Grüner Ritter Kopflos

Film Mit „The Green Knight“ verwandelt David Lowery den Artus-Stoff in ein Märchen – um die Suche nach sich selbst
Ausgabe 30/2021

Er lebt noch bei seiner Mutter, durchzecht seine Nächte und erwacht regelmäßig in einem maroden Bordell, bevorzugt mit seiner unstandesgemäßen Geliebten Essel (Alicia Vikander): Sir Gawain (Dev Patel) entspricht nicht gerade dem Idealbild des edlen Ritters, wie man es aus den Artus-Legenden und anderen Rittersagen kennt – und doch basiert der Film auf einem Gedicht aus diesem Kosmos. Eine im 14. Jahrhundert anonym verfasste Ballade dient als Vorlage für den fantastisch aufgeladenen The Green Knight. Im Film ist besagter Gawain, Neffe eines kränklichen Königs (Sean Harris), alles andere als ein gestandener Edelmann. Der Ritterschlag steht ebenso noch aus wie die heldenhaften Taten, die ihn für einen solchen qualifizieren könnten.

Regisseur und Drehbuchautor David Lowery machte sich international einen Namen mit dem ungewöhnlichen Film A Ghost Story, der die melancholische Existenz eines Gespensts durch die Zeiten schilderte, er drehte mit Elliot, der Drache ein hochgelobtes Disney-Remake und gab in Ein Gauner und Gentleman Robert Redford als Schauspieler noch einmal eine Plattform. In The Green Knight nun zeichnet er seinen Helden Gawain als einen Getriebenen, der sich zwar um persönliche Transformation bemüht, aber nicht so recht zu wissen scheint, wie diese aussehen könnte. Wahrscheinlich deshalb entschließt sich Gawain fast hektisch dazu, die Herausforderung des titelgebenden „grünen Ritters“ anzunehmen. Mit von dunkler Rinde überwuchertem Antlitz war der baumartige Koloss an Heiligabend vor die Tafelrunde eingeritten und hatte sie herausgefordert, ihm im Duell gegenüberzutreten. Einen einzigen Schlag sollte sein Gegner ausführen – und in genau einem Jahr zu ihm in die grüne Kapelle kommen, damit er es ihm mit dem genau gleichen Hieb vergelten könne.

Bereits hier eröffnen sich die zentralen Ambivalenzen in Lowerys ästhetischen Referenzen: finstere christliche Symbolik trifft auf mystisch-spiritistische Elemente. Die Szene, in der Gawain das majestätische Schwert Excalibur seines Onkels erhebt, um seinem Herausforderer in einem Akt des Übermuts den Kopf abzuschlagen, wechselt mit Bildern seiner Mutter Morgana (Sarita Choudhury), die zeitgleich eine Séance abhält, scheinbar das Geschehen beeinflussend. Um eine Verdeutlichung von Zusammenhängen oder auch nur Verdichtung von Indizien, die für eine bestimmte Interpretation der Ereignisse stehen, bemüht sich der Film jedoch zu keinem Zeitpunkt.

Ohnehin besticht The Green Knight hauptsächlich auf einer eindrucksvollen stilistisch-visuellen Ebene. Jede Einstellung wirkt wohlüberlegt komponiert, die Kostüme sind historisch inspiriert, aber durch eine düstere, eigenwillige Ästhetik angereichert. Vor dem Aufbruch aus dem untypisch aschfahlen, keinerlei Prunk und Pracht ausstrahlenden Camelot prägt die Bilder eine gräulich-mattgrüne Farbpalette. Die lauernde, bedrohliche musikalische Untermalung von Daniel Hart komplettiert die hypnotische Atmosphäre des Films.

Ein Fuchs, der spricht

Den Großteil der Handlung nimmt wiederum die bizarre Expedition in Anspruch, die Gawain ein Jahr später auf sich nehmen muss. Hier erweist sich Lowerys Entscheidung, seinen Protagonisten nicht als einen formvollendeten Ritter antreten zu lassen, als taktisch klug: Gawain muss sich nicht nur gegen eine menschenfeindliche, winterliche Witterung beweisen, sondern darüber hinaus zahlreichen Charakterprüfungen stellen. Auf seiner Odyssee durch sumpfig-waldiges Hinterland sieht er sich zwielichtigen Banden gegenüber, die für einen erprobten Recken keinerlei Herausforderung darstellen dürften.

Aber The Green Knight ist eben – wohltuenderweise – keine Heldengeschichte, sondern eine von menschlichen Schwächen und dem verzweifelten Versuch, ihnen eine gewisse Tugendhaftigkeit gegenüberzustellen. Ein sprechender Fuchs, die Heilige Winefride und ein Heer von Riesen gehören zu weiteren skurrilen Reisebekanntschaften. Zu nahezu gleichen Teilen ätherisch-sinnlich und rau sind die einzelnen Zwischenspiele gestaltet – zu einem stimmigen Gesamtbild wollen sie sich dennoch nicht fügen. Stilvolle, hippe Produktionen prägen seit jeher das Portfolio des New Yorker Filmverleih- und Produktionsunternehmens A24 (u.a. Moonlight, Midsommar, Lady Bird). Neben ihrer Schönheit zeichnen sich die Titel bislang aber auch durch eine feste Verankerung im Zeitgeist sowie substanzielle Geschichten aus.

Trotz seiner teils eher losen Verkettung einzelner episodenhafter Ereignisse ist The Green Knight nicht ohne eine tiefere Philosophie. Der in dieser Hinsicht belangvollste Moment ereignet sich während Gawains letzter Etappe vor dem Ziel seiner Reise. Als er auf dem Anwesen eines adligen Ehepaars unterkommt, hält die ihm zugeneigte Lady (ebenfalls Alicia Vikander) einen kontemplativen Monolog über die das Werk durchspannende Farbe Grün. Grün – das ist nicht nur das Kolorit der Erde, der lebendigen Dinge, ja des Lebens selbst – sondern auch die Farbe des Verfalls und der Fäulnis, der früher oder später alles zum Opfer fallen muss. Grün ist, was bleibt, wenn das Lodern endet, wenn die Leidenschaft und auch wir selbst sterben. Grün ist das Moos, das auf unserem Grabstein blüht und letztlich alles überwuchert, heißt es da sinngemäß.

Eine gewisse Lust an der Dekonstruktion zeigt das Fantasy-Drama schließlich auch am Heroischen selbst und dem Besingen heldenhafter Taten. Oder ist dem gerade nicht so? Ist Gawain, der sich – trotz seiner Ängste und Fehlbarkeiten – durchgängig bemüht, das Richtige zu tun, gerade deswegen ein Held? Nein, eine potenziell entzaubernde Eindeutigkeit ist alles andere als das, was The Green Knight ausmacht.

Info

The Green Knight David Lowery Irland/Kanada/USA/GB, 125 Minuten

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