Neuverfilmung: DAS KALTE HERZ (D 2016)

Filmkritik Johannes Naber setzt sich deutlich von dem DEFA-Klassiker von 1950 ab

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Das kalte Herz von Wilhelm Hauff (1802-1827) zählt zur Gattung der Kunstmärchen - sein viel zu früh verstorbener Autor konnte nicht mehr miterleben, wie es sein Verlag "in zwei Teilen als Binnenerzählung eingebettet in die Erzählung Das Wirtshaus im Spessart" herausgegeben hatte. Es geht so:

"Peter Munk, genannt der Kohlenmunk-Peter, führt im Schwarzwald die Köhlerei seines verstorbenen Vaters, ist aber mit der schmutzigen, anstrengenden, schlecht bezahlten und wenig respektierten Arbeit unzufrieden. Er träumt davon, viel Geld zu haben und angesehen zu sein. Da erfährt er, dass es im Schwarzwald einen Waldgeist, das Glasmännlein, auch Schatzhauser genannt, geben soll. Dieser erfüllt jedem, der wie Peter Munk an einem Sonntag zwischen elf und zwei Uhr geboren ist, drei Wünsche, wenn man ihn mit einem bestimmten Vers ruft. Peter macht sich auf die Suche nach dem Glasmännlein. Dabei begegnet er im Wald einem anderen Waldgeist, dem gefährlichen, riesigen Holländermichel, der dort in Sturmnächten als böser Zauberer sein Unwesen treibt. Peter kann ihm jedoch entkommen..." (Quelle: Wikipedia)

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Die DEFA produzierte Das kalte Herz als einen ihrer ersten und wohl schönsten Märchenfilme. Er ist Kult geworden. Paul Verhoeven tat ihn 1950 mit Lutz Moik (als Peter Munk), Hanna Rucker (als Lisbeth), Paul Bildt (als Glasmännlein) und Erwin Geschonneck (als Holländer-Michel) besetzen. Immer wieder kann man ihn zu Weihnachten auf allen möglichen TV-Kanälen sehen, und - ganz aktuell seit letzter Woche - wird man ihn nunmehr auch mit der Neuverfilmung durch den Regisseur Johannes Naber in Vergleich zu bringen wissen.

Eingebetteter Medieninhalt

Mit zwei Stunden Spieldauer und einer teilweise auch optisch wahrnehmbaren "ungeschützten" Zimperlosigkeit (Gewalt & Sex) eignet sich Nabers Neuverfilmung - die gewiss von vornherein als ehrgeizige Absetzungsbestrebung von dem DEFA-Klassiker gedacht gewesen war - mehr für's erwachsene oder am Mystisch-Atmosphärischen interessierte Publikum. Die Kameras von Pascal Schmit fangen betörend-schöne und verstörend-unheimliche Bilder ein. Das Set Julian R. Wagners inkl. der Kostüme von Juliane Maier fördert eine Land-und-Leute-Vorstellung des Schwarzwaldes, wo ja die Handlung spielt, zutage, die nicht allgemeiner also nicht unschwarzwaldiger sein könnte. Von Oli Biehler gibt es schaurig-angsteinflößende Musik-/Klangangebote; eine Frauenstimme heulbojet dann allerdings etwas zu oft und allzu nervig Leitmotivisches im Hintergrund.

Das sich vom Hauff'schen O-Text weit entfernt habende Drehbuch, wo gleich vier Autoren einschließlich des Regisseurs ihre ambitionierten Abänderungsvarianten schriftlich niederlegten, weist dann gleich mal folgende drei Neu-Hauptrollen aus: den Peter-Vater Jakob Munk (André M. Hennicke), den Etzel-Sohn Bastian (David Schütter) und den Schui-Franz (Lars Rudolph). Der den eigentlichen Plot (herzlos = urarm) irgendwie tangiert habende Grundtenor zielt auf die urkapitalistische Konfliktsphäre (Herzlose = Geldgierige); aber das kam auch schon in dem stalinistisch anmutenden DEFA-Filmfinale mit der Großapotheose nach dem Happyend (Glasmännchen: "Peter, komm, jetzt pack' mit an, gemeinsam sind wir stärker'' oder so) zur Sprache...

Geschauspielert wird insgesamt superb - allen voran Frederick Lau, der einen optisch unverbrannten Köhler mimt. Auch die Gesichtszüge von Henriette Confurius (die eine merkwürdige Ähnlichkeit zur Rucker aufweist) sind sehr einprägsam. Als schier vermenschlichter Holländer-Michel mit unkarikierter Attitüde hinterlässt Moritz Bleitbtreu einen starken Eindruck. Und mit der Besetzung Milan Peschels (als Glasmännchen) konnte man letztendlich keinen Fehler machen; ganz am Schluss siecht er, auf dass wir Zuschauer sentimental-mitleidig schluchzen, hocherwartungsvoll dahin.

Was irritiert: Dass alle Bösen ihre alten Herzen schlussendlicher Weise wiederkriegen und so eine Art von humanistischer Gebessertheitsidee absurder Weise Raum greift - - und als ob nicht Jeder von uns wüsste, dass in Jedem von uns Gut & Böse (herzlich, herzlos) gleichermaßen steckten.

Sehenswert, trotz alledem.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 26.10.2016.]

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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