WER SIND SIE? WAS MACHEN SIE HIER!

Performance Ruzbeh Mirmoayadi trommelt auf der Tombak - und Mohammad Salamat tanzt hierzu

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Derzeit gibt sich die deutschsprachige Theater-Elite resp. das, was sieben ausgewiesene Juroren dieses Jahr mal wieder für besonders wert befanden, beim THEATERTREFFEN in Berlin die Klinke in die Hand. Die Auswahl ist - wie eh und je - so einseitiger Weise "elitär" wie unerheblich, weil sie nicht im Mindesten den Querschnitt einer nach wie vor pulsierenden (und in den Off-Bereichen völlig unterfinanzierten ergo unbeachteten) Theaterlandschaft in der Schweiz, in Österreich sowie in Deutschland zu erfassen willens ist; d.h. die hoch bezahlten Herrschaften reisten - wie eh und je - ein ganzes Jahr im deutschsprachigen Raum herum und hatten dort nichts Besseres zu tun als sich (zumeist) auf den seit Jahren und Jahrzehnten etabliert habenden Spitzenbühnen umzuschauen, ob da hie und da mal wieder was Einladungswürdiges zu finden wäre. Dabei scheint ihr Horizont (wir sprechen hier um Gotteswillen nicht von Weitblick!) derart eng und engstirnig, dass es dem "abseits Außenstehenden" die Sprache fast verschlägt, ja und so fragt er sich ganz rotgesichtig: Kennt ihr außerhalb von Hamburg, München, Zürich, Wien, Berlin vielleicht noch andere Hotels, wo sich nach dem Theater aufzubetten lohnte? (Aber wenigstens hattet ihr zwischendurch auch mal in Karlsruhe und Kassel auf das Gnädigste Station gemacht.) Angeblich "wurden 394 Inszenierungen in 59 deutschsprachigen Städten besucht"; aha - - und warum dann diese doch immer wieder gleichähnliche Auswahl der angeblichen zehn Besten? Hä??

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Nichts desto Trotz pulsiert selbstredend - und fernab vom Hause der Berliner Festspiele - noch anderweitiges Theater in der deutschen Hauptstadt, welches zu entdecken reizt: zum Beispiel die Performances im Acker Stadt Palast! Jener veranstaltet seit Kurzem eine Reihe unterm Titel "behaupten.wagen – Ein dilettantischer Blick in die Welt". Hier präsentiert er"Künstlergruppen, die sich mit aktuellen bzw. politischen Themen auseinander setzen und außergewöhnliche ästhetische Mittel finden, Zusammenhänge und Widersprüche aufzuzeigen. Ziel ist es dabei immer einen Diskurs anzustoßen."

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Faraz Baghaei überschrieb sein [letztes Jahr am Schauspiel Stuttgart auch gezeigtes] Werk mit Wer sind Sie? Was machen Sie hier!, ja und man schließt sofort aus diesem Titel so ein deutsch-hausmeisterliches Nachfragen - also so kurz nach der enttarnenden Entdeckung irgendwo da draußen, wo sich (doch nicht etwa illegal?!) Ausländer aufzuhalten wagen würden... Gottlob tritt der deutsche Hausmeister in diesem 2-Personen-Stück nicht auf. So fiel zumindest schon mal dieser polizeiliche oder womöglich gar juristische Aspekt jener "Verfehlung" weg - - und ganz im Gegenteil und völlig unerwartet:

Ruzbeh Mirmoayadi und Mohammad Salamat, in einem aus zig Perserteppichen von Ausstatterin Nicole Adis untergründeten Verschlag (Garage, Keller) hausend, demonstrieren dem zu ihnen vordringenden Publikum durch warmherzige Küsse und einladende Begrüßungsworte Offenheit und Gastfreundschaft. Man kriegt die Schuhe ausgezogen, und es werden Tee, Zucker und Apfelstücke rumgereicht...

Die beiden Schauspieler plaudern aus ihrem Leben:

Ruzbeh's Eltern waren Schah-Gegner und wirkten in der Illegalität; nachdem der Schah gestürzt war und die Iranische Revolution der Islamischen Revolution wich, mussten sie das Land Hals über Kopf verlassen und wählten die damalige UdSSR zu ihrem Wahl-Exil; Ruzbeh kam in Usbekistan zur Welt, ja und er hatte seither nie/noch nie das Heimatland von seinen Eltern gesehen... Er trommelt auf der Tombak, und er träumt von seiner Großmutter, die er vielleicht mal eines Tages im Iran besucht...

Mohammad klingt da etwas nüchterner; sein familiärer Backround hat nicht diese intellektuellen und aufklärerischen Wurzeln wie diejenigen von seinem Schauspielfreund... Auch war er selbst schon paar mal im Iran, und er berichtet von entzaubernden Realitätserfahrungen, dass also beispielsweise Hunger, Not und Mangel in dem Land (das vom US-Embargo wirtschaftlich fast in die Knie gezwungen worden war) vorherrschen.

Beide Männer - keine Flüchtlinge, natürlich nicht - haben in Deutschland "ordentlich" das Schauspielfach studiert.

Sie singen und tanzen...

Zum Schluss [vielleicht auch analog zum Ende ihres Schauspielstudiums an der Ludwigsburger Akademie für Darstellende Kunst] wird ein sattsam bekanntes "morgenländisches" Klischee herstrapaziert: Vom Typ her, hieß es da verarscherisch, wären der Eine oder Andere die eigentliche Idealbesetzung, um (im Kino) Terroristen, Selbstmordattentäter, Dschiadisten und IS-Kämpfer glaubwürdig zu verkörpern...

Biografisches Theater.

Stark, authentisch, und auch gut gespielt.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 08.05.2016.]

WER SIND SIE? WAS MACHEN SIE HIER! (Acker Stadt Palast, 07.05.2016)
Regie: Faraz Baghaei
Ausstattung: Nicole Adis
Mit: Ruzbeh Mirmoayadi und Mohammad Salamat
Uraufführung im Schauspiel Stuttgart war am 16. Januar 2016
Berliner Premiere: 5. 5. 2016
Eine Produktion der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Würtemberg

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Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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