GESCHLECHTERKAMPF von Sobo Swobodnik

Filmkritik Margarita Breitkreiz erzählt ihre eigene Geschichte

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Es gibt - außer der unaufhörlichen Abarbeitung des penetranten Generalthemas der feministischen Revolution bzw. des revolutionären Feminismus oder so - einen einzigen roten Faden, der sich durch die "Handlung" des Films Geschlechterkampf (mit dem Untertiel Das Ende des Patriarchats) zieht: die einseitige Liebesbeziehung des mit einem Pony umhertingelnden Kleindarstellers Buffalo Bill zu der ziellos durch den Berliner Sommer vagabundierenden arbeitslosen Schauspielerin Marga; der grandiose Daniel Zillmann und die nicht minder grandiose Margarita Breitkreiz spielen dieses ungleiche Paar, und am Schluss des Filmes stößt sie ihn, quasi stellvertretend für alle dem Patriarchat angehörenden Schwanzträger, vom Dach, und unten angelangt und wie durch tausend Wunder unversehrt geblieben, wird er außerdem von der verführerischen Isabel Thierauch (die Margas neue Freundin spielt) mit einem Eimer roter Farbe übergossen, worauf er entrüstet sagt: "...ihr seid doch alle bescheuert", was dann wiederum die aggressivsten aller aggressiven Feministinnen gemeint haben soll, als deren Stellvertreterzielscheibe er ungerechterweise diente.

Zillmann & Breitkreiz gehörten zum engsten "Familienkreis" der Berliner Volksbühnen-Ära um (den Patriarchen) Frank Castorf. Und nicht nur sie, sondern noch weitere Protagonisten aus der unwiederbringlich großen Nachwende- und Theaterzeit am Rosa-Luxemburg-Platz geben sich in diesem "szenischen Dokumentarfilm", wie ihn sein Regisseur Sobo Swobodnik (siehe unter anderem seine Sexarbeiterin aus dem Jahr 2015) bezeichnet, mit Klein- und Kleinstauftritten ein famos besetztes Stelldichein: Lars Rudolph (als Sachbearbeiter im Jobcenter), Almut Zilcher (als Psychotherapeutin), Katrin Angerer und Inga Busch (als Frauen im Gespräch), Abdoul Kader Traoré (als gut betuchter Vater), Alexander Scheer (als Callcenter-Chef), Martin Wuttke (als Immobilienhai sprich Hausbesitzer) oder Hendrik Arnst (als Gerichtsvollzieher).

Alles in allem ist es freilich DIE Geschichte der Margarita Breitkreiz (sie fungierte auch als Co-Autorin des Drehbuchs); zuletzt erlebte ich sie an der Seite von Frank Büttner und Marc Hosemann in Castorfs großer Fabian-Oper am BE, das ist bereits zwei Jahre her.

Eingebetteter Medieninhalt

"Marga [...] ist eine zweiundvierzigjährige Schauspielerin, die scheinbar den Zenit ihrer Karriere bereits hinter sich hat. Nach anfänglicher Karriere im Theater an den großen Bühnen des Landes (Volksbühne Berlin, Berliner Ensemble, Maxim-Gorki-Theater) wird es für sie zunehmend schwerer Engagements zu bekommen. Nicht nur im Theater, auch beim Film scheint es mit fortschreitendem Alter und als Frau, zudem noch als Frau mit migrantischer Herkunft, schwieriger zu werden, Rollen zu bekommen. Wenn Rollenangebote, dann sind es ausnahmslos welche, die ihre russischstämmige Herkunft als Klischee bedienen. Was zur Folge hat, dass sie sich zunehmend mit den Arbeitsvermittler*innen der Arbeitsagentur, sowie Umschulungs- und anderen Jobangeboten auseinandersetzen muss. Dabei wird ihr immer deutlicher, wie ungerecht und geschlechterspezifisch es in der Theater- und Filmwelt zugeht. Aber auch in der Gesellschaft, die von patriarchalen Strukturen stark geprägt zu sein scheint, stößt sie andauernd an ihre eigenen Grenzen, bzw. an die der Frau in der Gesellschaft. Bis sie sich dazu entschließt, aus der Opferrolle herauszutreten und sich zu wehren." (Quelle: Filmgalerie 451)

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Die 12-teilige Struktur des Films zwischenblättert sich zudem mit 30 eingeblendeten Thesen (falls ich das jetzt richtig zählte); das sind dann solche Sätze oder Halbsätze wie diese hier:

- "Der explosive Augenblick als Basis aller Einsicht" (gleich am Anfang)

- "Wir wollen lieber fliegen als kriechen" (unmittelbar nach der ersten These)

- "Die Überforderung der schmutzigen Realität durch eine reine Idee" (in Teil V)

- "Wir haben 1000 Ideen und alle sind gut" (in Teil VII)

- "Wo die Träume erwachen" (Schlussthese)

Dann zitiert Breitkreiz, mit besonders intensivem Blick in die Kamera, jede Menge feministisch brauchbare Literatur; es ist so viel, dass ich es mir nicht merkte oder überhaupt nicht merken wollte, sprich: es nervte ungemein.

Auch nervig (jedenfalls für mich): die drei Expertinnen-Monologe von Dr. Reyhan Sahin aka Lady Bitch Ray, Michaela Dudley und Teresa Bücker - alles Superfrauen mit einem Supersachverstand zum Superfeminismus; Hallelujah!!!

Und indem ich all das (für mich) Nervige vom (für mich) Sehens- als wie Hörenswerten trenne, komme ich zum Schluss, dass nolens volens ein passabler und v.a. schräger Film entstanden ist.

Berührend und erschütternd, wie die Breitkreiz sich privat und also völlig ungeschminkt für mich, den Zuhörer und Zuschauer, zur mannigfaltigen Begutachtung ihrer Geschichte zur Verfügung stellte. Und mit welcher Spiellust und welchem Humor noch obendrein.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 08.08.2023.]

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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