RAUSCHEN von und mit Sasha Waltz & Guests

Uraufführung In der Volksbühne Berlin gefällt sich Tanztheater als ein hohles, seelenloses Kunstprojekt

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Sasha Waltz erfüllte und beglückte gestern Abend die nach einer deprimierend leergelauf'nen Interimszeit sich allmählich wieder aufrappelnde Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (die vor der verheerenden Dekonstruktion durch Renner/Dercon auch als nicht nur Castorf'sche Gemeinde Gleichgesinnter weltbekannt war) mit der Uraufführung ihres neuen Stückes rauschen. Ein paar Tage vorher wiederaufflammte sie ausgerechnet hier ihre längst Kult gewordene Allee der Kosmonauten (1996)! Sollte etwa jetzt durch diese sicherlich nicht zufällig beabsichtigte "Gegenüberstellung" beider Werke Anfang & Ende ihres Choreografinnendaseins theoretisch (rein theoretisch!) abgesteckt werden? Die Frage dürfte eigentlich von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein, denn:

Waltz schien sich - und insbesondere bei ihren jüngsten Kreationen EΞΟΔΟΣ undKreatur - von ihrer künstlerischen Bodenhaftung abzusondern, schwebt seither - auch seit sie ab und an einen auf Opernregisseurin (Tannhäuser ,Orfeo) macht - in Räumen und Gefilden, die ihre Betrachtenden zwar immer noch als Faszinierendes bestaunen und bejubeln, deren "inhaltliche Deutung" allerdings von Mal zu Mal in ein verirrlichterndes Abseits führt; sie hat sich mittlerweile irgendwie dem Kunstsektor verschrieben, wo letztendlich Alles (also Alles, was bis da hierunter noch nicht zählte) "deutbar" werden kann - am Ende richtet's der Kurator, Hauptsache der Kunstwert stimmt.

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Ich habe diesmal kaum etwas von dem verstanden, was mir Waltz mit ihrem rauschen hätte sagen wollen! Daher kann ich auch bloß Punktuelles aus der optischen, akustischen Erinnerung - und eingestandner Maßen ohne jeglichen Zusammenhang - benennen:

Eingebetteter Medieninhalt

Blenard Azizaj, Davide Camplani, Clémentine Deluy, Edivaldo Ernesto, Hwanhee Hwang, Lorena Justribó Manion, Annapaola Leso, Zaratiana Randrianantenaina, Aladino Rivera Blanca, László Sandig, Yael Schnell und Stylianos Tsatsos okkkupieren peu à peu das leere weiße Bühnenrund und geben sich in ihm als, wegen ihrer eckigen Bewegungen derart "erkennbare", Humanoide. Die Mutanten könnten einen pseudozivilisatorischen Rest-Rest infolge eines (klimabedingt gewesenen?) Menschheitsverschwindens personifizieren. Ihr roboterartiges Geplapper, meist auf Englisch, tut zumindest auf ein rudimentäres Nochvorhandensein von Kommunikation und Sprache hin verweisen...

Der die Hinterbühne völlig abtrennende Riesenvorhang wird mit einer Flüssigkeit aus Hochdruckstrahlern immer wieder mal besprüht, erst sind dort ein paar Wort-Graffitis ablesbar, zum Schluss wird flächenmäßig Schwarz aus Weiß; ja und das Schwarzbesprühte tat sich jedesmal wieder verflüchtigen, und ich fand keinerlei Erklärungen für mich, wie das wohl Alles chemisch funktionierte...

Weiße Wasserschläuche werden 'reingezerrt, und vier von den Akteuren duschen sich mit ihnen die Klamotten von der Haut - so sieht man sie dann splitternackt, und das sieht freilich sehr, sehr schön aus...

Kriegerische Amazonen (so assoziierte ich), mit langen durchsichtigen Plexiglasstangen bewaffnet, simulieren einen alphornblasenden Verein...

Dann absolvieren alle Frauen von der Truppe Sasha Waltz & Guests ein tänzerisch bewegtes Gruppenbild; so ähnlich hatte man es oft bei andern Waltz-Tableaus gesehen, mir fiel gleich ihr signifikant-schönes Women-Stück dann wieder ein...

Und das Musik- sowie Geräuschgeschwängerte des Abends ließ sie u.a. mit Stries von Bernard Parmegiani, I'm So Tried von/mit John Lennon oder audial Gemischtem durch die Plattform soundsofchange.org im Programmheft annotieren.

rauschen dauerte 2 Stunden.

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Der verübte Jubel der Premierengäste - so wie meistens, wenn es zusätzlich noch lauter und noch deutlicher aus Höhe eines Fanblock schallte - war unmissverständlich groß; man hält im Allgemeinen halt an (s)einer Lieblingsmarke fest.

Auf meinem Heimweg konstatierte ich allein für mich:

rauschen war hohl und seelenlos.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 08.03.2019.]

RAUSCHEN (Volksbühne Berlin, 07.03.2019)
Regie und Choreografie: Sasha Waltz
Bühne: Thomas Schenk und Sasha Waltz
Kostüme: Bernd Skodzig
Licht: David Finn
Repetition: Claudia de Serpa Soares
Dramaturgie: Jochen Sandig und Agnes Scherer
Mit: Blenard Azizaj, Davide Camplani, Clémentine Deluy, Edivaldo Ernesto, Hwanhee Hwang, Lorena Justribó Manion, Annapaola Leso, Zaratiana Randrianantenaina, Aladino Rivera Blanca, László Sandig, Yael Schnell und Stylianos Tsatsos
Uraufführung war am 7. März 2019.
Weitere Termine: 08.-10.03. / 25.-28.04.2019
Eine Produktion von Sasha Waltz & Guests in Koproduktion mit der Volksbühne Berlin

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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