Christian Thielemann anno 2019

Konzertkritik Großes Strauss-Konzert mit den Berliner Philharmonikern

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Für Christian Thielemann (60) wird es ein nicht so gutes Jahr gewesen sein - natürlich nicht, was seine handwerkliche Qualität als einer der wohl besten (und selbstredend populärsten) deutschen Dirigenten anbelangt. Gemeint ist hier sein skandalöses Abserviertwordensein als künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg ab 2023; das erfolgte, quasi handstreichmäßig, durch das Aufsichtsratskonsortium des ausschließlich mit Privatgeldern sich finanzierenden Festivals, das ihn im Frühherbst durch die Nichtverlängerung seines Vertrages kaltstellte, indem es Nikolaus Bachler (den scheidenden Intendanten der Bayerischen Staatsoper) als neuen Intendanten der Osterfestspiele bestätigte und somit dem bereits seit langem schwelenden Machtkampf zwischen dem Bestellten und dem Abservierten resp. zu Bestellenden / zu Abservierenden ein vorläufiges Ende setzte. Wir erinnern uns:

Die Berufung der Staatskapelle Dresden (Chefdirigent: Christian Thielemann) "rettete" 2013 - in dem Jahr, wo die bis dahin (seit der 1967er Festivalgründung durch Herbert von Karajan) an der Salzach ununterbrochen residierenden Berliner Philharmoniker urplötzlich keine Lust, v.a. aber keine wirtschaftlichen Interessen mehr bekunden taten und ins reiche Baden-Baden fahnenflüchteten - sowohl den Ruf als auch den reibungslosen Weiterlauf des traditionslastigen Festivals; und mit der allerersten Festivalpremiere dieser neuen Ära, Wagners Parsifal, stand damals fest, dass der Orchestertausch, um den es eigentlich bloß ging, sehr gut und ziemlich weise angedacht und eingerührt gewesen war. Und als der Intendant noch Peter Ruzicka (Ära: 2015-2020) geheißen hatte, schien soweit noch alles bestens - bis die landeshauptmännische und vom Aufsichtsrat getragene Idee mit Bachler aufkam; zwischen dem und Thielemann bestanden keinerlei symbiotische Bereitschaften, nicht konzeptionell, nicht künstlerisch, ja und schon gar nicht menschlich; eine Art von Un-Paar also, das sich seit Bekanntwerden des neuen (Intendanten-)Plans jeweils gegen den jeweils Anderen medial erging. Obsiegen konnte freilich da nur einer von den beiden. Thielemann zog schlussendlich den Kürzeren und - dieses muss man auch an dieser Stelle miterwähnen - "opferte" sodurch gleich sein Orchester mit, das in drei Jahren also NICHT mehr als das Osterfestival-Orchester zur Verfügung stehen wird.

Das wollten wir jetzt - angelegentlich des diesjährigen Gastauftritts von Thielemann bei den Berliner Philharmonikern - nicht ungenannt sein lassen.

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Heute Abend war der in Berlin Geborene wieder bei sich zuhause, und die Philharmoniker spielten (mit ihm/für ihn) das, was er wollte: drei mal Richard Strauss, und zwar zwei unbekanntere Auswahlen sowie ein nicht ganz so unbekanntes Stück:

Die halbstündige Rosenkavalier-Suite op. 59 [1944, also zirka 35 Jahre nach Entstehen von Strauss' schönster Oper, durch Artur Rodzinski, dem Musikdirektor der New Yorker Philharmoniker, zusammengeschnipselt und zur damaligen Uraufführung dirigiert] spult alle nachsummbaren Hits gefällig ab und hinterlässt den durchaus zwiespältigen Eindruck, dass man auch "zur Not" ohne den lebensweisheitlichen Text Hugo von Hofmannsthals, also allein mit all dem schönen orchestralen Rausch laut vorliegender Partitur, beim Rosenkavalier zurande käme - stimmt zwar irgendwie, falls man es kulinarisch sieht, aber am Ende doch dann nicht. Die geistige und philosophisch einordbare Dimension des Rosenkavalier erklärt sich aus dem eigentlichen "Thema" des grandiosen Stücks, wo es - obwohl dort keine/keiner sterben muss - um Leben & Tod geht... Thielemann hat den originalen Rosenkavalier unzählig viele Male in der ganzen Welt vor-dirigiert; er ist vielleicht der präferierteste von seinen Sträussen - und das spürte man am Schluss dieses doch ziemlich anstrengenden Strauss-Konzerts.

Vorher sang Anja Kampe - gut gelaunt und metzgerinnenkräftig - die im Umfeld von Frau ohne Schatten nachentstandenen Drei Hymnen op. 71 nach diversen Texten Friedrich Hölderlins; im erstren und im dritten Lied ging es um Liebe, und im zweiten um die Heimat; gut zu wissen [und auch im Programmheft nachzulesen], denn die Textverständlichkeit war null.

Am aufsehenerregendsten erschien, zum Anfang dieses überambitionierten Straussabends, die fast nicht enden wollende und also nicht gerade unlangweilig anzuhörende "Sonatine für 16 Blasinstrumente Nr. 1 F-Dur WoO 135" mit dem Untertitel Aus der Werkstatt eines Invaliden. Dieses Stück hatte der alte Strauss ein Jahr vor Kriegsende geschrieben, und es hörte sich auch hundertpro nach Strauss an, und obgleich man hinterher nicht wusste, was man überhaupt gehört hatte; alles vergessen sozusagen. Ein gebläserndes Gesülze ohne jeden Tiefgang und auch ohne jede Ironie - - weiß auch nicht, warum Thielemann dann so versessen darauf war, das jetzt für die Berliner Philharmoniker zur Erstaufführung vorzuschlagen; nun, die Bläsergruppe klang natürlich hochvorzüglich, muss ja wohl jetzt nicht extra betont werden oder?

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Vor dem Programm gedachten Christian Thielemann und die Berliner Philharmoniker des vor paar Tagen verstorbenen Mariss Jansons (1943-2019); dasLohengrin-Vorspiel war ihm gewidmet.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 05.12.2019.]

BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 05.12.2019)
Richard Strauss: Sonatine für 16 Blasinstrumente Nr. 1 F-Dur WoO 135 Aus der Werkstatt eines Invaliden
- Drei Hymnen op. 71
- Der Rosenkavalier, Suite op. 59
Anja Kampe, Sopran
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Christian Thielemann

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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