SLEEPLESS von Peter Eötvös

Premierenkritik Uraufführung an der Staatsoper Unter den Linden

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mein letzter Eötvös, den ich in der Hauptstadt sah und hörte, waren dessen Angels in America, Studierende der UdK führten das Werk als deutsche Erstaufführung in 2019 auf. Und in der Lindenoper gab es in 2011 - liegt schon ein Stückchen weit zurück - Tri Sestri als Berlin-Premiere zu erleben. Außerdem hatte ich mal die Love and Other Demons (Oper Köln, 2010) besucht... Jetzt schien es also allerhöchste Zeit für etwas Neues aus der Feder dieses ungarischen Komponisten, der dann auch als Dirigent von eigenen und "fremden" Werken durch die Lande tourt:

Sleepless - mit einem in englischer Sprache verfassten Libretto von Mari Mezei frei nach Jan Fosses Trilogie - ist gestern Abend an der Staatsoper Unter den Linden aus der Taufe gehoben worden, und Peter Eötvös höchstpersönlich hatte seine Oper dirigiert.

Eingebetteter Medieninhalt

"'Aus der Notwendigkeit heraus darf man alles tun, sagt er. Vielleicht hast du Recht, sagt sie.' Bjørgvin. Es ist kalt. Es regnet. Asle und die hochschwangere Alida irren im norwegischen Küstenort umher. Überall wird das junge Paar abgewiesen. Menschen wie sie sind hier nicht erwünscht. Jedes Innehalten birgt das Abdriften in einen irrealen Dämmerzustand. Getrieben von der Verzweiflung verschaffen sie sich Zugang zu einem fremden Haus. Eine Serie mysteriöser Begegnungen, in denen Vergangenes lebendig wird, erweist sich als verhängnisvoller Lauf gegen die Zeit." (Quelle: staatsoper-berlin.de)

*

In erster Linie ist es freilich eine Mordserie, auf die die deprimierende Geschichte zweier Teenager, die über 12 Stationen lang verzweifelt nach einer Behausung suchen, fußt. Der noch nicht volljährige Vater seines ungeborenen (später dann auch gebor'nen) Sohnes von der noch nicht volljährigen jungen Mutter tötete der Reihe nach: einen Bootshausbesitzer, die alkoholsüchtige und ihre Tochter exzessiv hassende Mutter seiner Freundin sowie eine alte Hebamme; ja und das alles waren vorsätzliche Tötungen, also nicht so was, was aus jugendlichem Übermut und/ oder Leidenschaft passiert und was man unter Umständen als Tötung im Affekt "mildernd" auslegen könnte. Asle war und ist und bleibt ein Killer, und als solcher sah und sieht er seiner biblisch angeordneten Bestrafung hoffnungslos entgegen - dass sich dann sein Strafprozess, wonach er mit "Tod durch Erhängen" verurteilt wurde, höchstwahrscheinlich nicht im heutigen sprich zeitgenössischen Norwegen ereignet haben dürfte (wie es allerdings die Inszenierung von Kornél Mundruczó vorzugaukeln meinte), lag natürlich auf der Hand; aber egal.

Eötvös' norwegische Schwiegertochter und die fast alle seine Opernlibretti schreibende Eötvös-Gattin hatten jedenfalls versucht, möglichst viel norwegische Stimmung sowie Authentizität ins Textbuch einfließen zu lassen - Eötvös' Komposition an sich, die beispielsweise jeder dieser 12 Stationen resp. Szenen einen ganz bestimmten Grundton zuwidmete, hat dann also eine ziemlich klare und auch nachvollziehbare Struktur.

Das Beste - so vom Klang her - waren dann die esoterisch anmutenden Frauenchorgesänge aus der Höhe, welche ein Sextett von großartigen Sängerinnen [Namen s.u.] aus der Richtung der Proszeniumslogen vortrug.

Und auch so konnte sich die Besetzung dieser fast zwei Stunden dauernden Mörder-Ballade sehen und hören lassen: Linard Vrielink & Victoria Randem (als Teenagerpaar Asle & Alida), Katharina Kammerloher (als Alidas Mutter), Hanna Schwarz (als alte Hebamme), Sarah Defrise (als Prostituierte) oder Tómas Tómasson (als sog. Man in Black, nämlich der, der von den Morden wusste und Asle hiermit erpresste).

Alles in allem schwerlich "einzuordnen"; irgendwie schwebte es, von der Stimmung her, so zwischen Peter Grimes und Pelléas et Mélisande.

Monika Pormale hatte einen Riesen-Lachs samt bewohnbarer Innereien sensationell als Einheitsbühnenbild entworfen.

* *

Peter Eötvös kann mit sich zufrieden sein - nach der vom Publikum fast enthusiastisch aufgenommenen Premiere.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 29.11.2021.]

SLEEPLESS (Staatsoper Unter den Linden, 28.11.2021)
Musikalische Leitung: Peter Eötvös
Inszenierung: Kornél Mundruczó
Bühnenbild und Kostüme: Monika Pormale
Licht: Felice Ross
Dramaturgie: Jana Beckmann und Kata Wéber
Besetzung:
Alida ... Victoria Randem
Asle ... Linard Vrielink
Mother, Midwife ... Katharina Kammerloher
Old Woman ... Hanna Schwarz
Girl ... Sarah Defrise
Innkeeper ... Jan Martiník
Man in Black ... Tómas Tómasson
Boatman ... Roman Trekel
Jeweler ... Siyabonga Maqungo
Asleik ... Arttu Kataja
Sextette: Samantha Britt, Alexandra Ionis, Rowan Hellier, Kristín Anna Guðmundsdóttir, Kirsten-Josefine Grützmacher und Alexandra Yangel sowie Matthew Peña, Sotiris Charalampous, Fermin Basterra, Jaka Mihelač, Rory Green und Jonas Böhm
Staatskapelle Berlin
Uraufführung war am 28. November 2021.
Weitere Termine: 01., 03., 07., 09., 16.12.2021

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

Andre Sokolowski

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden