Viviane Hagner im leeren Konzerthaus Berlin

Coronakrise Berühmte Geigerinnen musizieren Bachs berühmte Sonaten und Partiten BWV 1001-1006

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Mit sechs vorproduzierten Kurzvideos (zwischen je einer Viertel- und einer halben Stunde) wartet das Konzerthaus Berlin bis zum 11. Juni via Internet auf. Es stellt sie an bestimmten Tagen [s.u.] als sog. Online-Premieren auf seinen YouTube-Kanal - ab dieser jeweiligen Erstausstrahlung sind sie dann in Folge und zeitunabhängig abrufbar - eines von vielen Beispielen, wie sich die Musikerinnen und Musiker, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des wegen der Coronapandemie derzeit verwaisten Musentempels einigermaßen über Wasser zu halten versuchen, wie sie sich bemüßigt sehen, den Kontakt zu ihrem Publikum nicht abreißen zu lassen; im Rahmen von #konzertZUhaus versammeln sich dann ihre kleinen oder großen Initiativen.

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Die Idee, Johann Sebastian Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo BWV 1001-1006 im entstuhlten also völlig leer geräumten Großen Saal des auch als Schauspielhaus am Gendarmenmarkt touristisch gelisteten Schinkelbaus - von 1976 bis 1984 wurde das im Zweiten Weltkrieg fast völlig ausgebrannte klassizistische Gebäude von der DDR äußerlich originalgetreu und innen als historisieretes Konzerthaus wiederhergestellt - musizieren und "abfilmen" zu lassen, stammte von Sebastian Nordmann, dem fantasievollen und umsichtigen Intendanten, der, nachdem er dann "sein" Haus in dieser großartigen Ausgehöhltheit sah, vor lauter Überwältigung das hier verlauten ließ:

„Der ausgeräumte Große Saal dieser Wochen berührt mich als Sinnbild der aktuellen Krisensituation zutiefst: Wann immer ich ihn betrete, verfehlen seine Schönheit und Wärme in Verbindung mit Leere und Verlassenheit nicht ihre Wirkung auf mich. Daraus entstand der Wunsch, diese Atmosphäre in ein ungewöhnliches künstlerisches Projekt zu überführen. Von Kindheit an liebe ich Johann Sebastian Bachs Sechs Sonaten und Partiten für Violine solo. Sie hatte ich im inneren Ohr, als ich den Saal im derzeitigen Zustand zum ersten Mal betrat. Den sechs Geigerinnen, die wir gewinnen konnten, hat es ebenfalls zunächst die Sprache verschlagen.“

Eingebetteter Medieninhalt

Begonnen hatte die sechsteilige Reihe gestern Abend pünktlich um 21 Uhr - die in München geborene und international bekannte Geigerin Viviane Hagner (sie war in der Spielzeit 2007/08 Artist in Residenz am Konzerthaus Berlin) spielte die erste der drei Bach'schen Violinsonaten; vier Sätze hat das Werk und dauert ungefähr fünfzehn Minuten - ein kurzes Video also; doch man konnte, wenn man wollte, vor- bzw. hinterher begleitende Extra-Videos von der Website des Konzerthauses herunterladen, entweder interessierte man sich für die fundierten Werkeinführungen zu sämtlichen Sonaten und Partiten von Konzerthausdramaturg Dietmar Hiller, oder man wollte im Interview mit Viviane Hagner dies und das erfahren, was sie selbst zu Bach und ihrer Werkauffassung von sich geben wollte - insgesamt also ein durch und durch sowohl vom Musikalischen als auch vom weiterführend Informellem her bereicherndes Konzert- und Filmerlebnis.

Regie führte Andreas Morell. Die Solistin wurde während ihres Spiels aus drei unterschiedlichen Kameraperspektiven eingefangen. Drei der insgesamt sechs oder acht oder zehn Kronleuchter [ich wusste plötzlich nicht mehr, und obgleich ich hunderte Male dort gewesen war, wie viele es tatsächlich sind] waren niedrig gehängt, die hinteren Saaltüren gegenüber dem Konzertpodium und ein paar seitliche zum linksseitigen Ausgang standen offen und ließen helles Tageslicht herein... Und die besondere Akustik in dem riesig großen und zudem geleerten Saal erschloss sich auch für Hörer außerhalb dieses gespeicherten Events - vorausgesetzt man war als Hörer mit entsprechend annehmbarer Lautsprechertechnik ausgerüstet - als ganz ausnahmsvoll beglückend schöner, sphärisch vieldeutbarer Hall.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 08.05.2020.]

#konzertZUhaus | Bachs Partiten und Sonaten
J.S. Bach: Sonate Nr. 1 g-Moll BWV 1001
Viviane Hagner, Violine
Online-Premiere vom 7. Mai 2020

Weitere Streams:
14.05. Partita Nr. 1 h-Moll BWV 1002 mit Sayako Kusaka
21.05. Sonate Nr. 2 a-Moll BWV 1003 mit Carolin Widmann
28.05. Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 mit Veronika Eberle
04.06. Sonate Nr. 3 C-Dur BWV 1005 mit Midori Seiler
11.06. Partita Nr. 3 E-Dur BWV 1006 mit Suyoen Kim

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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