DIE PEST als Open Air

Coronakrise Božidar Kocevski mit Camus-Zitaten auf dem Vorplatz des DT

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Vor ungefähr zwei Jahren erlebte ich den im mazedonischen Štip geborenen Schauspieler Božidar Kocevski das letzte Mal im DT, da spielte der "damals" Endzwanziger eine total lustige Rolle in der ebenso total lustig gemachten Rosa von Praunheim-Revue Jeder Idiot hat eine Oma, nur ich nicht - das war'n noch Zeiten, wo man richtig sorgenfrei (vorausgesetzt, man hatte keine Sorgen) vor Vergnügen aus sich raus prusten konnte! Mittlerweile sieht das rund um uns herum ein bisschen anders aus: Europa steckt zwar nicht im Dritten Weltkrieg, doch die große neuzeitliche Seuche - na, Sie wissen schon - verdirbt nicht nur Kultur- und Kunstschaffenden ihre gute Laune, die sie eigentlich für ihre Kreakivitätsschübe so dringend bräuchten.

Aber nichts für ungut; langsam dringt schon wieder etwas Leben in die Bude, und obgleich die Buden hierzulande größtenteils noch nicht oder nicht wieder für das seuchengefährdete Publikum betretbar sind und umkehrschlüssig (jedenfalls hier in Berlin) erst einmal vorsichtig und provisorisch an der frischen Luft Theater praktiziert sein soll und muss.

Daher lag es jetzt nahe, die unsäglich lange Untätigkeitspause am DT mit einer kurzweiligen Open-Air-Vorstellung auf dem Vorplatz für beendet zu erklären und sich für Die Pest, frei nach Camus' gleichnamigem Roman - mit unserm Liebling Božidar (als nachdenklichem und nicht minder ernstem Dr. Rieaux z.B. [s. Plot]) - nicht unmehrdeutig zu entschließen à la Pest gleich Seuche gleich Corona gleich Seuche von heute...

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Die im November vor zwei Jahren in der DT-Box erstaufgeführte Fassung vom Autoren-Duo Dömötör & Deés komprimiert das so: "In der algerischen Küstenstadt Oran bricht eine seltsame Seuche aus. Doktor Bernard Rieux ahnt, was alle anderen für unmöglich halten: Es ist die Pest. Der Ausnahmezustand wird ausgerufen, die Stadt hermetisch abgeriegelt, alle Verbindungen zur Außenwelt gekappt. Bald fordert die Krankheit mehr und mehr Opfer, gigantische Krankenstationen entstehen, später Massengräber. Der Arzt weiß, dass sein Kampf gegen die Seuche aussichtslos ist. Der Bazillus bleibt unbesiegbar, auch wenn die Pest Oran nach neun Monaten so unvermittelt wieder verlässt, wie sie gekommen ist." (Quelle: deutschestheater.de)

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Božidar spielt und spricht also diverse Dialog-Passagen des Romans, meist sind es dann Gespräche und Begegnungen des Arztes mit dem Möchtegernschriftsteller Grand, dem Jesuitenpater Paneloux oder dem Redakteur Rambert; allesamt Leute, die (so wie der Arzt) mit der Oraner Pest, die wie der Blitz aus heiterm Himmel in die Stadt gedrungen kam, plötzlich zu tun bekommen hatten. Und das "Aktuelle" des Gehörten lässt sich in der parallel empfindbaren Bedrohlichkeit des zur Romanzeit wie zur Gegenwart [heute: 16. Juni 2020] unsichtbar wütenden Mordsvirus greifend begreifen; die fast nebensächlichen Berichterstattungen über den inflationierenden Progress der Pest machen erschaudern - man assoziiert gleich Bergamo und ist sofort im Jetzt.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 16.06.2020.]

DIE PEST (Vorplatz des Deutschen Theaters Berlin, 16.06.2020)
nach dem Roman von Albert Camus
Regie: András Dömötör
Bühne und Kostüme: Sigi Colpe
Musik: László Bakk-Dávid
Licht: Peter Grahn
Dramaturgie: Claus Caesar und Meike Schmitz
Mit: Božidar Kocevski
Premiere in der DT-Box war am 15. November 2019.

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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