Die 25-jährige Freddie (Park Ji-min) reist nach Seoul, um den Ort ihrer Geburt zu erkunden. Als Baby wurde sie zur Adoption nach Frankreich freigegeben. Paris wurde ihr Zuhause, aber offensichtlich nicht zu einer echten Heimat. Der zweite Langfilm des kambodschanisch-französischen Filmemachers Davy Chou (Diamond Island) könnte eine jener allzu vertrauten Geschichten über eine Suche nach den eigenen Wurzeln sein. Aber Return to Seoul umschifft die Erwartungen sehr gekonnt, was zuallererst an der elektrisierenden Heldin im Zentrum liegt. In ihr sind die bekannten Motive, wie etwa das Gefühl der Zerrissenheit zwischen zwei Welten, angelegt. Doch ihre Geschichte wirkt nie mitleiderregend, auch das Abgleiten ins Melodramatische wird vermieden.
Dafür ist Freddie zu a
Dafür ist Freddie zu anders, zu komplex. Eine frühe Sequenz macht deutlich, wie sie ihr Leben führt. An ihrem ersten Abend in Seoul sitzt sie mit der Hotel-Rezeptionistin Tena (Guka Han), die sie gerade erst kennengelernt hat, und einem Freund von Tena in einem Imbiss. Sie unterbricht den Smalltalk mit der Frage, ob ihre Gegenüber mit dem Konzept des Vom-Blatt-Spiels vertraut seien. Um eine Partitur ohne vorheriges Üben direkt beim ersten Lesen spielen zu können, so erzählt Freddie, müssten Musiker sofort Muster erkennen, Schwierigkeiten einschätzen und sich dann ohne Angst an das Vorhaben machen.Ihr selbst ist dieses Vorgehen zur Devise geworden. Im Laufe des Films sieht man Freddie immer wieder dabei, wie sie sich in völlig neue Situationen stürzt, sich wild entschlossen auf neue Herausforderungen einlässt. Mehr und mehr entpuppt sich dieses Verhalten als Bewältigungsstrategie. Wer stets nach neuen Abenteuern sucht, hat weniger Zeit dafür, sich mit dem auseinanderzusetzen, was ihn im Inneren plagt.Zuerst noch sorgt Freddies forsche Art in einem penibel auf Anstandsregeln und Etikette achtenden Umfeld für leichtherzige Culture-Clash-Momente. Später wird klar, dass sie die Strategie der Ungebundenheit geradezu rücksichtslos, mitunter ohne Gnade und Barmherzigkeit verfolgt. Besonders dann, wenn die Unterschiede zwischen den Kulturen zu unvereinbaren Widersprüchen werden, etwa als sie ihren biologischen Vater (Oh Kwang-rok) kennenlernt.Die Scham bleibtNach der ersten Kontaktaufnahme lädt der Vater sie umgehend zu sich nach Hause ein – eine Nachricht von ihrer Mutter lässt dagegen Jahre auf sich warten. Die Gräben, die der Film mit viel Feingefühl beleuchtet, beginnen bereits bei der Sprache. Beim ersten Besuch spricht Freddie noch kein Koreanisch, im Austausch mit dem Vater kann so nur das Nötigste kommuniziert werden. Man habe sie aus finanzieller Not heraus weggegeben, in dem Wunsch, dass ihr anderswo bessere Chancen offenstehen. Um die große Reue und Scham des Vaters zu vermitteln, braucht es allerdings auch gar keine Worte.Oh Kwang-rok verleiht dem trinkenden, weinenden, bettelnden Mann eine ergreifende Zärtlichkeit. Die prallt an seiner biologischen Tochter allerdings ab. Auf Zuneigung reagiert sie mitunter mit harschen Abfuhren, teilweise mit nicht mehr als einem gleichgültigen bis angewiderten Gesichtsausdruck. In einem Film, der Sprachlosigkeit auch im weiteren Sinne zum Thema macht, akzentuiert Park Ji-min die Nuancen ihrer Figur allein durch ihre facettenreiche Mimik.Eingebetteter MedieninhaltAls feingeschliffene Charakterstudie baut Return to Seoul erfolgreich ein Mysterium darum auf, inwieweit der Grund für Freddies Bärbeißigkeit mit einer gefühlten Ohnmacht zu tun hat. Gehen ihre Reaktionen auf einen sorgsam errichteten Schutzpanzer zurück, den sie selbst nicht mehr ablegen kann, oder kostet sie es vielleicht sogar richtiggehend aus, den anderen ein gewisses Leid zuzufügen – als eine trotzige Form der Rache? Für beides gibt es Anhaltspunkte.Der Kontakt zum Vater, dessen in nächtlicher Verzweiflung abgeschickten Nachrichten Freddie unbeantwortet lässt, reduziert sich auf ein trauriges Zeugnis dessen, was hätte sein können, aber niemals war und niemals sein wird. Seoul aber lässt sie nicht mehr los. In einem zwei Jahre später angesiedelten Kapitel, das Freddie in radikal verändertem Look zeigt, ist sie in die koreanische Hauptstadt gezogen.Davy Chou taucht mit seinem Film unter anderem in örtliche Subkulturen ein, er zeigt die Techno-Szene von Seoul und die darin gelebten alternativen Lebensmodelle. Das Land auf diese Weise auch abseits der tradierten Vorstellungen zu beleuchten, bereichert den Film um visuell bestechende Szenen, etwa in neonbeleuchteten Underground-Clubs. Zwischen Tinder-Dates mit älteren Männern, Alkohol- und Drogenexzessen erlebt Freddie jedoch eine Phase der Verzweiflung.Diese rührt in erster Linie daher, dass sich ihre biologische Mutter immer noch nicht bei ihr gemeldet hat. Nachdem die Begegnung mit dem Vater ihr nicht die Antworten auf ihre innerliche Zerrüttung liefern konnte, richten sich ihre Hoffnungen nun auf die Mutter.Return to Seoul wird zu weiteren Zeitsprüngen ansetzen und mit ihnen von neuen möglichen Antworten erzählen, die Freddie ebenfalls verwerfen muss. Bis am Ende eine Einsicht steht, die noch viel mehr Fragen aufwirft: Die, dass die Antworten darauf, wer wir in diesem Leben sein wollen, nicht aus anderen kommen können. Sondern nur aus uns selbst.