Nicole Heesters (82) als Mutter von Jesus

Kurzkritik MARIAS TESTAMENT von Colm Tóibín (im Renaissance-Theater Berlin)

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Als eingestandnermaßen nicht mehr ganz so leidenschaftlicher Theatergänger - früher war das etwas anders, aber früher warn die Wiesen auch noch etwas grüner als wie heutzutage - brauche ich fast jedesmal, bevor ich mich zu irgendeinem Gang in ein Theater aufzuraffen oder gar zu überwinden in der Lage sehe, einen mich ertüchtigenden Anlass. Oftmals dienen hierzu weniger die Stücke als die sie Verkörpernden sprich Schauspieler oder, was deutlich seltener passiert, die sie zu ihrem Schauspiel "Führenden" sprich Regisseure.

Jetzt war es der Name Nicole Heesters, der mich motivierte; zufälligerweise sah ich ihn beim Durchblättern der Spielpläne von gestern Abend (9. 11. - Mauerfeiertag) auf meinem Laptop aufploppen. Die Vorstellung mit ihr - Marias Testament im Renaissance-Theater im Berliner Westen - wäre ausverkauft gewesen, und es brauchte daher etwas engagierte Mühe, um letztendlich doch noch eine Karte zu ergattern. Ja, ich wollte die inzwischen 82jährige Diseuse (Tochter von Johannes Heesters!) live erleben; es war DIE Gelegenheit, bisher war sie mir leider nicht/noch nicht vergönnt.

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"Maria ist, in der Erzählzeit des Romans und Stückes, mittlerweile eine alte Frau, lebt allein in der antiken Stadt Ephesos, hadert mit düsteren Erinnerungen und merkt, dass sie belauert wird. Zwei sehr zudringliche Jünger Jesu suchen sie in ihrem Haus auf, fragen sie nach den Ereignissen im Leben Jesu aus, die sie doch aus nächster Nähe erlebt haben muss: Die Wunder, die er vollbrachte, den Märtyrertod am Kreuz, den er erlitt, die Wiederauferstehung. All jene Ereignisse also, aus denen in der Überlieferung der Evangelisten der zentrale Teil des Neuen Testaments besteht. Maria bestätigt den biblischen Sinn dieser Ereignisse keineswegs. Von Erlösung hält sie so wenig wie vom Glauben an die Wiederauferstehung. Sie hält nichts von den Lehren ihres Sohnes, auch nichts von der charismatischen Wirkung, die er zu Lebzeiten auf Menschen ausübte." (Quelle: hamburger-kammerspiele.de)

Colm Tóibín (64) hatte sich den 2013 im New Yorker Walter Kerr Theatre erstmals aufgeführten Monolog (dem er kurz später seinen gleichnamigen Bestseller-Roman nachfolgen ließ) erdacht. Ein Boulevardstück mit gehobenem Niveau, nicht nur fürn bibelfestes Publikum bestimmt. Und eigentlich, zieht man Marias bockiges Infragestellen jeglicher verwunderlicher Wundereierei lt. Neuem Testament gezielter in Betracht, eine schon fast blasphemisch sich verlautbarende Angelegenheit.

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Der Heesters macht es sichtlich Spaß, in ihre Rolle einer sich vom Jungfraumuttergottes-Zerrbild weg emanzipiert habenden "nachchristlichen" Frau unserer Tage einzufühlen. Dieser forsch zu uns daher gesproch'ne Monolog, der einen Großteil biblischen Behauptens zu (wie man es heute sagen würde:) Fake News abqualifiziert, hat sicher etwas Grenzwertiges hinsichtlich einer respektvoll abzuhandelnden/ abhandelbaren Religiösität; und der in ihm gewiss nicht idealisch schlummernde Versuch einer Katharsis insbesondere für Männer, die in diesem Stück zudem beinahe überreichlich jede Menge Fett abkriegen, wirkt schon etwas überspannt. Doch nichts für ungut:

Heesters macht - kraft ihrer schauspielernden Autonomität - aus Allem und aus Allen was; die deutsche Bühnenfassung stammt im Übrigen von Elmar Goerden.

Tosende Begeisterung eines doch überproportional mit Altersweisheit (so wie Heesters) ausgestatteten Berliner Publikums.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 10.11.2019.]

MARIAS TESTAMENT (Renaissance-Theater Berlin, 09.11.2019)
Inszenierung und Bühne: Elmar Goerden
Kostüm: Lydia Kirchleitner
Mit: Nicole Heesters
DEA an den Hamburger Kammerspielen: 18. Februar 2018
Eine Produktion der Hamburger Kammerspiele in Zusammenarbeit mit dem Renaissance-Theater Berlin

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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