DER GRÜNE KAKADU von Arthur Schnitzler

Premierenkritik Studierende des 3. Jahrgangs Schauspiel, Bühnen- und Kostümbild an der UdK Berlin versuchten sich an der Bastille-Groteske

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Der grüne Kakadu - in der gleichnamigen Groteske von Arthur Schnitzler (1862-1931) - bezeichnet den Handlungsort der zeitgleich mit dem Sturm auf die Bastille (14. Juli 1789) zu spielenden Geschehnisse, bei denen 25 namentlich genannte Personen nach und nach agieren und auch ziemlich Vieles über sich und über ihre aktuelle Zeit (den quasi live "erlebten" Beginn der Französischen Revolution) zum Besten geben. Die Spelunke wird vom Ex-Theaterdirektor Prospère betrieben, und sie wird gewisslich für die meisten ihrer vielen Gäste außer als ein Trinkhaus überdies als Zuflucht wahrgenommen und genutzt; man spielt hier weiter (illegal?) Theater; und so steht sie unter kommissariatischer Beobachtung...

"Es ist ein seltsamer Ort! Es kommen Leute her, die Verbrecher spielen - und andere, die es sind, ohne es zu ahnen. Und während sie sich alle im Grünen Kakadu versammeln, erscheinen draußen diejenigen, deren Erscheinen unerwünscht ist. Aber was geht uns die Revolution an?" (Quelle: udk-berlin.de)

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Schnitzler wie die meisten Künstler aller Zeiten meideten und meiden selbstverständlich Mord und Totschlag, das scheint soweit Usus; und so sprechen sie sich - nicht allein um schön in Ruhe (und als Künstler) weiterarbeiten und wirken zu können - für mord- /totschlaglose Frei- und Friedensräume aus. Sie hatten und sie haben freilich, unabhängig ihres künstlerisch bedingten Rückzugsanspruchs, allergrößte Sympathien, wenn es um so Formeln wie z.B. "Liberté, Égalité, Fraternité" zu gehen war, ja und wer sollte allen Ernstes nicht für sowas Schönes sein? Doch dass dann ausgerechnet durch die (von dem Schnitzler als Der grüne Kakadu bestimmte) nachbarschaftliche Verortung der "gelebte" Mord- und Totschlag (= Sturm auf die Bastille) in den besagten Raum erst indirekt und dann direkt hineingriff, hätte keiner von den handelnden Personen vorher denken wollen oder können; DAS nun wiederum war das Groteske an dem Tatbestand an sich und (wie es Schnitzler vorkam) ein ganz prima Anlass für sein knappes Stück.

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Studierende des 3. Jahrgangs Schauspiel an der UdK Berlin erprobten ihre Sicht der Dinge gestern Abend, als ihr Grüner Kakadu unter Rebekka David, die Regie führte, im Westberliner UNI.T-Theater Premiere feierte. Die Regisseurin meinte das allein von seinem Umfang her fürwahr ein bisschen kurzgeratene Pamphlet durch hie und da hinzugefügte Fremdtexte in seinem heutigenden Anspruch aufstocken zu müssen - ein inzwischen legitimes Mittel des Regietheaters, das ja auch von ganz, ganz Großen seiner Zunft genutzt und perfektioniert wurde und wird; der Castorf, beispielsweise, hat das Ganze fast zu einem Neu-Genre zu stilisieren vermocht, und unsereiner nennt seine Produkte seither auch schlicht, einfach und ergreifend: Castorfopern.

Nun, so derart hochgenial wie er (Frank Castorf) Fremdtexte in O-Vorlagen einzubinden in der Lage ist, war das im UNI.T zu Begutachtende sicher nicht - - nichtsdestotrotz lassen wir hier an dieser Stelle den ambitionierten Halbversuch Texte von Butler, Leo Tolstoi, Dostojewski, Derrida und Heiner Müller mit dem Schnitzler'schen Original zu koalieren, gnädig durchgehen; es hätte sich auch viel, viel schlimmer anhör'n können, tat es aber gottlob nicht.

Die Schauspieltruppe mit Antonis Antoniadis, Lorenz Hochmuth, Maral Keshavarez, Philipp Keßel, Kei Muramoto, Luc Schneider, Liv Stapelfeldt, Charlotte Will und Kotbong Yang zeigte mit größter Lust & Laune, was sie zwischenzeitlich alles kann. Klothilde Habrant und Clarissa Fuhr entwarfen einen funktioniert habenden Bühnenraum und bunte, trashige Kostüme.

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Schnitzlers Grünen Kakadu hatte ich bis dahin weder gelesen noch gesehen und gehört. Nach meiner kurzentschloss'nen Erstlektüre auf der Projekt-Gutenberg-HP und nach der Aufführung von gestern Abend war und ist mir allerdings dann klar geworden, dass ich seither (selbst wenn ich ihn nicht gelesen noch gesehen und gehört hätte) wohl nichts verpasste. Nein, nicht wirklich.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 08.12.2019.]

DER GRÜNE KAKADU (UNI.T - Theater der UdK Berlin, 07.12.2019)
Regie: Rebekka David
Bühne: Klothilde Habrant
Kostüme: Clarissa Fuhr
Dramaturgie: Florian Hein und Marion Hirte
Regieassistenz und konzeptionelle Mitarbeit: Maximilian Riethmüller
Chorleitung: Florian Hein
Besetzung:
Henri/Herzog ... Antonis Antoniadis
Albin ... Lorenz Hochhuth
Léocadie/Michette ... Maral Keshavarz
Flipotte ... Philipp Keßel
Scaevola ... Kei Muramoto
Lebrêt/François ... Luc Schneider
Wirtin Prospère ... Liv Stapelfeldt
Séverine ... Charlotte Will
Grasset/Rollin ... Kotbong Yang
Premiere war am 7. Dezember 2019.
Weitere Termine: 08., 11.-15., 18.-20.12.2019

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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