Netflix Die Kaiserin Sissi erlebt gerade eine Renaissance. Auch Netflix will mitmischen und dem 50er-Jahre-Kino-Bild etwas entgegensetzen. Hält die Serie, was sie verspricht?
Elisabeth ist gefragt. Seit über hundert Jahren versuchen sich Filmemacher, Komponisten, Schriftsteller und seit Neuestem auch Serienschöpfer an der Interpretation ihres bewegten Lebens. Eines, das bis heute ein gewisses Mysterium bleibt, weil es in vielerlei Hinsicht im Konflikt mit den Gepflogenheiten ihrer Lebenszeit (1837 – 1889) stand. Bekannt ist, dass die Monarchin nahezu ständig und ohne Begleitung ihres Gatten auf Reisen war, zu den besten Reiterinnen ihrer Zeit zählte, wahrscheinlich an einer Magersucht litt und sich – Mitte des 19. Jahrhunderts absolut unvorstellbar – einen Anker tätowieren ließ.
In der romantisch-verklärten Perspektive des österreichischen Regisseurs Ernst Marischka und seinen Sissi-Filmen werden diese Wi
men werden diese Widersprüche bekanntlich großzügig ausgespart. Seine Kaiserin ist eine naturverbundene Wohltäterin, die mit ihrer kindlich-unschuldigen Ausstrahlung jede noch so große Herausforderung zum Guten wenden kann. Egal, ob es um einen Streit mit der Schwiegermutter oder um handfeste politische Krisen geht.Als Paradebeispiel für das harmoniesüchtige Kino der fünfziger Jahre zeigt die Sissi-Trilogie eine süßliche, zum biederen Frauenbild ihrer Entstehungszeit passende Version von Elisabeth, die das Image von Schauspielerin Romy Schneider – zu deren Verdruss – zeitlebens überlagern sollte.Obwohl bereits Marischka das rebellische Moment in Elisabeths Charakter nicht gänzlich übergeht, steht doch das Versöhnliche im Vordergrund: Ihr Widerstand gegen die Zwänge ihres goldenen Käfigs ist stets wohlportioniert – und damit ungefährlich. Wenn überhaupt, lässt er sie ein bisschen kokett erscheinen. Ihre bezaubernde Unschuld als liebende Ehefrau und Mutter, sei es ihrer Kinder oder ganzer Nationen, bleibt davon unangetastet. Wahrscheinlich ist es exakt die lange Dominanz von Marischkas Sissi, die heute einen regelrechten Boom an Neuinterpretationen auslöst, die die Kaiserin mitunter als genaues Gegenteil präsentieren.Dass Marischkas Trilogie auch der neuen Netflix-Serie Die Kaiserin als Bezugspunkt dient, wird bereits am Marketing offensichtlich. Mit „Elisabeth. Nicht Sisi“ sind entsprechende Werbeclips auf Instagram und Co. unterschrieben. Im dazugehörigen Video ist eine Montage aus kurzen Szenen zu sehen, in denen Gräfin Esterházy (Wiebke Puls) als strenge Oberhofmeisterin der jungen Kaiserin (Devrim Lingnau) nacheinander drei goldene Regeln nennt, die es in ihrer Position einzuhalten gelte. Dann wird dieser Aufzählung jeweils ein Moment gegenübergestellt, in dem Elisabeth selbige mit scheinbar großer Freude am Tabubruch umgeht.Natürlich ist man geneigt, in der Interpretation des Streaming-Anbieters ein weiteres routiniert-seelenloses Projekt zu vermuten, das sich dem Zeitgeist anbiedern will, indem gesellschaftlich relevante Themen wie Feminismus auf hippe Posen reduziert werden. Derart unterkomplex ist Die Kaiserin zum Glück nicht geraten. Die Elisabeth, die Drehbuchautorin Katharina Eyssen entwirft, wandelt im Laufe der sechs Folgen irgendwo zwischen der gutherzigen Gelegenheitsrebellin der Marischka-Filme und dem aufrührerischen Trotzkopf des Netflix-Trailers.Elisabeth statt SisiDie Handlung beginnt im bayrischen Possenhofen, wo sich die junge Elisabeth am frühen Morgen hinter einem Vorhang versteckt. Ihre Mutter Ludovika (Jördis Triebel) sucht verzweifelt nach ihr. Jeden Moment soll der Herzog eintreffen, der die Tochter heiraten will. Endlich, denn vier potenzielle Partien hat sie bereits vergrault. „Ich will einen Mann, der meine Seele satt macht“, flüstert Elisabeth der kleinen Schwester zu, bevor sie sich durchs Fenster davonschleicht, um auszureiten.Eingebetteter MedieninhaltElisabeths verbriefte Neigung zum Poetischen spielt in den ersten Folgen eine Rolle, eines ihrer Gedichte wird rezitiert und ihre Begeisterung für Heinrich Heine erwähnt. In der Auftaktszene sieht man eine wartende, gänzlich stille Menge. Kurz darauf schreitet Elisabeth, umgeben von derselben absoluten Stille, die Stufen zur erdrückend prunkvollen Augustinerkirche hinauf. Es wirkt beinahe so, als würde sie dem Schafott und nicht dem Altar entgegengehen.Während eine bläuliche Farbgebung der Serie durchgängig eine gewisse Schwere verleiht, begibt sich der Plot spätestens mit der Vermählung mit Franz Joseph (Philip Froissant) in grellere Gefilde. Wird zunächst viel Zeit und erzählerisches Feingefühl darauf verwendet, die allmähliche Annäherung zwischen den beiden darzustellen – und sorgsam zu erläutern, was die von ihrem Umfeld jeweils als etwas sonderbar Wahrgenommenen zueinander hinzieht, nämlich ihre Begeisterung für das Schöngeistige, die Natur und eine philanthropische Weltanschauung – gleitet die Handlung später in repetitive Plattitüden über die höfische Enge ab.Wer schon einmal irgendetwas über Elisabeth gesehen oder gelesen hat, weiß von der starren Etikette – personifiziert in ihrer herrischen Schwiegermutter Sophie (Melika Foroutan) –, um ihre vielen Vorschriften und Verbote, ihre strikte Kleiderordnung und die mit ihr verbundene Verschwendungssucht. Im Grunde ist dies Stoff eines jeden Werks über das royale Leben, Die Kaiserin hat dem nichts Neues hinzuzufügen.Eigene Akzente versucht die Serie über den Bruder Franz Josephs, Erzherzog Maximilian von Österreich (Johannes Nussbaum), zu setzen. Eingeführt als klassischer intrigierender Antagonist, der nicht nur nach der Macht seines Bruders, sondern auch nach dessen Ehefrau trachtet, gestaltet sich der Handlungsstrang trotz Nussbaums überzeugender Darstellung leider etwas schal.Als zusätzliche Bedrohung wird eine heraufziehende Revolte in Stellung gebracht. Verschwörern aus dem einfachen Volk gelingt es sogar, eine von ihnen als Hofdame Elisabeths (Almila Bagriacik) einzuschleusen, die bei der Ermordung des Kaiserpaars behilflich sein soll. Angesichts der Güte ihrer Herrin entwickelt diese allerdings gewisse Skrupel ...Über den kurzen Handlungszeitraum, der nur wenige Monate vor und nach der Eheschließung umspannt, entwickelt sich Elisabeth nämlich recht schnell zu einer Monarchin, die – offenbar mit einer ähnlichen Aura wie der der Marischka-Sissi gesegnet – das einfache Volk durch Präsenz und Güte zu besänftigen weiß. Und damit ist die Netflix-Serie plötzlich doch nicht mehr weit von dem entfernt, wovon sie sich in ihrer Außendarstellung so vehement abzukapseln versucht.Auch hier ist Elisabeth letztlich doch wieder jene Heldin, die schon durch ihr Auftreten bezaubert und deren düstere Seiten sich in Grenzen halten. Daran ändert auch nichts, dass sie zwischenzeitlich im Netzhemd zu sehen ist und mit ihren Bediensteten wilde Partys feiert.Immerhin ist Die Kaiserin wesentlich gehaltvoller als die Vorgängerserie Sisi, die letztes Jahr auf RTL+ startete und sich ausschließlich über einen stumpf-provokanten Gestus vom Marischka-Image absetzen wollte. Dort versuchte man Elisabeth als betont sexuell aufgeklärte Monarchin zu inszenieren, indem man sie gleich in der ersten Szene beim Masturbieren zeigt, einen Dildo an den Hof schmuggeln und sich mit Mätressen über Verführungstechniken austauschen lässt. Auch das sollte wahrscheinlich als Anschluss an den Zeitgeist und pseudo-feministisches Bekenntnis funktionieren.Tatsächlich radikal in seiner Neuinterpretation des Lebens der Kaiserin Elisabeth war dagegen der im Sommer im Kino gestartete Corsage der österreichischen Filmemacherin Marie Kreutzer. Darin stand eine gealterte Elisabeth im Mittelpunkt, und sowohl ihre Liebe zum Reiten und zu ihren Kindern, die Sympathie für die Außenseiter der Gesellschaft und ihr Engagement für Irrenhäuser als auch ihr verwegener Narzissmus, ihre selbstzerstörerischen Tendenzen und das besagte Tattoo bekamen Raum. Die von Vicky Krieps gespielte 40-jährige Elisabeth war endlich einmal keine gefällige Heldin, sondern eine auf interessante Weise zwiespältige Figur.Placeholder infobox-1