PINA BAUSCH UND DAS TANZTHEATER

Ausstellung Im Berliner Martin-Gropius-Bau kann man sich auch per Warm-Up der wohl größten deutschen Tanzikone nähern

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Als Pina Bausch (1940-2009) vor sieben Jahren starb, war es, als ob ein schwarzes Loch entstanden wäre. Mit ihr endete eine fast 40jährige Geschichte des modernen Tanztheaters deutscher Prägung. Sie galt (nach Palucca) als wahrscheinlich einflussreichste Choreografin hierzulande, und ihr Wirken strahlte in die ganze Welt. Der Sog "von außen" hält bis heute an. Ihr an der Wupper ansässiges Tanztheater existiert auch weiterhin - man kann also das Oevre dieser Künstlerin, das dort wohl anhaltend gepflegt sein wird (vorausgesetzt, dass es nicht eines Tages irgendwelchen öffentlichen Sparzwängen zum Opfer fallen sollte), weiterhin bestaunen und bewundern.

Viele ihrer Stücke sind Ikonen:

Café Müller und Frühlingsopfer zählen unumstritten dazu; hiermit gastierten sie und ihre Truppe - noch weit vor der sog. Wende - in der Ostthüringischen Bezirksstadt Gera [wo ich herstamme und damals aufwuchs]. Das war meine Erstbegegnung mit dem Tanztheater Pina Bausch! Seither hatte ich Dutzende von ihren Produktionen - nach der sog. Wende freilich weitaus mehr als vor ihr - sehen und erleben können...

Jetzt gibt es im Martin-Gropius-Bau, in dessem Lichthof ich die alten Holzstühle und -tische aus dem Café Müller gleich also als Allererstes "wiedersah", eine spektakuläre Ausstellung unter dem etwas unsinnlichen Titel Pina Bausch und das Tanztheater.

Erst dachte ich, naja, da werden sicher viele Fotos und Programmhefte oder Besetzungszettel und vielleicht auch ein paar Tanzkostüme oder -schuhe ausgestellt zu sehen sein, womöglich zeigen sie auch Videos ihrer Werke oder mit ihr selber usw. - Dieses Alles ist auch, in der Tat, dann zu besichtigen. Doch das Besondere der insgesamten Großschau ist dann DAS hier:

"Herzstück der Ausstellung ist ein Nachbau der 'Lichtburg' – jenes legendären Proberaums in einem alten Wuppertaler Kino, in dem Pina Bausch den größten Teil ihrer Stücke gemeinsam mit ihren Tänzerinnen und Tänzern entwickelt hat. Fremden wird nur selten Zutritt zu diesem intimen Raum gewährt. Im Lichthof des Martin-Gropius-Bau aber wird er zum Raum der Begegnung mit Mitgliedern des Tanztheaters, die den Besuchern Bewegungsqualitäten und kleine Bewegungssequenzen vermitteln; Performances, Tanz-Workshops, öffentliche Proben, Gespräche, Filme und mehr lassen ihn zum lebendigen Erfahrungsraum für die Besucher werden." (Quelle: berliner-festspiele.de)

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Die Wuppertaler "Lichtburg" ist also, schwarz eingewandet, in der Lichthof-Mitte aufgebaut. Man geht in sie durch zwei sich gegenüber befindliche Eingänge und staunt nicht schlecht: Kino-Theater-Atmosphäre pur - auf der einen Seite ist die Kinoleinwand (wo gerade eine Dokumentation zu Ahnen [1986/87] läuft), und auf der anderen "hängt" der Kino-Balkon. Ballettstangen, Spiegel, Holzstühle an den Wänden, ein Wasserspender in der Ecke... Leute sitzen da, sehen den Ahnen-Film, andere Leute gehen rein und wieder raus...

Und plötzlich:

Marigia Maggipinto - die im Tanztheater Pina Bausch von 1989 bis 1999 Ensemlemitglied war - lädt zu 'nem "Warm-Up" ein. (Draußen stehen mit weißer Kreide auf 'ner schwarzen Schiefertafel alle "Warm-Up"-Zeiten dieses Tages [23. September] aufnotiert: 11, 12, 14, 16, 17 Uhr [ich bin per Zufall in das 16-Uhr-"Warm-Up" hineingeraten].)

Fünf Besucher machen mit - ja und Marigia tut mit ihnen einfachste Bewegungsabläufe kurz einstudieren; und (man hält es nicht für möglich): Plötzlich sieht man diese Sechs im Gänsemarsch und auch im Kreise nach so Schellackplattenklängen (Juan Llossas und seinem Tangoorchester) sich bewegen und "erkennt" sofort - das müsste/muss doch eigentlich dann Pina Bauschs Kontakthof sein? [Ich frage nach; tatsächlich, stimmt, es ist ein Tanzsegment hieraus.]

Das ist schon megawitzig und macht einen Heidenspaß.

Auf der HP lese ich 15 weitere AkteurInnen, die täglich diese tollen "Warm-Up's" in der nachgebauten "Lichtburg" mit Besuchern machen...

Und schon deswegen lohnt es sich hundertpro, zu Pina Bausch in den Berliner Martin-Gropius-Bau zu kommen!!

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 26.09.2016.]

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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