Von wegen "innere Angelegenheiten"

Einmischung tut Not Wenn es um Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte geht, pochen Staaten gerne auf ihre Souveränität - das Völkerrecht muss deswegen deutlich mehr als bisher die Menschen und die Menschheit in den Mittelpunkt rücken

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Der russische Botschafter in Deutschland wurde wegen des Todes von Kreml-Kritiker Nawalnyi ins Bundesaußenministerium einbestellt. Der Mann verwahrte sich gegen eine Einmischung in die innere Angelegenheit seines Landes. Er folgt damit einem Stereotyp: Was innerhalb der eigenen Grenzen geschieht (oder bisweilen knapp außerhalb), hat andere (Staaten) nichts anzugehen. Nein? Vielleicht hat Moskau bewusst verschlafen, dass Politik unter Beobachtung steht. Stehen darf, stehen muss. Dass sich Staaten, inklusive Russland, nicht mehr einfach so aus der internationalen Verantwortung stehlen können. Vielleicht ist es an der Zeit, das Völkerrecht strikter so zu definieren, wie es in einer globalisierten Welt definiert gehört. Rücksichtslos global!

Der Verweis auf innere Angelegenheiten ist ein Narrativ aus einer, so könnte man meinen, politischen Steinzeit. Wo sich Kapital frei über Staatslinien hinweg bewegen darf, muss sich, sorry, auch die Politik gefallen lassen, dass sich Urteile über sie frei über Staatslinien hinweg bewegen. Das gilt für Präsident Putin, Trump, Erdogan, Chinas Machthaber, das gilt für Israels Regierungschef Netanyahu, für Regierungen Europas, Lateinamerikas, Afrikas. Das gilt für alle, die Politik machen, für sie gerade stehen müssen. Das gilt für die, die Demokratie und Rechtsstaat mit Füßen treten. Das gilt für die, die beides und die Menschenrechte verteidigen. Die Welt steht, seit sie sich als umfassend begreift und begriffen wird, auf dem Radar. Und das ist gut so.

Das könnte den politischen Akteuren so passen: Zu glauben, dass sich Vorteile über Grenzen hinweg ergattern lassen – und wenn es unangenehm zu werden droht, man sich hinter der eigenen Souveränität verstecken kann. Längst haben sich die Schnittstellen von denen, die angreifen, und denen, die sich verteidigen, verschoben. Sie lassen sich nicht mehr aus Machterwägungen heraus säuberlich via staatliche Grenzziehungen definieren. Die Schnittstellen werden zunehmend durch die Frage markiert, wo Menschen frei denken, sich frei und unverletzlich bewegen können, wo Politik selbstverständliche Rechte gewährt und wo nicht. Hieran machen sich zunehmend die Grenzen fest. Zwischen Staaten (klassisch) und innerhalb von Staaten.

Seit jeher hinkt die Interpretation des Völkerrechts den politischen Realitäten hinterher. Oder soll bewusst den Realitäten hinterherhinken. Mal wird Grenzenlosigkeit gefeiert, vor allem dann, wenn sie der Freiheit des Marktes dient. Mal werden ihr möglichst enge Schranken gesetzt, dann, wenn es darum geht, politischen Unfreiheiten, der Drangsalierung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in die Hände zu spielen. China möchte gern weltweit Autos verkaufen. Aber wenn dem Land die Verletzung von Menschenrechten vorgeworfen wird, sind das plötzlich innere Angelegenheiten. Die Formel klingt sehr vereinfachend. Und genau so ist sie auch gemeint. Das Problem ist weniger komplex, als es einem eingeredet wird.

Man kann schon die Stimmen hören, die jetzt sagen, dass man dann auch in Kauf nehmen muss, dass sich das, nennen wir es mal: Böse beim Guten einmischt. Und ob das denn erlaubt sein soll. Gegenfrage: War es nicht immer so, dass sich vor allem das Böse einen Dreck um Grenzen geschert hat? Und es eher die Guten schwer hatten, sich auch qua Einmischung gegen das Böse zu behaupten? Oder darin scheiterten? Der Spanische Bürgerkrieg war ein Fall der Einmischung. Von beiden Seiten. Dass das Franco-Lager siegte, hat nicht mit zu viel, sondern mit zu wenig Einmischung in innere Angelegenheiten zu tun. Die Welt hätte weniger zuschauen und massiver eingreifen müssen, die Macht des Faschismus war offensichtlich.

Leider, muss man feststellen, hat das damals nicht geklappt mit dem Niederringen des Franco-Regimes. Man hätte sich eine offenere und direktere Einmischung in innere Angelegenheiten gewünscht, damit wäre dem spanischen Volk viel erspart geblieben. Auch anderswo hat man in den vergangenen Jahrzehnten die Menschen in ihren Kämpfen für Demokratie und Rechtsstaat allein gelassen, statt sich in innere Angelegenheiten einzumischen. Einmischung ist nicht nur erlaubt, sie ist geboten, auch wenn andere als staatliche Grenzen überschritten respektive verletzt werden. Es wird Zeit, dass das Völkerrecht seinen Schwerpunkt nicht allein auf staatliche Subjekte setzt, sondern verstärkt auf Menschheit und Menschenrechte.

Es ist anzunehmen, dass es für ein grenzübergreifendes Völkerrecht, das die Menschheit statt Staaten als Souverän betrachtet, keine Mehrheit gibt. Das eine, der Schutz von Staaten durch das Völkerrecht, schließt das andere, den Schutz der Menschheit durch das Völkerrecht, aber nicht aus. Nur könnten sich dann Staaten, die die Menschheit und Menschenrechte verletzen, nicht mehr so schnell mit dem völkerrechtlich geschützten Souveränitätsanspruch herausreden. Und Menschenrechtsverletzungen im weiteren Sinne wären dann ohne jeden Zweifel ein Verletzung auch des Völkerrechts. In jedem Falle würde dann das Geschwätz von den inneren Angelegenheiten eines Staates, in die man sich nicht einmischen dürfe, ins Leere laufen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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