Wer wird denn da zitiert?

Rüstung und Verteidigung Institute, Experten, Rüstungsunternehmen, Politik, Brandbriefe und Medien - in diesen Zeiten wird dafür gesorgt, dass die öffentlich Debatte um aktuelle Kriege und Frieden läuft wie geschmiert. Welchen Sinn macht das am Ende?

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Russlands Krieg gegen die Ukraine und deren Gegenwehr, die Chancen auf einen Sieg für Kiew oder die alternativ drohende Niederlage, und wovon das eine oder andere anhängt: All dies wird täglich in den deutschen Medien ventiliert. Je nach Stoßrichtung kommen Experten zu Wort. Und immer wird so getan, als handele es sich um das geballte Wissen, die geballte Expertise, kompetente Analysen und aufrichtige Beurteilungen der Lage. Meist der militärischen. Und damit Alles jeweils belastbare Berechtigung hat, wird Europas Demokratie ins Feld geführt, die es zu verteidigen gilt.

Man kann sich freilich vor klugen Köpfen nicht mehr retten. Und vor Instituten und Organisationen, die hinter ihnen stehen. Ich erspare mir, hier all die Abkürzungen der Brotgeber und Akademiker-Lager aufzuzählen, die, einmal ins Reine gesetzt, Beiträge und Interviews überfluten. Vielleicht mag das das Beruhigende sein: Dass es bislang noch mehr friedliche Abkürzungen gibt als kriegerische Konflikte und ausweglose Krisen. Und dass Hoffnung besteht, dass die Welt hier und da abseits um- und abschweifender Betrachtungen aus Dilemmata herausfindet. Aus purem Überlebenswillen.

Und weil man weiß, dass hinter all den drohnenhaft über Kriegen und Konflikten schwebenden schlauen Menschen noch viel schlauere Interessenkalkulateure stecken. Die es irgendwie immer wieder schaffen, andere für ihre politischen und wirtschaftlichen Machenschaften einzuspannen. Vor diesem Hintergrund mag man sich beispielsweise mal, völlig willkürlich, das Institute for the Study of War (ISW) anschauen, das dieser Tage gern bei ntv und Focus online zitiert wird. Und das unmissverständlich und überzeugend die weitere Aufrüstung der Ukraine durch den Westen nahelegt.

Wer ist dieses ISW, wer sind diese Militärexperten und Forscher, die da mit ihren Analysen kommen – und um ihre Aufrüstungsgedanken hochzujazzen einen Atomwaffeneinsatz durch Russland kleinreden? Vorstandsmitglied und Gründerin ist Kimberly Kagan, deren Mann die neue Studie zum Russland-Ukraine-Krieg mitverfasst hat. Gegründet wurde das ISW, so ist unter anderem ganz unverblümt bei Wikipedia zu lesen, 2007, kernfinanziert durch eine Gruppe von Rüstungsunternehmen. Das Institut stellt sich gleichwohl als unabhängig dar und gibt sich gemeinnützig, auch in Sachen Konfliktanalysen.

Kimberly Kagan ist eine vielbeschriebene Militärexpertin – oder Militärhistorikerin, als die sie sich gerne sieht. Entsprechend verlief ihr Studium. Entsprechend verlief ihre professionelle Biografie. Einsätze im Irak und in Afghanistan. Mal für das United States Central Command (CENTCOM), mal für die International Security Assistance Force (ISAF). Was der Einsatz in beiden Ländern militärisch, vor allem aber auch politisch gebracht hat, weiß man: Nichts! Beide Staaten wurden im Stich gelassen. Versunken in neuem Chaos (Irak) oder in der Hand von Terroristen (Afghanistan).

Vorsitzender des ISW mit Sitz in Washington ist der ehemalige US-Armist und stellvertretende Ex-CENTCOM-Kommandeur John M. Keane. Nach seinem Abdanken als Militär wechselte er in die Privatwirtschaft. Als Aufsichtsrat unter anderem von General Dynamics, einem amerikanischen Rüstungskonzern, der – unter anderen Waffenkonzernen – auch Geld in das ISW fließen lässt. Wenn man dem Spruch Wes Brot ich ess, des Lied ich sing nur halbwegs Glauben schenkt, kann man sich ausrechnen, was die Expertisen des US-Instituts wert sind. Und was die Berichte, die diese Expertisen zitieren.

Dass man noch nicht mal ein Aufsichtsratsmandat bei einem Rüstungskonzern braucht, um dessen Interessen einzupreisen, macht Robert Habeck vor. Der sich dieser Tage, nach einem Gespräch mit Vertretern der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, für eine deutliche Aufrüstung stark gemacht hat. Natürlich wurde mit den Unternehmern, die, wie der deutsche Wirtschaftsminister preisgab, die ganze Breite des Spektrums…also vom U-Boot-Bau bis zu digitalen Start-upsrepräsentieren, darüber gesprochen, wie wir industriepolitisch die sicherheitspolitische Lage reflektieren.

Das Gespräch, so ließ der Grüne, der gewiss noch ein bisschen der Parteifarbe huldigen muss, wissen, sei kein leichtes gewesen. Jeder Politiker würde sich wünschen, und wahrscheinlich auch die Kollegen von der Industrie,…dass wir nicht vor diesem Hintergrund diskutieren müsssen. Mit Hintergrund ist die Weltbedrohungslage gemeint, die sich nun mal verändert habe. Dann kommt die ganze Kette, von Sprach-Manipulationen bis zu Cyber-Attacken. Alles zusammen mache eine erhöhte militärische Verteidigungsfähigkeit nötig. Hier und, wegen Europa, auch in der Ukraine.

Das Statement zur verstärkten Verteidigungsfähigkeit, also Aufrüstung, in Deutschland und Europa, ausgerechnet nach einem Treffen mit denen, die das produktionstechnisch bewerkstelligen können, ist kommunikationsmäßig dämlich. Bestensfalls. Es zeigt aber vor allem, wie wenig mittlerweile in der Frage von Krieg und Frieden, allein anstandweise, auf Distanz und Balance geachtet wird. Das wiederum passt zum Framing der Medien. Die es mehr und mehr verlernen, all das, was da so öffentlich erläutert wird, zu hinterfragen – und ihrerseits Distanz und Balance zu wahren.

So kommt es auch, dass ein Brandbrief von Akademikern an die SPD-Spitze, der ebenfalls auf die militärische Wehrfähigkeit Deutschlands und Europas abzielt und Bundeskanzler Scholz vorwirft, zu zurückhaltend und damit auf einem außen- und verteidigungspolitischen Holzweg zu sein, auffallende hohe Aufmerksamkeit erfährt. Es sind, gerade mal, fünf (!) Historiker:innen, die sich da äußern – deren Namen, bis auf Heinrich August Winkler, kaum bekannt sind. Aber sie passen ins beashing gegen jene, die sich nicht einfach und unreflektiert vor den Karren des Bellizismus-Lagers spannen lassen.

Wenn man alles verknüpft – die freilich ganz und gar unabhängigen Institute und ihre Experten, die nie und nimmer interessengelenkten Gespräche von Habeck&Co, Brandbriefe und, das sei nicht zu vergessen, eindeutigen Einsprüche diverser Nobelpreisträger gegen einen allzu große Naivität, die sich in der derzeitigen kriegerischen Lage verbietet (so nun wieder Habeck) – und in den Medien täglich miteinander verschränkt, dann kann es ja gar nicht anders sein, als dass man sich dafür stark macht, die Waffen sprechen zu lassen, bis hin zu Taurus, exklusive Atom. Aber das scheint die einzige Grenze.

Darüber wird freilich völlig vergessen, was denn die politische Perspektive der Aufmärsche etwa gegen das in der Tat verbrecherische und Völkerrecht verletzende Kreml-Regime ist. Es gibt bislang kein einziges Statement zu einer Strategie über die militärische hinaus. Das Manko der Einsätze in Afghanistan, Syrien, im Irak oder Mali, dass man nämlich militärisch engagiert war, aber politisch der Atem nicht reichte und man sich dann feige aus dem Staub gemacht hat, wird nicht mal ansatzweise diskutiert, schon gar nicht von Brandbriefe-Schreibern. Das wäre auch zuviel verlangt.

Wenn man dann – vielleicht ja in Teilen zu Recht – mit der Naivität der einen Seite operiert, sollte man indes nicht eigene Naivität ins Feld rüstungs- resp. verteidigungspolitischer Appelle führen. Denn mit militärischen Einsätzen, die bislang auch nur kurzfristig Konflikte befriedet haben, ist man bislang nicht wirklich weitergekommen. Militärische Siege sind noch nicht politischer Gewinn. Der aber muss schon am Anfang skizziert werden und am Ende sichtbar sein. Statt für die Verteidigung Europas in der Ukraine ohne dies zigtausende Tote und Zerstörungen in Kauf zu nehmen.

Man kann ja, und das würde der von Habeck hofierten Rüstungs- und Verteidigungsindustrie sicher mehr gefallen als unangenehm sein, erstmal versuchen, so zu tun, als wäre es möglich, mit einem Sieg über Russland auch politisch alles geregelt zu haben. Aber wie sähe dieser Sieg aus? Lässt sich Russland zurückdrängen und zugleich Putins Angriffslust löschen? Wenn nicht, muss man das Kreml-Reich in Schutt und Asche legen, damit aller Krieg für immer beendet ist? Darauf wagt niemand der Aufrüstungsbefürworter eine Antwort zu geben. Ist das weniger naiv?

Wenn alles jemals vorbei sein sollte, wie auch immer, sehe ich Politiker wie Habeck schon in einer neuen Runde des Kotaus sitzen. Dann vor denen, mit denen man ja, leider, irgendwie reden muss. Den Autokraten, Diktatoren, notfalls auch Islamisten. Das war vorgestern und gestern so, und das ist heute so - zähneknirschend zwar, wie im Kalten Krieg. Aber immer mit der Absicht, die Welt in Schach zu halten. Das war auch im Kalten Krieg so. Wer Geister mit aus der Flasche gelockt hat, wird sie, auch militärisch, nicht so einfach los. Das sollte man ehrlicherweise auch Präsident Selenskyi sagen.

Statt, flankiert von allen möglich Instituten, Rüstungskonzernen, klugen Professor:innen, so zu tun, als sei mit kriegerischen Auseinandersetzungen schon die politische Miete auf Demokratie und ein im Grunde friedfertiges Europa gezahlt. Immer mal wieder kommen in den Medien Stimmen zu Wort, die in diese Richtung gehen – und die sich wünschen, dass entweder weiter als bis zum nächsten Schuss gedacht wird oder dass man frühzeitig ernsthafter auf Alternativen setzt. Aber diese Stimmen machen eine vergleichsweise verschwindende Minderheit aus. Das ist betrüblich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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