Matthias Goerne singt DIE SCHÖNE MÜLLERIN

Liederabend Auftakt zum Schubert-Wochenende im Berliner Pierre Boulez Saal

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Die menschliche Stimme ist ein hohes Gut - für Sänger wohl ihr höchstes, wenn man es beruflich sieht. Krankt sie dann plötzlich vor sich hin oder versagt sogar, wird das als "Indisposition" kommuniziert, und meistens fällt ein lange vorher angekündigter Auftritt des Sängers somit aus - geschehen jetzt und aktuell zum großen SCHUBERT-WOCHENENDE von/mit Thomas Hampson, der es gestern Abend feierlich mit einem Liederabend im Berliner Pierre Boulez Saal starten lassen wollte; ging halt stimmlich nicht, aber er würde, wie dann zu erfahren war, den Schubert-Workshop mit Musikstudenten trotzdem, und wie vorgesehen, an den zwei noch ausstehenden Tagen leiten.

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Als "Ersatz" auf Augenhöhe konnte kurzfristig Bassbariton Matthias Goerne (und sein langjähriger Liedbegleiter Alexander Schmalcz) gewonnen werden. Goerne zählt - seit Jahren und Jahrzehnten - zu den aufregendsten, wandlungsfähigsten Lied- als wie Rollengestaltern seiner Generation; zum ersten Mal erlebte ich ihn live, als er die Henze'sche Version derWesendonck-Lieder in Köln gesungen hatte. Und erst letzte Woche konnte ich ihn bei seinem sensationellen Wotan-Debüt in Die Walküre an der Hamburigschen Staatsoper bestaunen, Kent Nagano hatte ihn sich allem Anschein nach nicht nur wegen des hochvorzüglichen Kunstliedgestaltungsvermögens insbesondere für diese Rolle auserkoren, Goerne "assistierte" ihm da beispielsweise unanfechtbar und beweiskräftig in puncto Lautstärkegemäßigung & Textverständlichkeit, was man bei herkömmlichen Wagner-Interpretationen so in dieser Deutlichkeit selten erkannt oder entdeckt zu haben meinte.

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Die zwei großen Liederzyklen von Franz Schubert - nach Gedichten Wilhelm Müllers - haben etwas Unverwüstliches; man kann und will sie immer wieder hören und vermag, je öfter und je intensiver man sie hört, für sich privat nicht abzuwägen, welcher von den beiden der wohl suizidhaltigere am Ende ist - die zwei Finali lassen Lesarten in diese und in jene Richtung zu; die jeweils abschließliche Tod-Erfahrung hat dann allerdings, sowohl als auch, einen diesen Verdacht (des jeweiligen Suizids) bekräftigenden mehr klimatischen Aspekt, da sie sich letztlich a) in fließend kaltem Wasser oder b) in vor sich hin flockendem Schnee "umhüllend" niederschlägt. Optisch assoziiert es sich zumeist mit schönen tod-romantischen Motiven eines Caspar David Friedrich [meine erste Winterreise-Platte nutzte "Eiche im Schnee (am Tümpel)" als ihr Cover].

Goerne nimmt nun in der todtraurigen Liebes(tod)-Geschichte aus Die schöne Müllerin sowohl die Position des liebestollen jungen Müllers wie diejenigen der doppelt auserwählten Müllerin, des von ihr favoritisierten Jägers [3 ist 1 zuviel], des sprechenden Baches sowie des "neutral" sich gebenden Erzählers ein. Seine Gestaltungsart und -weise wirkt dabei nicht unparteiisch; Goerne lässt uns spürend nachvollziehen, wer der Hauptleidtragende dieser so immer wieder zeitlos sich erfahrenden Gefühls- und Tatverstrickung ist: der dieses unsagbare "Liebespech" gehabt habende Müllerbursche - ja und nicht nur junge Menschen, wie wir Leser/Hörer selbsttröstender Weise konstatieren, laborierten oder laborieren am so derart piesackenden Liebeskrankheitsphänomen (Vorsicht! Lebensgefahr!!); DAS permanent bei jedermann schön aufgefrischt zu haben, rückt den Zyklus fast ins Volksvertümlichende, macht ihn zeitloser denn je.

Knisternde Anspannung im Saal.

Zwingende Darreichung, zum Heulen schön.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 13.01.2018.]

SCHUBERT-WOCHENENDE (Pierre Boulez Saal, 12.01.2018)
Franz Schubert:Die schöne MüllerinD 795
Matthias Goerne, Bariton
Alexander Schmalcz, Klavier

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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