DER FREISCHÜTZ durch Michael Thalheimer

Premierenkritik Ännchen-Roboter und Agathe als fluglahmes Suppenhuhn bei Weber'n an der Staatsoper im Schiller Theater

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Der Deutschen liebste Wald- und Wolfsschluchtsoper wird von Regisseuren hie und da wie um die Wette inszeniert. Kein (deutsches) Opernhaus von Rang hat Webers Freischütz nicht in seinem Repertoire, und alle Jahre wieder muss dann, wie es scheint, immer ein "neuer" her - die Deutsche Staatsoper Berlin (also das erste Haus am Platz) hatte, weit vor der Wende, eine ziemlich arg-berühmt gewordene Ruth-Berghaus-Inszenierung auf dem Plan; die wollte nix von Wald und nix von Forsthaus und auch nix von Wolfsschlucht wissen und lief trotzdem lange, lange, lange und war obendrein erfolgreich... In der Hauptstadt gabs dann noch zwei weitere "berühmte" Produktionen: In der DOB (2007) tat der damalige GMD Palumbo kurz nach der Premiere von Der Freischütz seinen Job verlieren, weil sein Chor mit ihm und dem Orchester, und wahrscheinlich nicht ganz ohne Absicht, unsynchron, und zwar ganz skandalöser Weise unsynchron, gewesen war; und in der KOB (2011) sah man am Anfang einen Keiler live auf offner Bühne, und auch so wurde gleich zu Beginn die Bestie Mensch als wildgewordnes Rudel auf ein waldspaziergehendes Liebespärchen, das von ihr hiernach zerstückelt wurde, von dem Bieito losgelassen - - beides schwer zu toppende Freischütz-Events der letzten Jahre...

* * *

Ja und womit wollte nun der Schauspielregisseur Michael Thalheimer [und wir erinnern hier an seinen hochspektakulären Schaubühnen-Tartuffe von vor zwei Jahren!] freischützmäßig überraschen und/oder verblüffen? Mit viel, viel, viel (stilisiertem) Wald und wolfsschluchthafter Dunkelheit an sich:

Ein schwarzes Loch (Bühne von Olaf Altmann) zieht dann - und vom Anfang bis zum Schluss der ohne Pause durchgespielten Weber-Oper - unsere weltallkundige Neugier permanent auf sich; wen wird es wohl da alles in sich rein ziehen bzw. aus sich raus schleudern? Aha, denken wir gleich - dort hinten finden sicher Auf- und Abgänge bald statt?? Zumal, denken wir ferner, hat der trichterartig sich (zum schwarzen Loch) verjüngende Wolfsschluchtenschlauch gewisse Ähnlichkeiten mit dem legendären Ring-Tunnel Peter Sykoras aus der unvergesslichen Götz-Friedrich-Inszenierung an der DOB; so bühnenbildlich-ignorant (wie Altmann) kann man doch nicht sein, denken wir schließlich, dass man derartigen Assoziationen freie Räume gibt, oder??? Egal.

Halten wir fest: Wald, Wolfsschlucht, Dunkelheit = das ist das allumfassend-eingezäunte (konzeptionelle) Dreierlei dieses so müde und apathisch machenden szenischen Unterfangens.

Es gibt allerdings - außer der kompromisslos durchgehalt'nen Langeweile - ein paar zünftige Ideen Thalheimers, die würdigend zu nennen wir uns hier nicht lumpen lassen wollen, nein:

Allen voran das wie ein programmierter Schwarzes-Loch-Roboter breitbeinig nach vorn stapfende Ännchen von Anna Prohaska ("Kommt ein schlanker Bursch gegangen"), die unter der fernsteuernden Fuchtel Samiels (Peter Moltzen, der zwei Stunden lang im Stück präsent ist und sich mit viel ungebet'nen Zwischenrufen einen schieren Grund für die Entgegennahme seiner Kleindarsteller-Gage zu verschaffen wollen glaubte) "steht"... Oder der Mini-Chor der Brautjungfern ("Wir winden dir den Jungfernkranz"), der in hochrotbackig-verschämter Little-Girl-Art seine Mätzchen macht... Und Dorothea Röschmann, die ihrer Agathe (und bei der sie ihre leisen Stellen schöner klingen lässt als ihre lauten, die sie allzu sehr forciert) durch flügellahmes Hin- und Hergeschwebe einen Hauch von deutschem Suppenhuhn verleiht, bringt sich sonach dann also ebenfalls und ganz im Sinne des Regieerfinders ein.

Falk Struckmann (Kaspar) hat ein schönes Staatsoperncomeback geliefert. Burkhard Fritz (Max) hält gut durch und klingt recht angenehm.

Der Chor singt ganz passabel, ja; die Frauenstimmen fallen durch vereinzelte Vibrati auf.

Sebastian Weigle dirigiert die Staatskapelle Berlin.


http://www.livekritik.de/kultura-extra/templates/getbildtext2.php?text_id=8374
Anna Prohaska (li.) und Dorothea Röschmann in Der Freischütz an der Staatsoper im Schiller Theater - Foto (C) Katrin Ribbe

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 19.01.2015 auf KULTURA-EXTRA] http://vg05.met.vgwort.de/na/d4a6b09af21f43978ac737590627adc8

DER FREISCHÜTZ (Staatsoper im Schiller Theater, 18.01.2015)
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Inszenierung: Michael Thalheimer
Bühnenbild: Olaf Altmann
Kostüme: Katrin Lea Tag
Licht: Olaf Freese
Chöre: Martin Wright
Dramaturgie: Katharina Winkler
Besetzung:
Ottokar ... Roman Trekel
Kuno ... Victor von Halem
Agathe ... Dorothea Röschmann
Ännchen ... Anna Prohaska
Kaspar ... Falk Struckmann
Max ... Burkhard Fritz
Ein Eremit ... Jan Martiník
Kilian ... Maximilian Krummen
Samiel ... Peter Moltzen
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Premiere war am 18. Januar 2015
Weitere Termine: 21., 24., 30. 1. / 5., 8. 2. 2015

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden