Zuflucht Kultur: COSÌ FAN TUTTE

Opernprojekt Mozart + syrische Bürgerkriegsflüchtlinge (im Berliner Radialsystem V)

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"Mehr als neun Millionen Menschen sind laut UN-Flüchtlingskommissariat auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Meist unter traumatischen Umständen. Seit Mai 2014 bietet die Stiftung Heimat geben einer Gruppe von Verfolgten ein Zuhause im ehemaligen Franziskanerinnenkloster Oggelsbeuren im Landkreis Biberach. Syrische Moslems, einem menschenverachtenden Krieg entflohen, in einer beschaulichen Dorfgemeinde Oberschwabens - wie aufeinander zugehen?
Mit einem richtungsweisenden Opernprojekt setzt sich der Verein
Zuflucht Kultur e.V. für das Gelingen dieser Begegnung ein. Gemeinsam erarbeiten professionelle Künstler, Bürger und Flüchtlinge die Mozartoper Così fan tutte für die Bühne. Das Projekt führt Menschen unterschiedlicher Herkunft mit dem gemeinsamen Ziel der Aufführung zusammen. Jenseits sprachlicher und kultureller Barrieren gibt es Mitwirkenden die Möglichkeit, ihrem Schicksal künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Così fan tutte setzt Beteiligung gegen Langeweile, Austausch gegen Schweigen, Interesse gegen Ignoranz und Verblendung." (Quelle: zufluchtkultur.de)

Das sind zwei absolut herausragende Beispiele von bürgerlichen und Gemeinde-Initiativen, die nicht hoch genug gelobt sein können! Geben sie doch einer (unbedingt gefühlten also hoffentlich dann mehrheitlichen) Solidaritätsbekundung "aller" Deutschen Ausdruck, wenn es um die vorbehaltlose und humanistisch selbstverständlichste Inschutznahme, Beobdachung und Integrierung von verfolgten Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem Nahen Osten oder anderswo her geht.

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Die Opernsängerin Cornelia Lanz ist Mitbegründerin jenes gemeinnützigen Stuttgarter Vereins, der [s.o.] Mozarts Werk bereits im Herbst des letzten Jahres als "Opernprojekt mit syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen" anzeigte und stemmte und mit ihm auch schon in Biberach, München, Balingen, Ulm und Rüsselsheim umhergetourt war. Dass das vollmundige Etikett (rein von der Personalia her) zwar unwortbrüchig umgesetzt wurde, jedoch (rein künstlerisch und/oder konzeptionell) als halbherzig bzw. weniger als halbherzig bei mir herüberkam - darüber soll hier kurz und umso anmahnender nachberichtet sein:

Der Regisseur Bernd Schmitt siedelt die Spielhandlung von Mozarts hintersinnigem Verwechslungsspiel in einem Flüchtlings- und/oder Asylheim an. Den beiden Hauptprotagonistinnen Fiordiligi und Dorabella stiftet er Kopf- und Schleiertücher, welche die Besagten allerdings - spätestens nach der Pause - von sich streifen, um sich quasi (mittels Lippenstift und Augentusche, um ein Beispiel nur zu nennen) zu verwestlichen sprich ihre vormals eindeutig arabische Verwurzelung, die ihnen Schmitt zueignete, hinwegzuleugnen. Ihre maskulinen Gegenspieler Guglielmo und Ferrando treten als Beamtete (Objektschutz? Heimbetreuer?) auf und folgen ihren von Da Ponte vorgeschriebenen - nunmehr obzwar diametral der sich ab da vollkommen als absurde Unvereinbarkeit der zwei Kulturen entpuppenden - Rollenspielen. Despina und Alfonso (ebenso Beamtete des fraglichen Asylheims??) sind dann auch in diesem weißwestlichen Herrenmenschen-Status festgefangen - - lange Rede kurzer Sinn: Es gibt halt in der Oper keinen Ansatzpunkt (nicht einen!), der sich irgendwie geeignet hätte haben können, das nicht nur vom Regisseur so großspurig gewollte Integrationsthema inszenatorisch-schlüssig anzupacken; ja und was voraussetzend nicht da ist, kann auch nicht (nicht mal durch reinweg gute Frischluftzufuhr aus dem unschuldigen blauen Äther) hergewünschelt werden. Da war wohl ein Riesendenkfehler.


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Anne Wieben, Florian Götz, Cornelia Lanz und Youngkeun Kim (v.l.n.r.) in Così fan tutte - ein Opernprojekt mit syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen | © Baden-Württemberg-Stiftung, Sebastian Marincolo

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Nichts desto Trotz erzwingt der Produktions-Stab (endlich!!!) sein so gut gemeintes multikulturelles Anliegen, indem er "einfach" und beliebig - irgendwo in Così - einen allerdings dann superstarken Auftritt von Mohammad Alqasem, Ahmed Osman, Koutipa Al Rahmoon, Samer Zarqan, Bahaa Ziadah, Shahed Ziadeh und ihren syrischen Familienangehörigen stattfinden lässt. Sie tragen lautstark und im Chor das Gedicht Janna (dt.: Paradies) von Ibrahim Khashush vor. Der eindrucksvollste und ausnahmsvoll zu Gänsehaut führende Auftritt dieses insgesamt mit weit über 3 Stunden viel zu langen italienisch-deutschsprachigen Abends.


http://www.livekritik.de/kultura-extra/templates/getbildtext3.php?text_id=8457
Syrische Bürgerkriegsflüchtlinge in dem Opernprojekt Così fan tutte | © Baden-Württemberg-Stiftung, Sebastian Marincolo

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Was das Alles peinlich abrundete: Kurz vor dem Finale zu der Così-Oper, also kurz vorm Happy End mit Sekt und Obst, "muss" einer von den Bürgerkriegsflüchtlingen (die den ganzen zweiten Akt über wie abgestellt hinter dem Bühnenbild verbrachten) als Statist das Sekt- und Obstwägelchen auf das Podium rollen - zum Vergleich: Beim Rosenkavalier von Strauss gibts eine ähnlich-koloniale Domestikenszene, wenn der kleine Mohr der Feldmarschallin Schokolade hinterher trägt; nur beim Rosenkavalier steht das auch im Libretto drin...

Merkwürdiger Weise tat mich mehr und mehr so ein verbitterndes Gefühl beschleichen, dass es die sechs SängerInnen wohlweißlich genossen - parallel zu ihrem freilich völlig anderen und edleren Projektvorwand - als echte Così-Stars nach außen wahrgenommen und womöglich gar "entdeckt" zu werden; immerhin waren baldmehr nur sie noch, und sonst gar nix, auf der weiten Flur zu sehen und zu hören. Und die Co-Vereinsvorsitzende erfüllte sich ganz nebenbei den Traum, endlich (mal wieder?) Mozarts Dorabella gesungen zu haben; ja, das darf sie ruhig.

Politisch gewollte Demonstrationen sollten dennoch - auch vom Künstlerischen her - ein bisschen ehrlicher und eindeutiger ausgerichtet sein!

[Erstveröffentlichung von Andre Sokolowski am 22.02.2015 auf KULTURA-EXTRA] http://vg06.met.vgwort.de/na/9971d40ddb9b4cdda10edf70bd872d43

COSI FAN TUTTE - OPERNPROJEKT MIT SYRISCHEN BÜRGERKRIEGSFLÜCHTLINGEN (Radialsystem V, 21.02.2015)
Musikalische Leitung: Garrett Keast
Inszenierung: Bernd Schmitt
Bühnenbild, Ausstattung und Kostüme: Thomas Pfau
Technische Produktionsleitung: Uwe Lockner
Regieassistenz: Katarina Krcmarova
Studienleitung und Korrepetition: Stephen Hess
Konzertmeister: Luca Ronconi
Besetzung:
Fiordiligi ... Anne Wieben
Dorabella ... Cornelia Lanz
Guglielmo ... Florian Götz
Ferrando ... Yongkeun Kim
Despina ... Julia Chalfin
Don Alfonso ... Franz Xaver Schlecht
Chor und Statisterie: Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien
Kurpfälzisches Kammerorchester Mannheim und Stuttgarter Symphoniker
Gesamtleitung und Idee: Cornelia Lanz
Integrations- und Projektbegleitung: Pater Alfred Tönnis
Geschäftsführende Produktionsleitung: Zuflucht Kultur e.V.
Premiere im Theaterhaus Stuttgart war am 5. Oktober 2014
Weitere Termine: 22. 2. (Radialsystem Berlin) sowie 13. 5. (Stadthalle Calw) und 4. - 6. 6. 2015 (Deutscher evangelischer Kirchentag Stuttgart)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

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