Erkenntnis unterbrochen, dass es der Tag der Abschlussfeier war und
ihre Eltern unten standen."

(Seite 146)

und - taataaa - so schliesst sich der Kreis und wir sind wieder auf den ersten Seiten. Jetzt setzt sich alles in ein besseres Bild, erklärt sich manches, wird klarer.
Es ist wieder der Tag der Abschlussfeier, Madeleine ist wütend, aber auch voller Selbstmitleid. Mitchell ist enttäuscht und in seinem Stolz verletzt ob Madeleines Nacht mit Thurston. Leonard ist krank, mit Depressionen in eine Klinik eingeliefert, und nun erfahren wir auch die wahre Bedeutung der Trennung der Beiden und der "Sprache der Liebe".

"Erinnerst du dich an den Tag, als du mir gesagt hast, dass du mich
liebst ? Erinnerst du dich daran ? Du konntest das sagen, weil du
von Grund auf ein gesunder Mensch bist, der in einer liebenden,
gesunden Familie groß geworden ist. Du konntest so ein Risiko eingehen.
Aber in meiner Familie haben wir uns nicht gesagt, dass wir uns lieben.
Bei uns zu Hause haben wir uns angeschrien. Also was mache ich, wenn
du mir sagst, dass du mich liebst ?
Ich unterminiere es. Ich weise es zurück, indem ich dir Roland Barthes
ins Gesicht schleudere."

(Seite 200)

Ich muß zugeben, ich kann Leonard da sehr gut verstehen. Mehr als verstehen, ich hätte sicher auch so gehandelt. Na gut, ich werfe selten mit Büchern, aber das Unterminieren, die Zurückweisungen kenne ich gut. Schon komisch, solch Gedanken und Gefühle in einem Buch zu lesen.
Und wie sollte man in solch einer Situation auch anders reagieren können an Leonards Stelle ?

Ich bin sehr gespannt, wie es mit Mitchell - Madeleine - Leonard weitergeht :-)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Anchesa

In meiner Gedankenwelt ist kein Platz für Rassismus. - Dieter Hallervorden -

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