DER RING DES NIBELUNGEN (Regie: Guy Cassiers)

Wiederaufnahme Daniel Barenboim dirigierte Wiederaufnahme von Wagners Tetralogie an der Staatsoper im Schiller Theater

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Immer wenn ein etabliertes und (vorausgesetzt:) berühmtes Opernhaus mit einem neuen Ring liebäugelt - und das (meistens) nicht für sich behalten kann also vorschnellster Weise (aus Versehen?) irgendwo dann ausposaunt - schießen Gerüchte in das Kraut. Im Fall der Staatsoper Unter den Linden war und ist das so: Sie resp. Daniel Barenboim, ihr weltberühmter Generalmusikdirektor, wären allem Anschein nach des alten also aktuellen Rings unter der szenischen Verantwortung des Teams Cassiers/Bagnoli/Van Steenbergen/Klerkx & D'Haeseleer/Larbi Cherkaoui - ein optisch zweifelhaftes Mischding von schier skandalöser Unbedarftheit - derart überdrüssig, dass ein neuer, und zwar möglichst unverzüglich, her müsse. Als Zielgerade geisterte 2020 durch den Äther. Und als ausführender Regisseursname wurde derjenige Dmitri Tcherniakov's hinterhergeworfen... "Oh", dachte der In-die-Falle-Tappende, "nein, ist das nicht der aktuelle Parsifal-Langweiler, der zwar früher (auch mit Barenboim) den Boris und den Spieler und die Zarenbraut, alles sehr gut gekonnte Produktionen, hier am Hause stemmte, aber irgendwie mit Wagner nicht ganz klarzukommen schien?" Doch selbiger, wenn man dann die Gerüchte und die Folgen oder Richtigstellungen dieser Gerüchte webseits recherchiert [das Presseoffice in der Staatsoper weicht nachhakenden Anfragen mit der Bemerkung, dass "gerade noch Gespräche laufen", hochgeheimniskrämernd aus], sei nicht mehr auf dem Schirm, da er angeblich für den neuen Ring in Bayreuth vorgesehen wäre. Außerdem würde die DOB dann ihrerseits 2020 einen neuen Ringherausbringen, ja und sie hätte das längst, und noch vor der Staatsoper Unter den Linden, bei der Opernstiftung angemeldet oder so...

Ganz ungeachtet dessen wird es wohl, vermuten wir so aus dem Bauch heraus, die letzte Möglichkeit gewesen sein, sich von der mischdingmittelmäßigen Gesamtart des besagten Rings nochmals an Ort und Stelle überzeugt zu haben - gestern Abend, nach der Götterdämmerung, schloss sich der Vorhang - hoffentlich auf Nimmerwiedersehen!

* * *

Ausschließlich wegen der Staatskapelle Berlin, die Wagners Ring nun abermals wieder zu DEM akustischen Ereignis werden ließ, hatte sich abermals der kräftezehrende Besuch (17 Musikstunden, 4 Abende) gelohnt gehabt! Und abermals bestätigte der hörerische Eindruck, dass es derzeit keine kompetentere und unaustauschbarere Koryphäe und Instanz in puncto Wagner gibt als Daniel Barenboim!! Ich kann mich nicht entsinnen, beispielsweise jemals eine derart breite als wie schwelgerische Götterdämmerung gehört zu haben wie vor ein paar Stunden unter seinem Dirigat.

Die sängerischen Highlights dieses Rings im Ganzen:

Matti Salminen war letztmals überhaupt als Fasolt zu erleben.

Jochen Schmeckenbecher gestaltete einen ätzend-unnachgiebig sich durchs Gesamtgeschehen schlingernden Zwerg Alberich.

Stephan Rügamer (Loge, Siegfried-Mime): gelungenes Experiment - obgleich man sich die beiden Rollen auch mitWolfgang Ablinger-Sperrhacke (der dann leider nur den Rheingold-Mime gab) hätte gut/besser vorstell'n wollen.

Falk Struckmann (im Berliner Harry Kupfer-Ring noch Wotan oder Wanderer) verblüffte jetzt als Fafner, Hunding oder Hagen gleichermaßen.

Simon O'Neill & Anja Kampe taten Siegmund & Sieglinde herelektrisier'n.

Die beiden Fricka's und Waltraute waren mit Ekatarina Gubanova wieder ganz ideal gecastet.

Anna Larsson (beide Erda's): unverwüstlich, aber hörbar im Dahinaltern begriffen.

Christina Gansch gab dem Waldvogel ihre zwitschernde Stimme.

Iain Peterson (als Wotan/Wanderer): solide und präsent, mehr aber sicher nicht.

Ann Petersen's Gutrune: furchtbar.

Roman Trekel schien mit der Partie des Gunther stimmlich überfordert.

Der virulent-hyperaktiv sich gebende Andreas Schager räumte stimmhoch mit seinen zwei Siegfried's ab!!

Ja und Iréne Theorin hielt dreifach als (erbarmungslos vibrierende) Brünnhilde kräftig durch.

Zudem: Viel kreischender Gesang von Rheintöchtern, Walküren oder Nornen.

Und die hochsympathisch ihren Job machenden Tänzerinnen und Tänzer wurden - vollkommen zu Unrecht - ausgebuht, obwohl sie letztlich "nur" die Ausführenden der mit zusätzlichem Tanz so sinnlos angereicherten Tetralogie gewesen waren.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 03.07.2016.]

DER RING DES NIBELUNGEN (25., 26., 30.06. + 02.07.2016)
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Inszenierung: Guy Cassiers
Bühnenbild: Guy Cassiers und Enrico Bagnoli
Kostüme: Tim Van Steenbergen
Licht: Enrico Bagnoli
Video: Arjen Klerkx und Kurt D'Haeseleer
Choreografie: Sidi Larbi Cherkaoui
Choreinstudierung: Martin Wright
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Koproduktion mit dem Teatro alla Scala di Milano in Zusammenarbeit mit dem Toneelhuis Antwerpen

Besetzungen:

Das Rheingold
Iain Paterson (Wotan), Roman Trekel (Donner), Simon O'Neill (Froh), Stephan Rügamer (Loge), Jochen Schmeckenbecher (Alberich), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Mime), Falk Struckmann (Fafner), Matti Salminen (Fasolt), Ekaterina Gubanova (Fricka), Anna Samuil (Freia), Anna Larsson (Erda), Evelin Novak (Woglinde), Anna Danik (Wellgunde), Anna Lapkovskaja (Flosshilde) und 7 TänzerInnen
Berliner Premiere war am 17. Oktober 2010

Die Walküre
Simon O'Neill (Siegmund), Falk Struckmann (Hunding), Iain Paterson (Wotan), Anja Kampe (Sieglinde), Iréne Theorin (Brünnhilde), Ekatarina Gubanova (Fricka), Sonja Mühleck (Gerhilde), Vida Mikneviciute (Helmwige), Anna Samuil (Ortlinde), Anja Schlosser (Waltraute), Anna Danik (Schwertleite), Julia Rutigliano (Siegrune), Anna Lapkovskaja (Grimgerde) und Heike Grötzinger (Rossweiße)
Berliner Premiere war am 17. April 2011

Siegfried
Andreas Schager (Siegfried), Stephan Rügamer (Mime), Iain Paterson (Der Wanderer), Jochen Schmeckenbecher (Alberich), Falk Struckmann (Fafner), Anna Larsson (Erda), Iréne Theorin (Brünnhilde), Christina Gansch (Der Waldvogel) und 6 TänzerInnen
Premiere war am 3. Oktober 2012

Götterdämmerung
Andreas Schager (Siegfried), Roman Trekel (Gunther), Jochen Schmeckenbecher (Alberich), Falk Struckmann (Hagen), Iréne Theorin (Brünnhilde), Ann Petersen (Gutrune / Dritte Norn), Ekaterina Gubanova (Waltraute / Zweite Norn), Anna Lapkovskaja (Erste Norn / Flosshilde), Evelin Novak (Woglinde), Anna Danik (Wellgunde) und 4 TänzerInnen
Premiere war am 3. März 2013

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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