Nachdem der Bundestag am 30. Juni 2011 den Atomausstieg beschlossen hatte, zählte die Presseagentur Reuters auf, wie bis 2022 ein Reaktor nach dem anderen abgeschaltet werden würde. Dann bilanzierte sie: „Die Kernenergie steht in Deutschland nun endgültig vor dem Aus“.
Tatsächlich macht ein in Teilen von der Bundesregierung kontrolliertes Unternehmen bis heute lukrative Profite mit dem Geschäft der Urananreicherung. Mehr noch: Es entzieht sich teils staatlicher Kontrolle, verstößt gegen den Geist des multilateralen Vertrags, auf dessen Grundlage es operieren soll, und riskiert obendrein, dass für die zivile Nutzung vorgesehenes Uran für militärische Zwecke eingesetzt wird.
Geklaute Blaupausen
Das Unternehmen, um welches es hier geh
en, um welches es hier geht, heißt Urenco (kurz für Uranium Enrichment Company). Es ging aus einem Projekt hervor, mit dem Deutschland, Großbritannien und die Niederlande vor 50 Jahren die damals neuartige Zentrifugentechnologie zur Urananreicherung entwickeln und zur Anwendungsreife bringen wollten. Heute ist Urenco der zweitgrößte Urananreicherer der Welt, marktbeherrschend in Westeuropa und den USA. Noch immer gehört das Unternehmen zu je einem Drittel Großbritannien und den Niederlanden, je ein Sechstel besitzen EON und RWE, allerdings unter Aufsicht der Bundesregierung.Wegen der offensichtlichen Gefahr des Missbrauchs von Material und Technik für militärische Zwecke verpflichteten sich die drei beteiligten Staaten mit dem am 4. März vor 50 Jahren unterzeichneten „Vertrag von Almelo“ dazu, Uran ausschließlich für zivile Zwecke anreichern zu lassen und den Betrieb streng zu überwachen. Das verhinderte aber nicht, dass schon fünf Jahre später Blaupausen aus dem niederländischen Standort Almelo entwendet wurden, mit deren Hilfe das pakistanische Atomwaffenprogramm entstand. Später gelangten die Pläne auch in den Iran, nach Libyen und Nordkorea. Es war der erste weitreichende Skandal, in den Urenco verwickelt war, aber bei weitem nicht der einzige.Heute hat der Konzern vier Niederlassungen: In Capenhurst in England, Almelo in den Niederlanden, Eunice im US-Bundesstaat New Mexico und Gronau in Nordrhein-Westfalen. Die Uranreicherungsanlage Gronau verfügt trotz des Atomausstiegs über eine unbegrenzte Betriebsgenehmigung. Der Versuch von Grünen und Linken, mit einer Gesetzesänderung die Schließung der Anlage bis 2022 zu erwirken, scheiterte 2019 im Bundestag an den Stimmen von Union, SPD, FDP und AfD.In Gronau wird seit 1985 in Gaszentrifugen Uranhexafluorid (UF6) angereichert und anschließend exportiert: Etwa an die Betreiber maroder Atomkraftwerke in Belgien und Frankreich, wogegen seit Jahren Menschen protestieren.Ein anderes problematisches Exportziel für Uran aus Gronau, allerdings in diesem Fall ab-, nicht angereichertes Uran, ist Russland: Umweltschützer enthüllten bereits vor mehr als zehn Jahren, dass hochgiftiges und schwach radioaktives aus Gronau stammendes Uranhexafluorid – von dem in Gronau jährlich 5.000 Tonnen als Abfall entstehen – in Russland unter freiem Himmel in rostigen Fässern lagerte. Gemeinsame Proteste in Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden und Russland veranlassten den Atomkonzern Rosatom dazu, den seit 1995 bestehenden Vertrag mit Urenco nicht zu verlängern. Die Firmenleitung in Gronau versicherte damals, die Russlandtransporte gehörten der Vergangenheit an. Ob ernst gemeint oder nicht – fest steht heute, dass Urenco schon bald wieder die Option verfolgte, erhebliche Mengen abgereicherten Urans nach Russland zu verfrachten. Der Gemeinsame Ausschuss, jenes Gremium der drei Urenco-Vertragsstaaten, das das Unternehmen kontrollieren soll, wusste von den Plänen und hatte keine Einwände. Auch das Bundeswirtschaftsministerium bot seine volle Rückendeckung, als Urenco im Mai wieder mit seinen umstrittenen Urantransporten nach Russland begann.Die Atomexpertin der Grüne, Sylvia Kotting-Uhl, kritisiert das und meint, die Bundesregierung hätte die Transporte sehr wohl durch ein Veto im Ausschuss verhindern können, ja müssen. Stattdessen verschanzen sich zuständige Minister wie Peter Altmaier (CDU) hinter einem Etikettenschwindel, den auch Urenco vertritt: Das abgereicherte Uran sei kein Atommüll, sondern Wertstoff, sein Export damit rechtens und gängige Praxis. Verschwiegen wird jedoch, dass selbst bei einer wiederholten Anreicherung – die allerdings unwirtschaftlich ist – zu 85 bis 90 Prozent erneut Abfall entsteht. Greenpeace hält deshalb die Transporte für rechtswidrig, und zwar nach deutschen, europäischen und russischen Gesetzen.Dass Urenco seinen Atommüll nicht im Inland entsorgen will, ist für Anti-Atom-Aktivisten und Umweltpolitiker nur die Spitze des Eisbergs. Sie drängen auf eine Schließung der Anlage. Die Firmenleitung in Gronau kümmert das nicht. Sie wolle die Russlandtransporte 2020 fortsetzen, heißt es, ungeachtet hartnäckiger Proteste und Blockaden entlang der Transportstrecke.Ebenso bedenklich ist die Art, mit der der Atomkonzern immer wieder in einen zivil-militärischen Graubereich vordringt. Wie WDR und Tagesschau 2017 berichteten, beliefert die US-Niederlassung Urencos den Betreiber von zwei Reaktoren, die Tritium für das US-amerikanische Atomwaffenprogramm liefern. Tritium wird als sogenannter Booster in Atomraketen eingesetzt, muss aber, um funktionstüchtig zu bleiben, regelmäßig ausgetauscht werden. Da es in den USA verboten ist, ausländisches Material für Nuklearwaffen zu verwenden, wird zur Erbrütung des Tritiums – zumindest offiziell – ausschließlich eigenes Uran aus abgerüsteten Atomwaffen verwendet. Fragt sich nur, wie lange noch. Je schneller die Vorräte zur Neige gehen, desto wahrscheinlicher wird, dass die US-Regierung die Regeln lockert und auf Urenco-Uran zurückgreifen will. Das wäre jedoch wohl ein eindeutiger Verstoß gegen den Urenco-Gründungsvertrag und internationale Abkommen wie den Nichtverbreitungsvertrag, auch wenn ein 2005 von Urenco in Auftrag gegebenes Gutachten keine rechtliche Bedenken sehen mochte: Tritium sei nur ein „Abfallprodukt“ aus der Stromerzeugung, hieß es da. Dieser Einschätzung hatte sich der Gemeinsame Ausschuss damals angeschlossen, ein Vorgang, über den die Bundesregierung schweigt.Echte Kontrolle fehlt auch bezüglich der Pläne Urencos, in New Mexico so genanntes High-Assay Low Enriched Uranium (HALEU) herzustellen. Dieses Uran soll viermal so hoch wie üblich angereichert werden: Bis knapp unterhalb jener Grenze von 20 Prozent, ab der Uran dem militärischen Bereich zugeordnet wird. In dieser Form ist es auch für den Antrieb bestimmter Atom-U-Boote interessant. Laut der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW kann es dabei hochangereichertes Uran ersetzen, was deutlich günstiger ist und scharfe Kontrollen vermeidet.Militär-ziviler GraubereichHALEU würde auch als Brennstoff für den sogenannten U-Battery-Reaktor dienen, den Urenco basierend auf der problembehafteten Technik des Hochtemperatur-Reaktors (HTR) entwickelt, die nach jahrzehntelanger Forschung verworfen wurde. Die Behauptung Urencos, der Mini-Reaktor sei „inhärent sicher“, hält sogar die Internationale Atomenergie-Organisation für unseriös. Billig wäre er ebenfalls nicht: Laut Experten schließen sich geringe Kosten und hohe Sicherheit gegenseitig aus. Das Reaktorkonzept existiert bisher nur auf dem Papier. Ob es funktioniert, wird sich erst in der Testphase mit Betrieb des Prototypen zeigen, dessen Bau frühestens 2026 beginnt. Hubertus Zdebel von der Linkspartei warnt, die Entwicklung des U-Battery-Reaktors dennoch nicht zu unterschätzen: „Die Bundesregierung muss endlich eingreifen, um sowohl neue Absatzmärkte für die Atomindustrie zu verhindern, als auch die Nutzung fürs Militär.“ Das Pentagon hat bereits Interesse an Urencos Mini-Reaktor bekundet.Urencos Geschäfte zeigen, dass die Trennlinie zwischen ziviler und militärischer Nutzung von Atomtechnologie zusehends – und mit Billigung der deutschen Regierung – aufgeweicht wird. Doch will Deutschland wirklich dazu beitragen, Know-How und Infrastruktur bereitzustellen, was auf lange Sicht den Fortbestand von Atomwaffensystemen sichert?Placeholder authorbio-1
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