Verlogener Asyl-Kompromiss

Baerbock auf Abwegen Die EU feiert ihren Asyl-Kompromiss, dem auch die deutsche Außenministerin zugestimmt hat. Ein Armutszeugnis für Asyl- und Menschenrechte und das Grünen-Selbstverständnis

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Ich sehe sie schon. Die Behördenleute in Ungarn, Italien, Kroatien. Niemand so beflissen in Menschenrechtsfragen wie sie. Wie sie an den Außengrenzen der EU sitzen und schweren Herzens darüber entscheiden, wer eine Chance hat auf Asyl - und wer nicht. Wie sie - versiert in Fragen von Krieg und Frieden, aber auch in Fragen von Demokratie, Unterdrückung und Rechtsstaatlichkeit - sorgsam abwägen, wer weiter darf - und wer nicht. Wer auf aufnahmebereite EU-Staaten verteilt wird. Und wer in Haftparadiesen bleiben darf. Bevors zurückgeht. In die geliebte Heimat oder in Sehnsuchtsorte in Nordafrika.

Die Asyl-Einigung der EU hat alles geklärt. Jedenfalls Alles, was auf Abschreckung und Abschottung abzielt. Auf einen Ablasshandel mit Staaten, die keine Lust auf Flüchtlinge haben. Auf eine bessere Überwachung und im Zweifel eine leichtere Abschiebung in relativ sichere Länder. Darauf, dass es für Familien mit Kindern keine Extra-Würste gibt. Afghanistan, Irak, Syrien. Da geht was. Tunesien, Ägypten, Bangladesh. Da darf nix gehen. Am Besten gar nix. Und nie. Was schert individuelles Aslyrecht, wenn der Kamm gefunden ist, über den man Alles und jeden Schutzsuchenden scheren kann. Denn darauf läuft es hinaus.

Dass aus der FDP hymnischer Jubel kommt, geschenkt. Die frühere Rechtsstaatspartei hat sich längst von einem gesitteten Liberalismus verabschiedet. Dass die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock Grenzverfahren (...) hochproblematisch nennt, weil sie in Freiheitsrechte eingreifen, zugleich freilich von einem geordneten und humanen Verteilungsverfahren spricht, die Grenzverfahren als Fluch und zugleich als Chance bezeichnet und das Recht auf Asyl im Kern nicht ausgehöhlt werden dürfe, zeigt, wie es um die politische Haltung der grünen Kabinettsvertreter bestellt ist: Eine Ansammlung von Possen!

Abschottung, so lässt sich zusammenfassen, was von den Befürwortern der Asyl-Einigung zu vernehmen ist, ist nicht so schlimm, weil der Trend ohnehin zur Abschottung gehe. Weil es einen Trend gibt, einzelne Staaten für Schutzsuchende unzugänglicher zu machen, kann man doch für Viele gleich ganz Europa sperren. Diese Logik, die in der EU gefeiert wird, ist bestensfalls ein bisschen gaga. Schlimmstenfalls läuft sie drauf hinaus, zu sagen: Wenn eh schon Asylrechte ausgehöhlt werden, dann geordnet. Wenn schon Menschenrechte mit Füßen getreten werden, dann lasst uns das tapfer unter einem Dach machen.

Ich sehe schon, wie Grüne in Regierungsverantwortung weiter Wege aus der Klemme suchen, in die sie das Gewissen ihrer Ur-Klientel steuern. Etwa mit dem Verweis auf Ungarn und Polen. Die Unmut äußern, weil als Außenposten die Last am Ende doch auf ihnen liege. Wenn die Außenposten aufheulen, dann kann der Kern der Einigung doch gar nicht so schlecht sein. Werden die Dummen den vermeintlich ganz Dummen Glauben machen wollen. Weil die das mit der Machtpolitik und ihren realen Möglichkeiten noch nicht begriffen haben. Und weil eben - apropos Grenzen - alter Idealismus im Zweifel gedeckelt werden muss.

Dass die deutsche Außenministerin jammert, es anders gewollt zu haben. Ein stückweit jedenfalls. Dass man hofft, noch Nachbesserungen erreichen zu können. Ein paar. Es ändert nichts daran, dass Annalena Baerbock die Hand gehoben hat. Zur Zustimmung, nicht zur Abwehr. Zur Abkehr von allem, was rechtsstaatlich und menschenrechtlich geboten ist. Dass nämlich Deutschland sich nicht am gerade mal Möglichen, sondern am maximal Wünschenswerten orientiert. Statt einen Kompromiss gutzuheißen, der an denen entlang gestrickt ist, die auf individuelle Rechte pfeifen.

Ich schäme mich für dieses Europa. Und ich schäme mich für die Grünen. Die eine Bastion nach der anderen aufgeben. Die aufgeben, was sie geprägt und ausgezeichnet hat. Die die wichtigsten Errungenschaften einer Zivilgesellschaft über Bord werfen wie verderbliche Ware. Um faule Kompromisse zu fressen, die ihnen diejenigen hinwerfen, die Menschen, die aus welchen Gründen auch immer Hilfe suchen, am liebsten verhungern lassen würden. Dieses Europa hat sich mit Unterstützung von Baerbock und Faeser asylpolitisch degradiert. Das ist keine Lösung, sondern ein Desaster. Ein Offenbarungseid mit schwerwiegenden Folgen.

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Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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