DES JONA SENDUNG von Rudolf Tobias

Konzertkritik Ausuferndes Bibel-Oratorium beim FESTIVAL BALTIKUM im Konzerthaus Berlin

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Kennen Sie den estnischen Komponisten und Organisten Rudolf Tobias (1873-1918)? Nein?? Ich auch nicht.

Diese ignorante Unkenntnis währte dann allerdings "nur" bis halb elf am Dienstagabend.

Danach wusste ich - in etwa wenigstens - wie der Tobias klingt; es brauchte mehr als fünfzig Jahre, dass ich überhaupt (und jetzt) von ihm erfuhr.

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Schuld ist das (noch bis Sonntag) andauernde FESTIVAL BALTIKUM, mit dem"das Konzerthaus Berlin die vielfältigen Musikkulturen von Estland, Lettland und Litauen" feiert, denn: "Vor 100 Jahren erklärten die drei nordosteuropäischen Nationen ihre Unabhängigkeit".

So kam es also zu der Darbietung des personell wie musikalisch ausufernden Bibel-Oratoriums Des Jona Sendung, woran unser "unbekannter" Komponist vier Jahre (1904-1908) herumwerkelte - und genauso lang verbrachte Gustav Mahler übrigens mit seiner ungleich viel geschickter strukturierten und in ihrer Wirkung emotional und geistig packenderen sog. Sinfonie der Tausend.

Weshalb ich die beiden Werke in Beziehung setze? Nun, nicht bloß beim Hören jenes schreiend lauten und partout nicht enden wollenden Schluss-Orgelpunkts beim Jona drängte sich geradezu dann der Vergleich zu jenem erektiv sich auslebenden Pfingsthymnus-Finale aus der Achten auf; dabei konnte Tobias Mahlers Opus gar nicht kennen, weil es erst zwei Jahre später fertig wurde als sein eigenes.

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350 Mitwirkende (die Damen und Herren vom Lettischen Staatschor "Latvija", die ChoristInnen von Cantus Domus, die Jungen vom Staats- und Domchor Berlin, fünf GesangssolistInnen sowie das groß aufgestellte Estnische Nationale Sinfonieorchester) braucht es schon mal, um den Jona angemessen aufführen zu können. Alle Fäden in der Hand hat dabei Pultstar Neeme Järvi (81).

Das sendungsbewusste dreiteilige Werk ist sehr illustrativ, sein Innenleben hat fünf "Bilder", und es gibt in summa 38 Nummern (Chöre und Choräle, Arien und Ariosi, Soli und Duette und Terzette und/oder Orchesterzwischenspiele resp. Intermezzi).

Eins zu eins wird "nacherzählt", wie Jona von Gott den Befehl erhielt, in die Stadt Ninive, wo man der Vielgötterei verfallen war, zu reisen; er sollte die Abtrünnigen vor dem Gottzorn warnen. Aber Jona hatte keine Lust zu Warn- oder Bekehrungsdiensten. Das erzürnte nun den Herrn, und er bestellte einen Wal, der Jona strafend in sich einverleibte. Später spuckte er ihn wieder aus, und Jona tat ab seiner glückseligen Wiedergeburt Gottvater auf das Wort hören und schritt zur Tat etc. pp.

Der stimmgewaltige Ain Anger lieh der dominanten Hauptgestalt des Oratoriums seinen bibelfest-durchschlagenden Bassbariton.

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Allmählich baute ich, der unschuldige und nun wahrlich nicht besonders bibelfeste Zuhörer, gemartert mit schier schwindelerregenden Ermattungsschüben, nach und nach dann ab - es klang, für meine Begriffe, entschieden zu kräftig, ja, vor allem leise Zwischentöne konnte ich kaum wahrnehmen.

Nerviges Großbombardement.

Eine Entdeckung freilich, ohne jede Frage.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 21.02.2018.]

DES JONA SENDUNG (Konzerthaus Berlin, 20.02.2018)
Rudolf Tobias:Des Jona Sendung- Oratorium für Soli, Chor, Orgel und Orchester
Susanna Bernhards, Sopran
Annely Peebom, Mezzosopran
Peter Svenssont, Tenor
Ain Anger, Bass
Johann Tilli, Bass
Lettischer Staatschor "Latvija"
Cantus Domus
Staats- und Domchor Berlin
Estnisches Nationales Sinfonieorchester
Dirigent: Neeme Järvi

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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