DER FREISCHÜTZ an der Bayerischen Staatsoper

Live-Stream Agathe (Golda Schultz) wurde von Max (Pavel Černoch) einfach abgeknallt

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Corona verhagelte nicht nur das bis aufs Unscheinbarste hinabgebrochene Beethovenjahr 2020, nein - es verhagelt wohl (bis heute) auch das große Freischütz-Jahr 2021!

Webers wichtigstes Werk sollte und soll in seinen beiden eigentlichen Haupt-Aufführungsstätten, nämlich Berlin (Uraufführung im Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt) und Dresden (mit über 1.500 Vorstellungen, auch unter Leitung des damaligen Komponisten-Kapellmeisters und Direktors der Königlichen Sächsischen Hofoper), DAS erinnerungswürdige Ereignis der laufenden Saison (gewesen) sein; nun jährt sich die Uraufführung zwar erst am 18. Juni zum zweihundertsten Mal, aber bis dahin wollte/ will man hie und da mit neuen Inszenierungen längst durch sein...

Auch die Bayerische Staatsoper schritt jetzt voran und stellte ihre für diesen Monat "normal" angesetzte Premiere - pandemiebedingt - online, also ohne Publikum; ich sah und hörte mir das bis vorhin am Bildschirm/ unter Kopfhörern geduldig an...

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Das nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten vollkommen überbewertete Doppel-Genie Dmitri Tcherniakov [s. beispielsweise Wagners Parsifal und Tristan, Die Verlobung im Kloster von Prokofjew oder Verdis Il trovatore], das bei allen seinen Inszenierungen sowohl Regie führt als auch alle Bühnenbilder selbst entwirft, knetete seinen Freischütz so zurecht, dass er im neoliberalistischen Milieu frei nach dem Motto "busi­ness as usu­al" zu spielen kam, Ort/ Zeit der Handlung sind bei ihm also inmitten einer Glas-Beton-Siedlung sich breit gemacht habenden Penthouse-Suite im Stil der Achtziger bis Neunziger (als Kohl noch Bundeskanzler war) gesetzt:

Kuno (Bálint Szabó) hat eine gut gehende Firma, wo sein angehender Schwiegersohn Max (Pavel Černoch) angestellter Arbeitnehmer ist. Auch Kaspar (Kyle Ketelsen), seines Zeichens Exsoldat mit psychotraumatischen Defekten und einer Tendenz zur Schizophrenie, arbeitet dort. Das Kuno-Töchterchen Agathe (Golda Schultz), das mit dem raffgierigen Buisness-Vater brach und von zuhause weggezogen war, freut sich trotz alledem auf seine Hochzeit. Beste Freundin Ännchen (Anna Prohaska), eine Art von Meryl Streep-Abklatsch à la Der Teufel trägt Prada, warnte immer schon vor "Kindern, Küche, Kirche", wollte also, dass die "dumme Pute" sich noch konsequenter von ihrem Scheißvater und vor allem aber ihrem Jammerlappen-Bräuigam in spe emanzipierte; vollkommen vergeblich - umso schöner klang es freilich aus der Golda-Zauberkehle, als sie "Leise, leise, fromme Weise!" anstimmte und ich währenddes Gänsehaut bekam!!

Und um das alles etwas abzukürzen - Max soll sich, von Anfang an, mit einem "Probeschuss" beweisen; dieser sieht dann so aus, dass er justament mit einem Scharfschützengewehr nach unten auf die Straße zielen müsste, um dort unten irgendwem, der ihm dann vor die Flinte käme, das Gehirn ganz einfach wegzupusten - eine Video-Nahaufnahme zeigt das auch, um es dann später als fingierten Platzpatronenschuss ("mit ohne" Leiche) abzutun; hatte ich zwar am Ende nicht verstanden, aber ist ja auch egal. Auf jeden Fall knallt der Beklagenswerte zum Finale seine Braut endgültig (also "richtig") ab, und sie bleibt leblos liegen, was das Schlussbild auf der Bühne demonstriert.

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Das Dirigat von Antonello Manacorda bestimmte einen ziemlich durchsichtigen, wenn auch viel zu sehr unaufgeregten Klang, für den die Musikerinnen und Musiker des Bayerischen Staatsorchesters sorgten.

Gesanglich stachen (außer Golda Schultz, wie schon erwähnt) auch Kyle Ketelsen und Anna Prohaska aufs Vorszüglichste hervor.

Alles in allem:

Musikalisch relativ solide, szenisch ein Desaster.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 13.02.2021.]

DER FREISCHÜTZ (Nationaltheater München, 13.02.2021)
Musikalische Leitung: Antonello Manacorda
Inszenierung und Bühne: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Licht: Gleb Filshtinsky
Video-Produktion: Show Consulting
Mitarbeit Dramaturgie: Tatjana Wereschtschagina
Dramaturgie: Lukas Leipfinger
Choreinstudierung: Stellario Fagone
Besetzung:
Fürst Ottokar ... Boris Prýgl
Kuno ... Bálint Szabó
Agathe ... Golda Schultz
Ännchen ... Anna Prohaska
Kaspar ... Kyle Ketelsen
Max ... Pavel Černoch
Ein Eremit ... Tareq Nazmi
Kilian ... Milan Siljanov
Vier Brautjungfern ... Eliza Boom, Sarah Gilford, Daria Proszek und Yajie Zhang
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester
Online-Premiere war am 13. Februar 2021.
Livestream auf staatsoper.tv v. 13.02.2021

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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