DIE FESTUNG von Werner Buhss (1949-2018)

Gefängnistheater Das Gefangenenensemble der JVA Plötzensee spielte ein DDR-Endzeitstück (1987 uraufgeführt im damaligen Karl-Marx-Stadt)

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Das Berliner Gefängnistheater aufBruch - eine in der Hauptstadt nicht mehr weg zu denkende Institution - gibt es schon seit über 18 Jahren! Zwei wesentlichen Zielen ist es nach eigenen Aussagen verpflichtet - zum einen "durch das Mittel der Kunst den von der Öffentlichkeit ausgeschlossenen Ort Gefängnis derselben zugänglich zu machen" und zum anderen "durch darstellerisches Handwerk den Gefangenen eine Sprache, eine Stimme und ein Gesicht zu verleihen, das die Möglichkeit einer vorurteilsfreien Begegnung zwischen Draussen und Drinnen schafft"!! Es bespielte u.a. die JVA in Tegel, Heidering oder Moabit, die Frauengefängnisse in Lichtenberg und Reinickendorf sowie die Jugendstrafanstalt in Berlin und die Jugendarrestanstalt Berlin-Brandenburg. Jetzt hat es vorübergehend in der JVA Plötzensee Station gemacht und brachte dort Die Festung von Werner Buhss (1949-2018) zur Aufführung; Premiere war heute Abend:

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"Der junge Offizier Giovanni Drogo will sich auf einer abgelegenen Festung im äußersten Grenzgebiet am Rande einer unwirtlichen Wüste bewähren. Von dort, so geht das Gerücht, könnten die feindlichen Tataren einfallen. Drogo träumt davon, in einer alles entscheidenden Schlacht zum Helden zu werden. Doch nach und nach merkt er, dass nicht die Existenz des Feindes ihn auf der Festung hält, sondern dass es die Festung selbst ist. / Unter der Rhetorik von Heldenmut, Vaterlandsliebe und Opferbereitschaft liegt ein Code, der sich Drogo erst nach einiger Zeit offenbart. Seinen Kameraden verpflichtet, harrt er in der räumlichen und seelischen Einöde aus, in der selbst das Banalste zum Ereignis wird. Doch irgendwann wird er vor eine Entscheidung gestellt, die Freundschaft und militärisches Reglement ausschließt. / All die Jahre warten. Und nicht wissen auf was." (Quelle: aufBruch)

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Das Stück hat einesteils kafkaeske Züge und bedient sich andererseits der Mittel des absurden Theaters wie es auch, vom Feeling her, etwas von Warten auf Godotin sich verschwängerte. Es geht [s. Plot oben] um stupiden Militärdienst tuende Soldaten, deren "blinder" Kadavergehorsam sie zu regelrechten Automaten aus Fleisch und Blut mutieren ließ - derart vermögen sie letztlich nicht mehr Realität und Wahnvorstellungen zu unterscheiden. Ganz zum Schluss verfolgen sie unter "heldenhaftem" Aufgebot ihres materiell-technischen Seins (sprich unter Waffen) einen einzigen Punkt, der sich für sie als punktueller Feind darstellt und den sie nicht mal mehr durchs Fernglas richtig auszumachen in der Lage sind; sie töten ihn durch einen Präzisionsschuss. Das parallel hierzu laufende Militär-Video im Hintergrund zeigt die per Hightech-Beschuss vollzogene Exekution einer ganzen Menschengruppe, die (was, wo und wie, warum) im Wald zu schaffen schien; sehr deprimierend anzusehen...

Das Gefangenenensemble unter der Regie von Peter Atanassow brillierte mit unhektisch deklamierten Textpassagen aus dem merkwürdigen DDR- und Endzeitstück. Die Dialoge hörten sich vorzüglich an, es gab diverse (echte!!!) Szenenhöhepunkte; der bedächtig sich gebende und philosophistisch hoch anspruchsvolle Schach-Disput zwischen Imad El Khalaf (als Angustina) und Nehad Fandi (als Drogo) zählte sicherlich und unbedingt dazu. Auch wurde hie und da gesungen und getanzt - hier brachen sich ein unbeugsamer Lebensmut und aufblitzende Lebensfreude der beteiligten Protagonisten Bahn. Auffällig gut auch Fadie Al-Zein Marmela (als Oberstleutnant Matti), Gadzhimurad Khanov (als Oberst Filimore), André Stiller (als Feldwebel Tronk), und besonders lustig und humorvoll kam auch Abbas Tarara (als Conti) 'rüber.

Holger Syrbe baute seine Bühne größtenteils aus (leeren) Munitionskisten, ein paar Theatertreppen sowie Tarnzeltplanen.

Die Begeisterung nach der Premiere: endlos groß.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 24.05.2019.]

DIE FESTUNG (JVA Plötzensee, 24.05.2019)
Regie: Peter Atanassow
Bühne: Holger Syrbe
Kostüme: Melanie Kanior
Musikalische Einstudierung: Vsevolod Silkin
Video: Pascal Rehnolt
Produktionsleitung: Sibylle Arndt
Regieassistenz: Franziska Kuhn
Künstlerische und technische Mitarbeit: Lukas Maser
Gefangenenensemble von aufBruch in der JVA Plötzensee: Abbas Tarara, André Stiller, Enis, Fadie Al-Zein Marmela, Gadzhimurad Khanov, Imad El Khalaf, Josef, Nehad Fandi, Philipp K., Salim und Zvonko Zone
Uraufführung im Städtischen Theater Karl-Marx-Stadt war am 12. Juli 1987.
aufBruch-Premiere: 24. Mai 2019
Weitere Termine: 27., 28., 31.05. / 03., 04., 06.06.2019
Eine Produktion von aufBruch KUNST GEFÄNGNIS STADT in Kooperation mit der JVA Plötzensee

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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