BLACK BANDITS im Haus am Lützowplatz

Ausstellung 200 Jahre "Lützower" ist zwar der Anlass, doch bei Weitem nicht der eigentliche Inhalt dieser so bemerkenswerten Schau im HaL (im Westberliner Ortsteil Tiergarten)

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Black Bandits im Berliner Haus am Lützowplatz verweist auf einen völkisch-traditionellen Kameraden-Kampfverein, der dieses Jahr sein 200. Jubiläum hat: die "Lützower".

"Nach dem für Napoleon katastrophalen Ausgang des Russlandfeldzuges wurde das erzwungene Bündnis Preußens mit Frankreich im Winter 1812/13 aufgehoben. Friedrich Ludwig Jahn und Friedrich Friesen, die schon seit 1810 in Berlin das Turnen und Schwimmen gefördert und den geheimen Deutschen Bund gegründet hatten, drängten den preußischen Minister Hardenberg zur Sammlung einer Freischar, in der Freiwillige aus allen deutschen Staaten gegen Napoleon kämpfen sollten. Offenbar vereinbarte man damals die Gründung einer solchen Truppe. Denn noch bevor der König vertraulich von Gerhard von Scharnhorst und offiziell von Major von Lützow um die Errichtung eines von diesem zu führenden Freikorps gebeten wurde, trafen Jahn und Friesen am 29. Januar 1813 am Sammelplatz Breslau ein. Dort warben sie in der Umgebung Freiwillige und bereiteten alles zur Aufnahme des zu erwartenden Ansturms vor. Lützows Truppe wurde im Februar 1813 mit offizieller Billigung unter dem Namen Königlich Preußisches Freikorps als reguläre Truppe des preußischen Heeres gegründet."(Quelle: Wikipedia)

Nach Waterloo (am 18. Juni 1815) war's damit vorbei.

Marc Wellmann, der die Schau beziehungsreich (sein Haus [Wellmann ist seit zwei Jahren künstlerischer Leiter des HaL] befindet sich am Lützowplatz im Westberliner Ortsteil Tiergarten), aktuell und pfiffig kuratierte, hatte freilich alles Andere als eine bloße Aufarbeitung der Geschichte jenes Kameraden-Kampfvereins im Sinn - obgleich er jeweils zu den fast zwei Dutzend Exponaten (mit Bildern, Skulpturen, Videos u.a.m.) sehr lesenswerte Querschlenker - auch zu dem scheinsinnigen Oberthema "Lützower" - auf Texttafeln zum Besten gibt. Das ist sehr klug und auch kompakt gemacht und wirkt so nicht museumspädagogisch; Gott sei Dank nicht...


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Römer + Römer, Napoleon in Berlin am 28.10.2006, 2006; Öl auf Leinwand, 200 x 250 cm | Bildquelle: hal-berlin.de

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Die Thematik (von Black Bandits) regt fürwahr zum Fabulieren an...

Mein leibhaftiger Vater - jung und dumm und wohnungs-/ eltern-/ orientierungslos - ließ sich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von der Légion étrangère anwerben; das war auch so eine Art völkisch-traditioneller Kameraden-Kampfverein, obwohl mehr "auf Französisch". Mit ihr zog er dann nach Indochina, um - das war sein Glück zu überleben [und mein Glück, dass ich zehn Jahre später überhaupt geboren werden konnte] - als zur Vietnamesischen Befreiungsarmee Übergetretener und ideologisch Umgepolter in die entfernteste Pronvinz der jungen DDR, beinahe zufällig, und sozusagen rückkehrmäßig aufzuschlagen. Lützow anno 1958er!

Der Untertitel ist frech-jung & modisch-laut gehashtagt und geht so hier: #lützow #befreiungskriege #napoleon #waterloo.

Doch keine Angst - der assoziative Raum für Individualbesucher (auch mit Twitter-Allergie, vielleicht) ist unbeschränkt und völlig offen. Gut so!!


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Norbert Bisky, r.e., 2009; Öl auf Leinwand, 70 x 50 cm; Foto: Bernd Borchardt, Credits: VG Bild-Kunst, Bonn; Sammlung des Künstlers | Bildquelle: hal-berlin.de

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Die Exponate, allesamt, stammen von Zeitgenossen (auch dasjenige von Norbert Bisky [s.o.]); und ein Teil von ihnen wurde explizit für diese Schau geschaffen.

Mein spontanes Lieblings-Exponat ist resp. sind die sieben uniformähnlichen Kleidungsstücke PERAANE-E-TOMBAAN (Hemd und Hose) der in Deutschland lebenden afghanischen Künstlerin Jeanno Gaussi. Jene werden - in einem für die dOCUMENTA (13) parallel gedrehten Video - von genauso viel jungen afghanischen Männern tanzend "ausgestellt" also performt und daher vorgeführt; das sieht sehr friedlich und sehr putzig aus und holt eine fast außerirdische Vision von ganz weit oben runter auf den allzu nahen Erdenplatz: den maskulinisch-allgemeinen Kriegsverdruss! Die Szene scheint auch 'Scheiß auf Taliban' zu sagen oder so...


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Das sind die 7 Uniformen aus: Jeanno Gaussi, PERAAN-E-TOMBAAN (Hemd und Hose), 2012; Afghanische Männerkleidung aus Uniformstoffen mit militärischen Insignien | Foto (C) Marcus Schneider

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Zudem sind Werke von Johannes Albers, Thomas Behling, Olivia Berckemeyer, John von Bergen, Marc Bijl, Emmanuel Bornstein, Thorsten Brinkmann, Axel Geis, Philip Grözinger, Ursus Haussmann, Uwe Henneken, Jenny Löbert, Jonathan Meese, Deimantas Narkevičius und Gerhard Richter zu besichtigen.

Verinnerlichung lohnt sich, hingeh'n - unbedingt.

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 09.06.2015 auf KULTURA-EXTRA] http://vg08.met.vgwort.de/na/cc72af24ee5b4f93b243850453ed5c9d

Marc Wellmann (Hrg.) | Black Bandits
96 Seiten / 16,5 x 24 cm / farbig
Preis in der Ausstellung: 15 €
Die Buchhandelsausgabe erscheint im Wasmuth-Verlag
ISBN 9783803033727

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

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